The Project Gutenberg EBook of Ecce Homo, by Friedrich Wilhelm Nietzsche Copyright laws are changing all over the world. Be sure to check the copyright laws for your country before downloading or redistributing this or any other Project Gutenberg eBook. This header should be the first thing seen when viewing this Project Gutenberg file. Please do not remove it. Do not change or edit the header without written permission. Please read the "legal small print," and other information about the eBook and Project Gutenberg at the bottom of this file. Included is important information about your specific rights and restrictions in how the file may be used. You can also find out about how to make a donation to Project Gutenberg, and how to get involved. **Welcome To The World of Free Plain Vanilla Electronic Texts** **eBooks Readable By Both Humans and By Computers, Since 1971** *****These eBooks Were Prepared By Thousands of Volunteers!***** Title: Ecce Homo Author: Friedrich Wilhelm Nietzsche Release Date: January, 2005 [EBook #7202] [This file was first posted on March 26, 2003] Edition: 10 Language: German Character set encoding: US-ASCII *** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK, ECCE HOMO *** This text has been derived from HTML files at "Projekt Gutenberg - DE" (http://www.gutenberg2000.de/nietzsche/eccehomo/eccehomo.htm), prepared by juergen@redestb.es. Friedrich Nietzsche Ecce homo Wie man wird, was man ist Vorwort 1. In Voraussicht, dass ich ueber Kurzem mit der schwersten Forderung an die Menschheit herantreten muss, die je an sie gestellt wurde, scheint es mir unerlaesslich, zu sagen, wer ich bin. Im Grunde duerfte man's wissen: denn ich habe mich nicht "unbezeugt gelassen". Das Missverhaeltniss aber zwischen der Groesse meiner Aufgabe und der Kleinheit meiner Zeitgenossen ist darin zum Ausdruck gekommen, dass man mich weder gehoert, noch auch nur gesehn hat. Ich lebe auf meinen eignen Credit hin, es ist vielleicht bloss ein Vorurtheil, dass ich lebe?... Ich brauche nur irgend einen "Gebildeten" zu sprechen, der im Sommer ins Oberengadin kommt, um mich zu ueberzeugen, dass ich nicht lebe... Unter diesen Umstaenden giebt es eine Pflicht, gegen die im Grunde meine Gewohnheit, noch mehr der Stolz meiner Instinkte revoltirt, naemlich zu sagen: Hoert mich! denn ich bin der und der. Verwechselt mich vor Allem nicht! 2. Ich bin zum Beispiel durchaus kein Popanz, kein Moral-Ungeheuer, - ich bin sogar eine Gegensatz-Natur zu der Art Mensch, die man bisher als tugendhaft verehrt hat. Unter uns, es scheint mir, dass gerade Das zu meinem Stolz gehoert. Ich bin ein juenger des Philosophen Dionysos, ich zoege vor, eher noch ein Satyr zu sein als ein Heiliger. Aber man lese nur diese Schrift. Vielleicht gelang es mir, vielleicht hatte diese Schrift gar keinen andren Sinn, als diesen Gegensatz in einer heitren und menschenfreundlichen Weise zum Ausdruck zu bringen. Das Letzte, was ich versprechen wuerde, waere, die Menschheit zu "verbessern". Von mir werden keine neuen Goetzen aufgerichtet; die alten moegen lernen, was es mit thoenernen Beinen auf sich hat. Goetzen (mein Wort fuer "Ideale") umwerfen - das gehoert schon eher zu meinem Handwerk. Man hat die Realitaet in dem Grade um ihren Werth, ihren Sinn, ihre Wahrhaftigkeit gebracht, als man eine ideale Welt erlog... Die "wahre Welt" und die "scheinbare Welt" - auf deutsch: die erlogne Welt und die Realitaet... Die Luege des Ideals war bisher der Fluch ueber der Realitaet, die Menschheit selbst ist durch sie bis in ihre untersten Instinkte hinein verlogen und falsch geworden bis zur Anbetung der umgekehrten Werthe, als die sind, mit denen ihr erst das Gedeihen, die Zukunft, das hohe Recht auf Zukunft verbuergt waere. 3. Wer die Luft meiner Schriften zu athmen weiss, weiss, dass es eine Luft der Hoehe ist, eine starke Luft. Man muss fuer sie geschaffen sein, sonst ist die Gefahr keine kleine, sich in ihr zu erkaelten. Das Eis ist nahe, die Einsamkeit ist ungeheuer - aber wie ruhig alle Dinge im Lichte liegen! wie frei man athmet! wie Viel man unter sich fuehlt! - Philosophie, wie ich sie bisher verstanden und gelebt habe, ist das freiwillige Leben in Eis und Hochgebirge - das Aufsuchen alles Fremden und Fragwuerdigen im Dasein, alles dessen, was durch die Moral bisher in Bann gethan war. Aus einer langen Erfahrung, welche eine solche Wanderung im Verbotenen gab, lernte ich die Ursachen, aus denen bisher moralisirt und idealisirt wurde, sehr anders ansehn als es erwuenscht sein mag: die verborgene Geschichte der Philosophen, die Psychologie ihrer grossen Namen kam fuer mich an's Licht. - Wie viel Wahrheit ertraegt, wie viel Wahrheit wagt ein Geist? das wurde fuer mich immer mehr der eigentliche Werthmesser. Irrthum (- der Glaube an's Ideal -) ist nicht Blindheit, Irrthum ist Feigheit... Jede Errungenschaft, jeder Schritt vorwaerts in der Erkenntniss folgt aus dem Muth, aus der Haerte gegen sich, aus der Sauberkeit gegen sich... Ich widerlege die Ideale nicht, ich ziehe bloss Handschuhe vor ihnen an... Nitimur in vetitum: in diesem Zeichen siegt einmal meine Philosophie, denn man verbot bisher grundsaetzlich immer nur die Wahrheit. - 4. Innerhalb meiner Schriften steht fuer sich mein Zarathustra. Ich habe mit ihm der Menschheit das groesste Geschenk gemacht, das ihr bisher gemacht worden ist. Dies Buch, mit einer Stimme ueber Jahrtausende hinweg, ist nicht nur das hoechste Buch, das es giebt, das eigentliche Hoehenluft-Buch - die ganze Thatsache Mensch liegt in ungeheurer Ferne unter ihm -, es ist auch das tiefste, das aus dem innersten Reichthum der Wahrheit heraus geborene, ein unerschoepflicher Brunnen, in den kein Eimer hinabsteigt, ohne mit Gold und Guete gefuellt heraufzukommen. Hier redet kein "Prophet", keiner jener schauerlichen Zwitter von Krankheit und Willen zur Macht, die man Religionsstifter nennt. Man muss vor Allem den Ton, der aus diesem Munde kommt, diesen halkyonischen Ton richtig hoeren, um dem Sinn seiner Weisheit nicht erbarmungswuerdig Unrecht zu thun. "Die stillsten Worte sind es, welche den Sturm bringen, Gedanken, die mit Taubenfuessen kommen, lenken die Welt." Die Feigen fallen von den Baeumen, sie sind gut und suess: und indem sie fallen, reisst ihnen die rothe Haut. Ein Nordwind bin ich reifen Feigen. Also, gleich Feigen, fallen euch diese Lehren zu, meine Freunde: nun trinkt ihren Saft und ihr suesses Fleisch! Herbst ist es umher und reiner Himmel und Nachmittag - Hier redet kein Fanatiker, hier wird nicht "gepredigt", hier wird nicht Glauben verlangt: aus einer unendlichen Lichtfuelle und Glueckstiefe faellt Tropfen fuer Tropfen, Wort fuer Wort, eine zaertliche Langsamkeit ist das tempo dieser Reden. Dergleichen gelangt nur zu den Auserwaehltesten; es ist ein Vorrecht ohne Gleichen hier Hoerer zu sein; es steht Niemandem frei, fuer Zarathustra Ohren zu haben... Ist Zarathustra mit Alledem nicht ein Verfuehrer?... Aber was sagt er doch selbst, als er zum ersten Male wieder in seine Einsamkeit zurueckkehrt? Genau das Gegentheil von dem, was irgend ein "Weiser", "Heiliger", "Welt-Erloeser" und andrer decadent in einem solchen Falle sagen wuerde... Er redet nicht nur anders, er ist auch anders... Allein gehe ich nun, meine Juenger! Auch ihr geht nun davon und allein! So will ich es. Geht fort von mir und wehrt euch gegen Zarathustra! Und besser noch: schaemt euch seiner! Vielleicht betrog er euch. Der Mensch der Erkenntniss muss nicht nur seine Feinde lieben, er muss auch seine Freunde hassen koennen. Man vergilt einem Lehrer schlecht, wenn man immer nur der Schueler bleibt. Und warum wollt ihr nicht an meinem Kranze rupfen? Ihr verehrt mich: aber wie, wenn eure Verehrung eines Tages umfaellt? Huetet euch, dass euch nicht eine Bildsaeule erschlage! Ihr sagt, ihr glaubt an Zarathustra? Aber was liegt an Zarathustra! Ihr seid meine Glaeubigen, aber was liegt an allen Glaeubigen! Ihr hattet euch noch nicht gesucht: da fandet ihr mich. So thun alle Glaeubigen; darum ist es so wenig mit allem Glauben. Nun heisse ich euch, mich verlieren und euch finden; und erst, wenn ihr mich Alle verleugnet habt, will ich euch wiederkehren... Friedrich Nietzsche. Inhalt Warum ich so weise bin. Warum ich so klug bin. Warum ich so gute Buecher schreibe. Geburt der Tragoedie. Die Unzeitgemaessen. Menschliches, Allzumenschliches. Morgenroethe. La gaya scienza. Also sprach Zarathustra. Jenseits von Gut und Boese. Genealogie der Moral. Goetzen-Daemmerung. Der Fall Wagner. Warum ich ein Schicksal bin. Kriegserklaerung. Der Hammer redet An diesem vollkommnen Tage, wo Alles reift und nicht nur die Traube braun wird, fiel mir eben ein Sonnenblick auf mein Leben: ich sah rueckwaerts, ich sah hinaus, ich sah nie so viel und so gute Dinge auf einmal. Nicht umsonst begrub ich heute mein vierundvierzigstes Jahr, ich durfte es begraben, - was in ihm Leben war, ist gerettet, ist unsterblich. Die Umwerthung aller Werthe, die Dionysos-Dithyramben und, zur Erholung, die Goetzen-Daemmerung - Alles Geschenke dieses Jahrs, sogar seines letzten Vierteljahrs! Wie sollte ich nicht meinem ganzen Leben dankbar sein? Und so erzaehle ich mir mein Leben. Warum ich so weise bin. 1. Das Glueck meines Daseins, seine Einzigkeit vielleicht, liegt in seinem Verhaengniss: ich bin, um es in Raethselform auszudruecken, als mein Vater bereits gestorben, als meine Mutter lebe ich noch und werde alt. Diese doppelte Herkunft, gleichsam aus der obersten und der untersten Sprosse an der Leiter des Lebens, decadent zugleich und Anfang - dies, wenn irgend Etwas, erklaert jene Neutralitaet, jene Freiheit von Partei im Verhaeltniss zum Gesammtprobleme des Lebens, die mich vielleicht auszeichnet. Ich habe fuer die Zeichen von Aufgang und Niedergang eine feinere Witterung als je ein Mensch gehabt hat, ich bin der Lehrer par excellence hierfuer, - ich kenne Beides, ich bin Beides. - Mein Vater starb mit sechsunddreissig Jahren: er war zart, liebenswuerdig und morbid, wie ein nur zum Voruebergehn bestimmtes Wesen, - eher eine guetige Erinnerung an das Leben, als das Leben selbst. Im gleichen Jahre, wo sein Leben abwaerts gieng, gieng auch das meine abwaerts: im sechsunddreissigsten Lebensjahre kam ich auf den niedrigsten Punkt meiner Vitalitaet, - ich lebte noch, doch ohne drei Schritt weit vor mich zu sehn. Damals - es war 1879 - legte ich meine Basler Professur nieder, lebte den Sommer ueber wie ein Schatten in St. Moritz und den naechsten Winter, den sonnenaermsten meines Lebens, als Schatten in Naumburg. Dies war mein Minimum: "Der Wanderer und sein Schatten" entstand waehrenddem. Unzweifelhaft, ich verstand mich damals auf Schatten... Im Winter darauf, meinem ersten Genueser Winter, brachte jene Versuessung und Vergeistigung, die mit einer extremen Armuth an Blut und Muskel beinahe bedingt ist, die "Morgenroethe" hervor. Die vollkommne Helle und Heiterkeit, selbst Exuberanz des Geistes, welche das genannte Werk wiederspiegelt, vertraegt sich bei mir nicht nur mit der tiefsten physiologischen Schwaeche, sondern sogar mit einem Excess von Schmerzgefuehl. Mitten in Martern, die ein ununterbrochner dreitaegiger Gehirn-Schmerz sammt muehseligem Schleimerbrechen mit sich bringt, - besass ich eine Dialektiker-Klarheit par excellence und dachte Dinge sehr kaltbluetig durch, zu denen ich in gesuenderen Verhaeltnissen nicht Kletterer, nicht raffinirt, nicht kalt genug bin. Meine Leser wissen vielleicht, in wie fern ich Dialektik als Decadence-Symptom betrachte, zum Beispiel im allerberuehmtesten Fall: im Fall des Sokrates. - Alle krankhaften Stoerungen des Intellekts, selbst jene Halbbetaeubung, die das Fieber im Gefolge hat, sind mir bis heute gaenzlich fremde Dinge geblieben, ueber deren Natur und Haeufigkeit ich mich erst auf gelehrtem Wege zu unterrichten hatte. Mein Blut laeuft langsam. Niemand hat je an mir Fieber constatiren koennen. Ein Arzt, der mich laenger als Nervenkranken behandelte, sagte schliesslich: "nein! an Ihren Nerven liegt's nicht, ich selber bin nur nervoes." Schlechterdings unnachweisbar irgend eine lokale Entartung; kein organisch bedingtes Magenleiden, wie sehr auch immer, als Folge der Gesammterschoepfung, die tiefste Schwaeche des gastrischen Systems. Auch das Augenleiden, dem Blindwerden zeitweilig sich gefaehrlich annaehernd, nur Folge, nicht ursaechlich: so dass mit jeder Zunahme an Lebenskraft auch die Sehkraft wieder zugenommen hat. - Eine lange, allzulange Reihe von Jahren bedeutet bei mir Genesung, - sie bedeutet leider auch zugleich Rueckfall, Verfall, Periodik einer Art decadence. Brauche ich, nach alledem, zu sagen, dass ich in Fragen der decadence erfahren bin? Ich habe sie vorwaerts und rueckwaerts buchstabirt. Selbst jene Filigran-Kunst des Greifens und Begreifens ueberhaupt, jene Finger fuer nuances, jene Psychologie des "Um-die-Ecke-sehns" und was sonst mir eignet, ward damals erst erlernt, ist das eigentliche Geschenk jener Zeit, in der Alles sich bei mir verfeinerte, die Beobachtung selbst wie alle Organe der Beobachtung. Von der Kranken-Optik aus nach gesuenderen Begriffen und Werthen, und wiederum umgekehrt aus der Fuelle und Selbstgewissheit des reichen Lebens hinuntersehn in die heimliche Arbeit des Decadence-Instinkts - das war meine laengste Uebung, meine eigentliche Erfahrung, wenn irgend worin wurde ich darin Meister. Ich habe es jetzt in der Hand, ich habe die Hand dafuer, Perspektiven umzustellen: erster Grund, weshalb fuer mich allein vielleicht eine "Umwerthung der Werthe" ueberhaupt moeglich ist. 2. Abgerechnet naemlich, dass ich ein decadent bin, bin ich auch dessen Gegensatz. Mein Beweis dafuer ist, unter Anderem, dass ich instinktiv gegen die schlimmen Zustaende immer die rechten Mittel waehlte: waehrend der decadent an sich immer die ihm nachtheiligen Mittel waehlt. Als summa summarum war ich gesund, als Winkel, als Specialitaet war ich decadent. Jene Energie zur absoluten Vereinsamung und Herausloesung aus gewohnten Verhaeltnissen, der Zwang gegen mich, mich nicht mehr besorgen, bedienen, beaerzteln zu lassen - das verraeth die unbedingte Instinkt-Gewissheit darueber, was damals vor Allem noth that. Ich nahm mich selbst in die Hand, ich machte mich selbst wieder gesund: die Bedingung dazu - jeder Physiologe wird das zugeben - ist, dass man im Grunde gesund ist. Ein typisch morbides Wesen kann nicht gesund werden, noch weniger sich selbst gesund machen; fuer einen typisch Gesunden kann umgekehrt Kranksein sogar ein energisches Stimulans zum Leben, zum Mehr-leben sein. So in der That erscheint mir jetzt jene lange Krankheits-Zeit: ich entdeckte das Leben gleichsam neu, mich selber eingerechnet, ich schmeckte alle guten und selbst kleinen Dinge, wie sie Andre nicht leicht schmecken koennten, - ich machte aus meinem Willen zur; Gesundheit, zum Leben, meine Philosophie... Denn man gebe Acht darauf: die Jahre meiner niedrigsten Vitalitaet waren es, wo ich aufhoerte, Pessimist zu sein: der Instinkt der Selbst-Wiederherstellung verbot mir eine Philosophie der Armuth und Entmuthigung... Und woran erkennt man im Grunde die Wohlgerathenheit! Dass ein wohlgerathner Mensch unsern Sinnen wohlthut: dass er aus einem Holze geschnitzt ist, das hart, zart und wohlriechend zugleich ist. Ihm schmeckt nur, was ihm zutraeglich ist; sein Gefallen, seine Lust hoert auf, wo das Maass des Zutraeglichen ueberschritten wird. Er erraeth Heilmittel gegen Schaedigungen, er nuetzt schlimme Zufaelle zu seinem Vortheil aus; was ihn nicht umbringt, macht ihn staerker. Er sammelt instinktiv aus Allem, was er sieht, hoert, erlebt, seine Summe: er ist ein auswaehlendes Princip, er laesst Viel durchfallen. Er ist immer in seiner Gesellschaft, ob er mit Buechern, Menschen oder Landschaften verkehrt: er ehrt, indem er waehlt, indem er zulaesst, indem er vertraut. Er reagirt auf alle Art Reize langsam, mit jener Langsamkeit, die eine lange Vorsicht und ein gewollter Stolz ihm angezuechtet haben, - er prueft den Reiz, der herankommt, er ist fern davon, ihm entgegenzugehn. Er glaubt weder an "Unglueck", noch an "Schuld": er wird fertig, mit sich, mit Anderen, er weiss zu vergessen, - er ist stark genug, dass ihm Alles zum Besten gereichen muss. - Wohlan, ich bin das Gegenstueck eines decadent: denn ich beschrieb eben mich. 3. Ich betrachte es als ein grosses Vorrecht, einen solchen Vater gehabt zu haben: die Bauern, vor denen er predigte - denn er war, nachdem er einige Jahre am Altenburger Hofe gelebt hatte, die letzten Jahre Prediger - sagten, so muesse wohl ein Engel aussehn. - Und hiermit beruehre ich die Frage der Rasse. ich bin ein polnischer Edelmann pur sang, dem auch nicht ein Tropfen schlechtes Blut beigemischt ist, am wenigsten deutsches. Wenn ich den tiefsten Gegensatz zu mir suche, die unausrechenbare Gemeinheit der Instinkte, so finde ich immer meine Mutter und Schwester, - mit solcher canaille mich verwandt zu glauben waere eine Laesterung auf meine Goettlichkeit. Die Behandlung, die ich von Seiten meiner Mutter und Schwester erfahre, bis auf diesen Augenblick, floesst mir ein unsaegliches Grauen ein: hier arbeitet eine vollkommene Hoellenmaschine, mit unfehlbarer Sicherheit ueber den Augenblick, wo man mich blutig verwunden kann - in meinen hoechsten Augenblicken,... denn da fehlt jede Kraft, sich gegen giftiges Gewuerm zu wehren... Die physiologische Contiguitaet ermoeglicht eine solche disharmonia praestabilita... Aber ich bekenne, dass der tiefste Einwand gegen die "ewige Wiederkunft", mein eigentlich abgruendlicher Gedanke, immer Mutter und Schwester sind. - Aber auch als Pole bin ich ein ungeheurer Atavismus. Man wuerde Jahrhunderte zurueckzugehn haben, um diese vornehmste Rasse, die es auf Erden gab, in dem Masse instinktrein zu finden, wie ich sie darstelle. Ich habe gegen Alles, was heute noblesse heisst, ein souveraines Gefuehl von Distinktion, - ich wuerde dem jungen deutschen Kaiser nicht die Ehre zugestehn, mein Kutscher zu sein. Es giebt einen einzigen Fall, wo ich meines Gleichen anerkenne ich bekenne es mit tiefer Dankbarkeit. Frau Cosima Wagner ist bei Weitem die vornehmste Natur; und, damit ich kein Wort zu wenig sage, sage ich, dass Richard Wagner der mir bei Weitem verwandteste Mann war... Der Rest ist Schweigen... Alle herrschenden Begriffe ueber Verwandtschafts-Grade sind ein physiologischer Widersinn, der nicht ueberboten werden kann. Der Papst treibt heute noch Handel mit diesem Widersinn. Man ist am wenigsten mit seinen Eltern verwandt: es waere das aeusserste Zeichen von Gemeinheit, seinen Eltern verwandt zu sein. Die hoeheren Naturen haben ihren Ursprung unendlich weiter zurueck, auf sie hin hat am laengsten gesammelt, gespart, gehaeuft werden muessen. Die grossen Individuen sind die aeltesten: ich verstehe es nicht, aber Julius Caesar koennte mein Vater sein - oder Alexander, dieser leibhafte Dionysos... In diesem Augenblick, wo ich dies schreibe, bringt die Post mir einen Dionysos-Kopf... 4. Ich habe nie die Kunst verstanden, gegen mich einzunehmen auch das verdanke ich meinem unvergleichlichen Vater - und selbst noch, wenn es mir von grossem Werthe schien. Ich bin sogar, wie sehr immer das unchristlich scheinen mag, nicht einmal gegen mich eingenommen. Man mag mein Leben hin- und herwenden, man wird darin, jenen Einen Fall abgerechnet, keine Spuren davon entdecken, dass jemand boesen Willen gegen mich gehabt haette, - vielleicht aber etwas zu viel Spuren von gutem Willen... Meine Erfahrungen selbst mit Solchen, an denen Jedermann schlechte Erfahrungen macht, sprechen ohne Ausnahme zu deren Gunsten; ich zaehme jeden Baer, ich mache die Hanswuerste noch sittsam. In den sieben Jahren, wo ich an der obersten Klasse des Basler Paedagogiums Griechisch lehrte, habe ich keinen Anlass gehabt, eine Strafe zu verhaengen; die Faulsten waren bei mir fleissig. Dem Zufall bin ich immer gewachsen; ich muss unvorbereitet sein, um meiner Herr zu sein. Das Instrument, es sei, welches es wolle, es sei so verstimmt, wie nur das Instrument "Mensch" verstimmt werden kann - ich muesste krank sein, wenn es mir nicht gelingen sollte, ihm etwas Anhoerbares abzugewinnen. Und wie oft habe ich das von den "Instrumenten" selber gehoert, dass sie sich noch nie so gehoert haetten... Am schoensten vielleicht von jenem unverzeihlich jung gestorbenen Heinrich von Stein, der einmal, nach sorgsam eingeholter Erlaubniss, auf drei Tage in Sils-Maria erschien, Jedermann erklaerend, dass er nicht wegen des Engadins komme. Dieser ausgezeichnete Mensch, der mit der ganzen ungestuemen Einfalt eines preussischen Junkers in den Wagner'schen Sumpf hineingewatet war (- und ausserdem noch in den Duehring'schen!) war diese drei Tage wie umgewandelt durch einen Sturmwind der Freiheit, gleich Einem, der ploetzlich in seine Hoehe gehoben wird und Fluegel bekommt. Ich sagte ihm immer, das mache die gute Luft hier oben, so gehe es jedem, man sei nicht umsonst 6000 Fuss ueber Bayreuth, - aber er wollte mir's nicht glauben... Wenn trotzdem an mir manche kleine und grosse Missethat veruebt worden ist, so war nicht "der Wille", am wenigsten der boese Wille Grund davon: eher schon haette ich mich - ich deutete es eben an - ueber den guten Willen zu beklagen, der keinen kleinen Unfug in meinem Leben angerichtet hat. Meine Erfahrungen geben mir ein Anrecht auf Misstrauen ueberhaupt hinsichtlich der sogenannten "selbstlosen" Triebe, der gesammten zu Rath und That bereiten "Naechstenliebe". Sie gilt mir an sich als Schwaeche, als Einzelfall der Widerstands-Unfaehigkeit gegen Reize, - das Mitleiden heisst nur bei decadents eine Tugend. Ich werfe den Mitleidigen vor, dass ihnen die Scham, die Ehrfurcht, das Zartgefuehl vor Distanzen leicht abhanden kommt, dass Mitleiden im Handumdrehn nach Poebel riecht und schlechten Manieren zum Verwechseln aehnlich sieht, - dass mitleidige Haende unter Umstaenden geradezu zerstoererisch in ein grosses Schicksal in eine Vereinsamung unter Wunden, in ein Vorrecht auf schwere Schuld hineingreifen koennen. Die Ueberwindung des Mitleids rechne ich unter die vornehmen Tugenden: ich habe als "Versuchung Zarathustra's" einen Fall gedichtet, wo ein grosser Nothschrei an ihn kommt, wo das Mitleiden wie eine letzte Suende ihn ueberfallen, ihn von sich abspenstig machen will. Hier Herr bleiben, hier die Hoehe seiner Aufgabe rein halten von den viel niedrigeren und kurzsichtigeren Antrieben, welche in den sogenannten selbstlosen Handlungen thaetig sind, das ist die Probe, die letzte Probe vielleicht, die ein Zarathustra abzulegen hat - sein eigentlicher Beweis von Kraft... 5. Auch noch in einem anderen Punkte bin ich bloss mein Vater noch einmal und gleichsam sein Fortleben nach einem allzufruehen Tode. Gleich jedem, der nie unter seines Gleichen lebte und dem der Begriff "Vergeltung" so unzugaenglich ist wie etwa der Begriff "gleiche Rechte", verbiete ich mir in Faellen, wo eine kleine oder sehr grosse Thorheit an mir begangen wird, jede Gegenmaassregel, jede Schutzmaassregel, - wie billig, auch jede Vertheidigung, jede "Rechtfertigung". Meine Art Vergeltung besteht darin, der Dummheit so schnell wie moeglich eine Klugheit nachzuschicken: so holt man sie vielleicht noch ein. Im Gleichniss geredet: ich schicke einen Topf mit Confitueren, um eine sauere Geschichte loszuwerden... Man hat nur Etwas an mir schlimm zu machen, ich "vergelte" es, dessen sei man sicher: ich finde ueber Kurzem eine Gelegenheit, dem "Missethaeter" meinen Dank auszudruecken (mitunter sogar fuer die Missethat) - oder ihn um Etwas zu bitten, was verbindlicher sein kann als Etwas geben... Auch scheint es mir, dass das groebste Wort, der groebste Brief noch gutartiger, noch honnetter sind als Schweigen. Solchen, die schweigen, fehlt es fast immer an Feinheit und Hoeflichkeit des Herzens; Schweigen ist ein Einwand, Hinunterschlucken macht nothwendig einen schlechten Charakter, - es verdirbt selbst den Magen. Alle Schweiger sind dyspeptisch. - Man sieht, ich moechte die Grobheit nicht unterschaetzt wissen, sie ist bei weitem die humanste Form des Widerspruchs und, inmitten der modernen Verzaertelung, eine unsrer ersten Tugenden. - Wenn man reich genug dazu ist, ist es selbst ein Glueck, Unrecht zu haben. Ein Gott, der auf die Erde kaeme, duerfte gar nichts Andres thun als Unrecht, - nicht die Strafe, sondern die Schuld auf sich zu nehmen waere erst goettlich. 6. Die Freiheit vom Ressentiment, die Aufklaerung ueber das Ressentiment - wer weiss, wie sehr ich zuletzt auch darin meiner langen Krankheit zu Dank verpflichtet bin! Das Problem ist nicht gerade einfach: man muss es aus der Kraft heraus und aus der Schwaeche heraus erlebt haben. Wenn irgend Etwas ueberhaupt gegen Kranksein, gegen Schwachsein geltend gemacht werden muss, so ist es, dass in ihm der eigentliche Heilinstinkt, das ist der Wehr- und Waffen-Instinkt im Menschen muerbe wird. Man weiss von Nichts loszukommen, man weiss mit Nichts fertig zu werden, man weiss Nichts zurueckzustossen, - Alles verletzt. Mensch und Ding kommen zudringlich nahe, die Erlebnisse treffen zu tief, die Erinnerung ist eine eiternde Wunde. Kranksein ist eine Art Ressentiment selbst. - Hiergegen hat der Kranke nur Ein grosses Heilmittel - ich nenne es den russischen Fatalismus, jenen Fatalismus ohne Revolte, mit dem sich ein russischer Soldat, dem der Feldzug zu hart wird, zuletzt in den Schnee legt. Nichts ueberhaupt mehr annehmen, an sich nehmen, in sich hineinnehmen, - ueberhaupt nicht mehr reagiren... Die grosse Vernunft dieses Fatalismus, der nicht immer nur der Muth zum Tode ist, als lebenerhaltend unter den lebensgefaehrlichsten Umstaenden, ist die Herabsetzung des Stoffwechsels, dessen Verlangsamung, eine Art Wille zum Winterschlaf. Ein paar Schritte weiter in dieser Logik, und man hat den Fakir, der wochenlang in einem Grabe schlaeft... Weil man zu schnell sich verbrauchen wuerde, wenn man ueberhaupt reagirte, reagirt man gar nicht mehr: dies ist die Logik. Und mit Nichts brennt man rascher ab, als mit den Ressentiments-Affekten. Der Aerger, die krankhafte Verletzlichkeit, die Ohnmacht zur Rache, die Lust, der Durst nach der Rache, das Giftmischen in jedem Sinne - das ist fuer Erschoepfte sicherlich die nachtheiligste Art zu reagiren: ein rapider Verbrauch von Nervenkraft, eine krankhafte Steigerung schaedlicher Ausleerungen, zum Beispiel der Galle in den Magen, ist damit bedingt. Das Ressentiment ist das Verbotene an sich fuer den Kranken - sein Boeses: leider auch sein natuerlichster Hang. - Das begriff jener tiefe Physiolog Buddha. Seine "Religion", die man besser als eine Hygiene bezeichnen duerfte, um sie nicht mit so erbarmungswuerdigen Dingen wie das Christenthum ist, zu vermischen, machte ihre Wirkung abhaengig von dem Sieg ueber das Ressentiment: die Seele davon frei machen - erster Schritt zur Genesung. "Nicht durch Feindschaft kommt Feindschaft zu Ende, durch Freundschaft kommt Feindschaft zu Ende": das steht am Anfang der Lehre Buddha's - so redet nicht die Moral, so redet die Physiologie. - Das Ressentiment, aus der Schwaeche geboren, Niemandem schaedlicher als dem Schwachen selbst, - im andern Falle, wo eine reiche Natur die Voraussetzung ist, ein ueberfluessiges Gefuehl, ein Gefuehl, ueber das Herr zu bleiben beinahe der Beweis des Reichthums ist. Wer den Ernst kennt, mit dem meine Philosophie den Kampf mit den Rach- und Nachgefuehlen bis in die Lehre vom "freien Willen" hinein aufgenommen hat - der Kampf mit dem Christenthum ist nur ein Einzelfall daraus - wird verstehn, weshalb ich mein persoenliches Verhalten, meine instinktsicherheit in der Praxis hier gerade an's Licht stelle. In den Zeiten der decadence verbot ich sie mir als schaedlich; sobald das Leben wieder reich und stolz genug dazu war, verbot ich sie mir als unter mir. Jener "russische Fatalismus", von dem ich sprach, trat darin bei mir hervor, dass ich beinahe unertraegliche Lagen, Orte, Wohnungen, Gesellschaften, nachdem sie einmal, durch Zufall, gegeben waren, Jahre lang zaeh festhielt, - es war besser, als sie aendern, als sie veraenderbar zu fuehlen, - als sich gegen sie aufzulehnen... Mich in diesem Fatalismus stoeren, mich gewaltsam aufwecken nahm ich damals toedtlich uebel: - in Wahrheit war es auch jedes Mal toedtlich gefaehrlich. - Sich selbst wie ein Fatum nehmen, nicht sich "anders" wollen - das ist in solchen Zustaenden die grosse Vernunft selbst. 7. Ein ander Ding ist der Krieg. Ich bin meiner Art nach kriegerisch. Angreifen gehoert zu meinen Instinkten. Feind sein koennen, Feind sein - das setzt vielleicht eine starke Natur voraus, jedenfalls ist es bedingt in jeder starken Natur. Sie braucht Widerstaende, folglich sucht sie Widerstand: das aggressive Pathos gehoert ebenso nothwendig zur Staerke als das Rach- und Nachgefuehl zur Schwaeche. Das Weib zum Beispiel ist rachsuechtig: das ist in seiner Schwaeche bedingt, so gut wie seine Reizbarkeit fuer fremde Noth. - Die Staerke des Angreifenden hat in der Gegnerschaft, die er noethig hat, eine Art Maass; jedes Wachsthum verraeth sich im Aufsuchen eines gewaltigeren Gegners - oder Problems: denn ein Philosoph, der kriegerisch ist, fordert auch Probleme zum Zweikampf heraus. Die Aufgabe ist nicht, ueberhaupt ueber Widerstaende Herr zu werden, sondern ueber solche, an denen man seine ganze Kraft, Geschmeidigkeit und Waffen-Meisterschaft einzusetzen hat, - ueber gleiche Gegner... Gleichheit vor dem Feinde - erste Voraussetzung zu einem rechtschaffnen Duell. Wo man verachtet, kann man nicht Krieg fuehren; wo man befiehlt, wo man Etwas unter sich sieht, hat man nicht Krieg zu fuehren. Meine Kriegs-Praxis ist in vier Saetze zu fassen. Erstens: ich greife nur Sachen an, die siegreich sind, - ich warte unter Umstaenden, bis sie siegreich sind. Zweitens: ich greife nur Sachen an, wo ich keine Bundesgenossen finden wuerde, wo ich allein stehe, - wo ich mich allein compromittire... Ich habe nie einen Schritt oeffentlich gethan, der nicht compromittirte: das ist mein Kriterium des rechten Handelns. Drittens: ich greife nie Personen an, - ich bediene mich der Person nur wie eines starken Vergroesserungsglases, mit dem man einen allgemeinen, aber schleichenden, aber wenig greifbaren Nothstand sichtbar machen kann. So griff ich David Strauss an, genauer den Erfolg eines altersschwachen Buchs bei der deutschen "Bildung", - ich ertappte diese Bildung dabei auf der That... So griff ich Wagnern an, genauer die Falschheit, die Instinkt-Halbschlaechtigkeit unsrer "Cultur", welche die Raffinirten mit den Reichen, die Spaeten mit den Grossen verwechselt. Viertens: ich greife nur Dinge an, wo jedwede Personen-Differenz ausgeschlossen ist, wo jeder Hintergrund schlimmer Erfahrungen fehlt. Im Gegentheil, angreifen ist bei mir ein Beweis des Wohlwollens, unter Umstaenden der Dankbarkeit. Ich ehre, ich zeichne aus damit, dass ich meinen Namen mit dem einer Sache, einer Person verbinde: fuer oder wider - das gilt mir darin gleich. Wenn ich dem Christenthum den Krieg mache, so steht dies mir zu, weil ich von dieser Seite aus keine Fatalitaeten und Hemmungen erlebt habe, - die ernstesten Christen sind mir immer gewogen gewesen. Ich selber, ein Gegner des Christenthums de rigueur, bin ferne davon, es dem Einzelnen nachzutragen, was das Verhaengniss von Jahrtausenden ist. 8. Darf ich noch. einen letzten Zug meiner Natur anzudeuten wagen, der mir im Umgang mit Menschen keine kleine Schwierigkeit macht? Mir eignet eine vollkommen unheimliche Reizbarkeit des Reinlichkeits-Instinkts, so dass ich die Naehe oder - was sage ich? - das Innerlichste, die "Eingeweide" jeder Seele physiologisch wahrnehme - rieche... Ich habe an dieser Reizbarkeit psychologische Fuehlhoerner, mit denen ich jedes Geheimniss betaste und in die Hand bekomme: der viele verborgene Schmutz auf dem Grunde mancher Natur, vielleicht in schlechtem Blut bedingt, aber durch Erziehung uebertuencht, wird mir fast bei der ersten Beruehrung schon bewusst. Wenn ich recht beobachtet habe, empfinden solche meiner Reinlichkeit unzutraegliche Naturen die Vorsicht meines Ekels auch ihrerseits: sie werden damit nicht wohlriechender... So wie ich mich immer gewoehnt habe - eine extreme Lauterkeit gegen mich ist meine Daseins-Voraussetzung, ich komme um unter unreinen Bedingungen, schwimme und bade und plaetschere ich gleichsam bestaendig im Wasser, in irgend einem vollkommen durchsichtigen und glaenzenden Elemente. Das macht mir aus dem Verkehr mit Menschen keine kleine Gedulds-Probe; meine Humanitaet besteht nicht darin, mitzufuehlen, wie der Mensch ist, sondern es auszuhalten, dass ich ihn mitfuehle... Meine Humanitaet ist eine bestaendige Selbstueberwindung. - Aber ich habe Einsamkeit noethig, will sagen, Genesung, Rueckkehr zu mir, den Athem einer freien leichten spielenden Luft... Mein ganzer Zarathustra ist ein Dithyrambus auf die Einsamkeit, oder, wenn man mich verstanden hat, auf die Reinheit... Zum Glueck nicht auf die reine Thorheit. - Wer Augen fuer Farben hat, wird ihn diamanten nennen. - Der Ekel am Menschen, am "Gesindel" war immer meine groesste Gefahr... Will man die Worte hoeren, in denen Zarathustra von der Erloesung vom Ekel redet? Was geschah mir doch? Wie erloeste ich mich vom Ekel? Wer verjuengte mein Auge? Wie erflog ich die Hoehe, wo kein Gesindel mehr am Brunnen sitzt? Schuf mein Ekel selber mir Fluegel und quellenahnende Kraefte? Wahrlich, in's Hoechste musste ich fliegen, dass ich den Born der Lust wiederfaende!- Oh ich fand ihn, meine Brueder! Hier im Hoechsten quillt mir der Born der Lust! Und es giebt ein Leben, an dem kein Gesindel mittrinkt! Fast zu heftig stroemst du mir, Quell der Lust! Und oft leerst du den Becher wieder, dadurch, dass du ihn fuellen willst. Und noch muss ich lernen, bescheidener dir zu nahen: allzuheftig stroemt dir noch mein Herz entgegen: - mein Herz, auf dem mein Sommer brennt, der kurze, heisse, schwermuethige, ueberselige: wie verlangt mein Sommer-Herz nach deiner Kuehle! Vorbei die zoegernde Truebsal meines Fruehlings! Vorueber die Schneeflocken meiner Bosheit im Juni! Sommer wurde ich ganz und Sommer-Mittag, - ein Sommer im Hoechsten mit kalten Quellen und seliger Stille: oh kommt, meine Freunde, dass die Stille noch seliger werde! Denn dies ist unsre Hoehe und unsre Heimat: zu hoch und steil wohnen wir hier allen Unreinen und ihrem Durste. Werft nur eure reinen Augen in den Born meiner Lust, ihr Freunde! Wie sollte er darob truebe werden? Entgegenlachen soll er euch mit seiner Reinheit. Auf dem Baume Zukunft bauen wir unser Nest; Adler sollen uns Einsamen Speise bringen in ihren Schnaebeln! Wahrlich, keine Speise, an der Unsaubere mitessen duerften! Feuer wuerden sie zu fressen waehnen und sich die Maeuler verbrennen. Wahrlich, keine Heimstaetten halten wir hier bereit fuer Unsaubere! Eishoehle wuerde ihren Leibern unser Glueck heissen und ihren Geistern! Und wie starke Winde wollen wir ueber ihnen leben, Nachbarn den Adlern, Nachbarn dem Schnee, Nachbarn der Sonne: also leben starke Winde. Und einem Winde gleich will ich einst noch zwischen sie blasen und mit meinem Geiste ihrem Geiste den Athem nehmen: so will es meine Zukunft. Wahrlich, ein starker Wind ist Zarathustra allen Niederungen: und solchen Rath raeth er seinen Feinden und Allem, was spuckt und speit: huetet euch, gegen den Wind zu speien!... Warum ich so klug bin. 1. - Warum ich Einiges mehr weiss? Warum ich ueberhaupt so klug bin? Ich habe nie ueber Fragen nachgedacht, die keine sind, - ich habe mich nicht verschwendet. - Eigentliche religioese Schwierigkeiten zum Beispiel kenne ich nicht aus Erfahrung. Es ist mir gaenzlich entgangen, in wiefern ich "suendhaft" sein sollte. Insgleichen fehlt mir ein zuverlaessiges Kriterium dafuer, was ein Gewissensbiss ist: nach dem, was man darueber hoert, scheint mir ein Gewissensbiss nichts Achtbares... Ich moechte nicht eine Handlung hinterdrein in Stich lassen, ich wuerde vorziehn, den schlimmen Ausgang, die Folgen grundsaetzlich aus der Werthfrage wegzulassen. Man verliert beim schlimmen Ausgang gar zu leicht den richtigen Blick fuer Das, was man that: ein Gewissensbiss scheint mir eine Art "boeser Blick". Etwas, das fehlschlaegt, um so mehr bei sich in Ehren halten, weil es fehlschlug - das gehoert eher schon zu meiner Moral. - "Gott", "Unsterblichkeit der Seele", "Erloesung", "Jenseits" lauter Begriffe, denen ich keine Aufmerksamkeit, auch keine Zeit geschenkt habe, selbst als Kind nicht, - ich war vielleicht nie kindlich genug dazu? - Ich kenne den Atheismus durchaus nicht als Ergebniss, noch weniger als Ereigniss: er versteht sich bei mir aus Instinkt. Ich bin zu neugierig, zu fragwuerdig, zu uebermuethig, um mir eine faustgrobe Antwort gefallen zu lassen. Gott ist eine faustgrobe Antwort, eine Undelicatesse gegen uns Denker -, im Grunde sogar bloss ein faustgrobes Verbot an uns: ihr sollt nicht denken!... Ganz anders interessirt mich eine Frage, an der mehr das "Heil der Menschheit" haengt, als an irgend einer Theologen-Curiositaet: die Frage der Ernaehrung. Man kann sie sich, zum Handgebrauch, so formuliren: "wie hast gerade du dich zu ernaehren, um zu deinem Maximum von Kraft, von Virtu im Renaissance-Stile, von moralinfreier Tugend zu kommen?" - Meine Erfahrungen sind hier so schlimm als moeglich; ich bin erstaunt, diese Frage so spaet gehoert, aus diesen Erfahrungen so spaet "Vernunft" gelernt zu haben. Nur die vollkommne Nichtswuerdigkeit unsrer deutschen Bildung - ihr "Idealismus" - erklaert mir einigermaassen, weshalb ich gerade hier rueckstaendig bis zur Heiligkeit war. Diese "Bildung", welche von vornherein die Realitaeten aus den Augen verlieren lehrt, um durchaus problematischen, sogenannten "idealen" Zielen nachzujagen, zum Beispiel der "klassischen Bildung": - als ob es nicht von vornherein verurtheilt waere, "klassisch", und "deutsch" in Einen Begriff zu einigen! Mehr noch, es wirkt erheiternd, - man denke sich einmal einen "klassisch gebildeten" Leipziger! - In der That, ich habe bis zu meinen reifsten Jahren immer nur schlecht gegessen, - moralisch ausgedrueckt "unpersoenlich", "selbstlos", "altruistisch", zum Heil der Koeche und andrer Mitchristen. Ich verneinte zum Beispiel durch Leipziger Kueche, gleichzeitig mit meinem ersten Studium Schopenhauer's (1865), sehr ernsthaft meinen "Willen zum Leben". Sich zum Zweck unzureichender Ernaehrung auch noch den Magen verderben - dies Problem schien mir die genannte Kueche zum Verwundern gluecklich zu loesen. (Man sagt, 1866 habe darin eine Wendung hervorgebracht -.) Aber die deutsche Kueche ueberhaupt - was hat sie nicht Alles auf dem Gewissen! Die Suppe vor der Mahlzeit (noch in Venetianischen Kochbuechern des 16. Jahrhunderts alla tedesca genannt); die ausgekochten Fleische, die fett und mehlig gemachten Gemuese; die Entartung der Mehlspeise zum Briefbeschwerer! Rechnet man gar noch die geradezu viehischen Nachguss-Beduerfnisse der alten, durchaus nicht bloss alten Deutschen dazu, so versteht man auch die Herkunft des deutschen Geistes - aus betruebten Eingeweiden... Der deutsche Geist ist eine Indigestion, er wird mit Nichts fertig. - Aber auch die englische Diaet, die, im Vergleich mit der deutschen, selbst der franzoesischen, eine Art "Rueckkehr zur Natur", naemlich zum Canibalismus ist, geht meinem eignen Instinkt tief zuwider; es scheint mir, dass sie dem Geist schwere Fuesse giebt - Englaenderinnen-Fuesse... Die beste Kueche ist die Piemont's. - Alkoholika sind mir nachtheilig; ein Glas Wein oder Bier des Tags reicht vollkommen aus, mir aus dem Leben ein "Jammerthal" zu machen, - in Muenchen leben meine Antipoden. Gesetzt, dass ich dies ein wenig spaet begriff, erlebt habe ich's eigentlich von Kindesbeinen an. Als Knabe glaubte ich, Weintrinken sei wie Tabakrauchen anfangs nur eine Vanitas junger Maenner, spaeter eine schlechte Gewoehnung. Vielleicht, dass an diesem herben Urtheil auch der Naumburger Wein mit schuld ist. Zu glauben, dass der Wein erheitert, dazu muesste ich Christ sein, will sagen glauben, was gerade fuer mich eine Absurditaet ist. Seltsam genug, bei dieser extremen Verstimmbarkeit durch kleine, stark verduennte Dosen Alkohol, werde ich beinahe zum Seemann, wenn es sich um starke Dosen handelt. Schon als Knabe hatte ich hierin meine Tapferkeit. Eine lange lateinische Abhandlung in Einer Nachtwache niederzuschreiben und auch noch abzuschreiben, mit dem Ehrgeiz in der Feder, es meinem Vorbilde Sallust in Strenge und Gedraengtheit nachzuthun und einigen Grog von schwerstem Kaliber ueber mein Latein zu giessen, dies stand schon, als ich Schueler der ehrwuerdigen Schulpforta war, durchaus nicht im Widerspruch zu meiner Physiologie, noch vielleicht auch zu der des Sallust wie sehr auch immer zur ehrwuerdigen Schulpforta... Spaeter, gegen die Mitte des Lebens hin, entschied ich mich freilich immer strenger gegen jedwedes "geistige" Getraenk: ich, ein Gegner des Vegetarierthums aus Erfahrung, ganz wie Richard Wagner, der mich bekehrt hat, weiss nicht ernsthaft genug die unbedingte Enthaltung von Alcoholicis allen geistigeren Naturen anzurathen. Wasser thut's... Ich ziehe Orte vor, wo man ueberall Gelegenheit hat, aus fliessenden Brunnen zu schoepfen (Nizza, Turin, Sils); ein kleines Glas laeuft mir nach wie ein Hund. In vino veritas: es scheint, dass ich auch hier wieder ueber den Begriff "Wahrheit" mit aller Welt uneins bin: - bei mir schwebt der Geist ueber dem Wasser... Ein paar Fingerzeige noch aus meiner Moral. Eine starke Mahlzeit ist leichter zu verdauen als eine zu kleine. Dass der Magen als Ganzes in Thaetigkeit tritt, erste Voraussetzung einer guten Verdauung. Man muss die Groesse seines Magens kennen. Aus gleichem Grunde sind jene langwierigen Mahlzeiten zu widerrathen, die ich unterbrochne Opferfeste nenne, die an der table d'hote. - Keine Zwischenmahlzeiten, keinen Cafe: Cafe verduestert. Thee nur morgens zutraeglich. Wenig, aber energisch; Thee sehr nachtheilig und den ganzen Tag ankraenkelnd, wenn er nur um einen Grad zu schwach ist. Jeder hat hier sein Maass, oft zwischen den engsten und delikatesten Grenzen. In einem sehr agacanten Klima ist Thee als Anfang unraethlich: man soll eine Stunde vorher eine Tasse dicken entoelten Cacao's den Anfang machen lassen. - So wenig als moeglich sitzen; keinem Gedanken Glauben schenken, der nicht im Freien geboren ist und bei freier Bewegung, in dem nicht auch die Muskeln ein Fest feiern. Alle Vorurtheile kommen aus den Eingeweiden. - Das Sitzfleisch - ich sagte es schon einmal - die eigentliche Suende wider den heiligen Geist. 2. Mit der Frage der Ernaehrung ist naechstverwandt die Frage nach Ort und Klima. Es steht Niemandem frei, ueberall zu leben; und wer grosse Aufgaben zu loesen hat, die seine ganze Kraft herausfordern, hat hier sogar eine sehr enge Wahl. Der klimatische Einfluss auf den Stoffwechsel, seine Hemmung, seine Beschleunigung, geht so weit, dass ein Fehlgriff in Ort und Klima jemanden nicht nur seiner Aufgabe entfremden, sondern ihm dieselbe ueberhaupt vorenthalten kann: er bekommt sie nie zu Gesicht. Der animalische vigor ist nie gross genug bei ihm geworden, dass jene ins Geistigste ueberstroemende Freiheit erreicht wird, wo jemand erkennt: das kann ich allein... Eine zur schlechten Gewohnheit gewordne noch so kleine Eingeweide-Traegheit genuegt vollstaendig, um aus einem Genie etwas Mittelmaessiges, etwas "Deutsches", zu machen; das deutsche Klima allein ist ausreichend, um starke und selbst heroisch angelegte Eingeweide zu entmuthigen. Das tempo des Stoffwechsels steht in einem genauen Verhaeltniss zur Beweglichkeit oder Lahmheit der Fuesse des Geistes; der "Geist" selbst ist ja nur eine Art dieses Stoffwechsels. Man stelle sich die Orte zusammen, wo es geistreiche Menschen giebt und gab, wo Witz, Raffinement, Bosheit zum Glueck gehoerten, wo das Genie fast nothwendig sich heimisch machte: sie haben alle eine ausgezeichnet trockne Luft. Paris, die Provence, Florenz, Jerusalem, Athen - diese Namen beweisen Etwas: das Genie ist bedingt durch trockne Luft, durch reinen Himmel, - das heisst durch rapiden Stoffwechsel, durch die Moeglichkeit, grosse, selbst ungeheure Mengen Kraft sich immer wieder zuzufuehren. Ich habe einen Fall vor Augen, wo ein bedeutend und frei angelegter Geist bloss durch Mangel an Instinkt-Feinheit im Klimatischen eng, verkrochen, Specialist und Sauertopf wurde. Und ich selber haette zuletzt dieser Fall werden koennen, gesetzt, dass mich nicht die Krankheit zur Vernunft, zum Nachdenken ueber die Vernunft in der Realitaet gezwungen haette. Jetzt, wo ich die Wirkungen klimatischen und meteorologischen Ursprungs aus langer Uebung an mir als an einem sehr feinen und zuverlaessigen Instrumente ablese und bei einer kurzen Reise schon, etwa von Turin nach Mailand, den Wechsel in den Graden der Luftfeuchtigkeit physiologisch bei mir nachrechne, denke ich mit Schrecken an die unheimliche Tatsache, dass mein Leben bis auf die letzten 10 Jahre, die lebensgefaehrlichen Jahre, immer sich nur in falschen und mir geradezu verbotenen Orten abgespielt hat. Naumburg, Schulpforta, Thueringen ueberhaupt, Leipzig, Basel - ebenso viele Ungluecks-Orte fuer meine Physiologie. Wenn ich ueberhaupt von meiner ganzen Kindheit und Jugend keine willkommne Erinnerung habe, so waere es eine Thorheit, hier sogenannte "moralische" Ursachen geltend zu machen, - etwa den unbestreitbaren Mangel an zureichender Gesellschaft: denn dieser Mangel besteht heute wie er immer bestand, ohne dass er mich hinderte, heiter und tapfer zu sein. Sondern die Unwissenheit in physiologicis - der verfluchte "Idealismus" - ist das eigentliche Verhaengniss in meinem Leben, das ueberfluessige und Dumme darin, Etwas, aus dem nichts Gutes gewachsen, fuer das es keine Ausgleichung, keine Gegenrechnung giebt. Aus den Folgen dieses "Idealismus" erklaere ich mir alle Fehlgriffe, alle grossen Instinkt-Abirrungen und "Bescheidenheiten" abseits der Aufgabe meines Lebens, zum Beispiel, dass ich Philologe wurde - warum zum Mindesten nicht Arzt oder sonst irgend etwas Augen-Aufschliessendes? In meiner Basler Zeit war meine ganze geistige Diaet, die Tages-Eintheilung eingerechnet, ein vollkommen sinnloser Missbrauch ausserordentlicher Kraefte, ohne eine irgendwie den Verbrauch deckende Zufuhr von Kraeften, ohne ein Nachdenken selbst ueber Verbrauch und Ersatz. Es fehlte jede feinere Selbstigkeit, jede Obhut eines gebieterischen Instinkts, es war ein Sich-gleichsetzen mit Irgendwem, eine "Selbstlosigkeit", ein Vergessen seiner Distanz, - Etwas, das ich mir nie verzeihe. Als ich fast am Ende war, dadurch das sich fast am Ende war, wurde ich nachdenklich ueber diese Grund-Unvernunft meines Lebens - den "Idealismus". Die Krankheit brachte mich erst zur Vernunft. - 3. Die Wahl in der Ernaehrung; die Wahl von Klima und Ort; das Dritte, worin man um keinen Preis einen Fehlgriff thun darf, ist die Wahl seiner Art Erholung. Auch hier sind je nach dem Grade, in dem ein Geist sui generis ist, die Grenzen des ihm Erlaubten, das heisst Nuetzlichen, eng und enger. In meinem Fall gehoert alles Lesen zu meinen Erholungen: folglich zu dem, was mich von mir losmacht, was mich in fremden Wissenschaften und Seelen spazieren gehn laesst, - was ich nicht mehr ernst nehme. Lesen erholt mich eben von meinem Ernste. In tief arbeitsamen Zeiten sieht man keine Buecher bei mir: ich wuerde mich hueten, jemanden in meiner Naehe reden oder gar denken zu lassen. Und das hiesse ja lesen... Hat man eigentlich beobachtet, dass in jener tiefen Spannung, zu der die Schwangerschaft den Geist und im Grunde den ganzen Organismus verurtheilt, der Zufall, jede Art Reiz von aussen her zu vehement wirkt, zu tief "einschlaegt"? Man muss dem Zufall, dem Reiz von aussen her so viel als moeglich aus dem Wege gehn; eine Art Selbst-Vermauerung gehoert zu den ersten Instinkt-Klugheiten der geistigen Schwangerschaft. Werde ich es erlauben, dass ein fremder Gedanke heimlich ueber die Mauer steigt? - Und das hiesse ja lesen... Auf die Zeiten der Arbeit und Fruchtbarkeit folgt die Zeit der Erholung: heran mit euch, ihr angenehmen, ihr geistreichen, ihr gescheuten Buecher! - Werden es deutsche Buecher sein?... Ich muss ein Halbjahr zurueckrechnen, dass ich mich mit einem Buch in der Hand ertappe. Was war es doch? - Eine ausgezeichnete Studie von Victor Brochard, les Sceptiques Grecs, in der auch meine Laertiana gut benutzt sind. Die Skeptiker, der einzige ehrenwerthe Typus unter dem so zwei- bis fuenfdeutigen Volk der Philosophen!... Sonst nehme ich meine Zuflucht fast immer zu den selben Buechern, einer kleinen Zahl im Grunde, den gerade fuer mich bewiesenen Buechern. Es liegt vielleicht nicht in meiner Art, Viel und Vielerlei zu lesen: ein Lesezimmer macht mich krank. Es liegt auch nicht in meiner Art, Viel oder Vielerlei zu lieben. Vorsicht, selbst Feindseligkeit gegen neue Buecher gehoert eher schon zu meinem Instinkte, als "Toleranz", "largeur du coeur" und andre "Naechstenliebe"... Im Grunde ist es eine kleine Anzahl aelterer Franzosen zu denen ich immer wieder zurueckkehre: ich glaube nur an franzoesische Bildung und halte Alles, was sich sonst in Europa "Bildung" nennt, fuer Missverstaendniss, nicht zu reden von der deutschen Bildung... Die wenigen Faelle hoher Bildung, die ich in Deutschland vorfand, waren alle franzoesischer Herkunft, vor Allem Frau Cosima Wagner, bei weitem die erste Stimme in Fragen des Geschmacks, die ich gehoert habe... Dass ich Pascal nicht lese, sondern liebe, als das lehrreichste Opfer des Christenthums, langsam hingemordet, erst leiblich, dann psychologisch, die ganze Logik dieser schauderhaftesten Form unmenschlicher Grausamkeit; dass ich Etwas von Montaigne's Muthwillen im Geiste, wer weiss? vielleicht auch im Leibe habe; dass mein Artisten-Geschmack die Namen Moliere, Corneille und Racine nicht ohne Ingrimm gegen ein wuestes Genie wie Shakespeare in Schutz nimmt: das schliesst zuletzt nicht aus, dass mir nicht auch die allerletzten Franzosen eine charmante Gesellschaft waeren. Ich sehe durchaus nicht ab, in welchem Jahrhundert der Geschichte man so neugierige und zugleich so delikate Psychologen zusammenfischen koennte, wie im jetzigen Paris: ich nenne versuchsweise - denn ihre Zahl ist gar nicht klein - die Herrn Paul Bourget, Pierre Loti, Gyp, Meilhac, Anatole France, Jules Lemaitre, oder um Einen von der starken Rasse hervorzuheben, einen echten Lateiner, dem ich besonders zugethan bin, Guy de Maupassant. Ich ziehe diese Generation, unter uns gesagt, sogar ihren grossen Lehrern vor, die allesammt durch deutsche Philosophie verdorben sind: Herr Taine zum Beispiel durch Hegel, dem er das Missverstaendniss grosser Menschen und Zeiten verdankt. So weit Deutschland reicht, verdirbt es die Cultur. Der Krieg erst hat den Geist in Frankreich "erloest"... Stendhal, einer der schoensten Zufaelle meines Lebens - denn Alles, was in ihm Epoche macht, hat der Zufall, niemals eine Empfehlung mir zugetrieben - ist ganz unschaetzbar mit seinem vorwegnehmenden Psychologen-Auge, mit seinem Thatsachen-Griff, der an die Naehe des groessten Thatsaechlichen erinnert (ex ungue Napoleonem -); endlich nicht am Wenigsten als ehrlicher Atheist, eine in Frankreich spaerliche und fast kaum auffindbare species, - Prosper Merimee in Ehren... Vielleicht bin ich selbst auf Stendhal neidisch? Er hat mir den besten Atheisten-Witz weggenommen, den gerade ich haette machen koennen: "die einzige Entschuldigung Gottes ist, dass er nicht existirt"... Ich selbst habe irgendwo gesagt: was war der groesste Einwand gegen das Dasein bisher? Gott... 4. Den hoechsten Begriff vom Lyriker hat mir Heinrich Heine gegeben. Ich suche umsonst in allen Reichen der Jahrtausende nach einer gleich suessen und leidenschaftlichen Musik. Er besass jene goettliche Bosheit, ohne die ich mir das Vollkommne nicht zu denken vermag, - ich schaetze den Werth von Menschen, von Rassen darnach ab, wie nothwendig sie den Gott nicht abgetrennt vom Satyr zu verstehen wissen. - Und wie er das Deutsche handhabt! Man wird einmal sagen, dass Heine und ich bei weitem die ersten Artisten der deutschen Sprache gewesen sind - in einer unausrechenbaren Entfernung von Allem, was blosse Deutsche mit ihr gemacht haben. - Mit Byrons Manfred muss ich tief verwandt sein: ich fand alle diese Abgruende in mir, - mit dreizehn Jahren war ich fuer dies Werk reif. Ich habe kein Wort, bloss einen Blick fuer die, welche in Gegenwart des Manfred das Wort Faust auszusprechen wagen. Die Deutschen sind unfaehig jedes Begriffs von Groesse: Beweis Schumann. Ich habe eigens, aus Ingrimm gegen diesen suesslichen Sachsen, eine Gegenouvertuere zum Manfred componirt, von der Hans von Buelow sagte, dergleichen habe er nie auf Notenpapier gesehn: das sei Nothzucht an der Euterpe. - Wenn ich meine hoechste Formel fuer Shakespeare suche, so finde ich immer nur die, dass er den Typus Caesar concipirt hat. Dergleichen erraeth man nicht, - man ist es oder man ist es nicht. Der grosse Dichter schoepft nur aus seiner Realitaet - bis zu dem Grade, dass er hinterdrein sein Werk nicht mehr aushaelt... Wenn, ich einen Blick in meinen Zarathustra geworfen habe, gehe ich eine halbe Stunde im Zimmer auf und ab, unfaehig, ueber einen unertraeglichen Krampf von Schluchzen Herr zu werden. - Ich kenne keine herzzerreissendere Lektuere als Shakespeare: was muss ein Mensch gelitten haben, um dergestalt es noethig zu haben, Hanswurst zu sein! - Versteht man den Hamlet? Nicht der Zweifel, die Gewissheit ist das, was wahnsinnig macht... Aber dazu muss man tief, Abgrund, Philosoph sein, um so zu fuehlen... Wir fuerchten uns Alle vor der Wahrheit... Und, dass ich es bekenne: ich bin dessen instinktiv sicher und gewiss, dass Lord Bacon der Urheber, der Selbstthierquaeler dieser unheimlichsten Art Litteratur ist: was geht mich das erbarmungswuerdige Geschwaetz amerikanischer Wirr- und Flachkoepfe an? Aber die Kraft zur maechtigsten Realitaet der Vision ist nicht nur vertraeglich mit der maechtigsten Kraft zur That, zum Ungeheuren der That, zum Verbrechen sie setzt sie selbst voraus... Wir wissen lange nicht genug von Lord Bacon, dem ersten Realisten in jedem grossen Sinn des Wortes, um zu wissen, was er Alles gethan, was er gewollt, was er mit sich erlebt hat... Und zum Teufel, mein[e] Herrn Kritiker! Gesetzt, ich haette meinen Zarathustra auf einen fremden Namen getauft, zum Beispiel auf den von Richard Wagner, der Scharfsinn von zwei Jahrtausenden haette nicht ausgereicht, zu errathen, dass der Verfasser von "Menschliches, Allzumenschliches" der Visionaer des Zarathustra ist... 5. Hier, wo ich von den Erholungen meines Lebens rede, habe ich ein Wort noethig, um meine Dankbarkeit fuer das auszudruecken, was mich in ihm bei weitem am Tiefsten und Herzlichsten erholt hat. Dies ist ohne allen Zweifel der intimere Verkehr mit Richard Wagner gewesen. Ich lasse den Rest meiner menschlichen Beziehungen billig; ich moechte um keinen Preis die Tage von Tribschen aus meinem Leben weggeben, Tage des Vertrauens, der Heiterkeit, der sublimen Zufaelle - der tiefen Augenblicke... Ich weiss nicht, was Andre mit Wagner erlebt haben: ueber unsern Himmel ist nie eine Wolke hinweggegangen. - Und hiermit komme ich nochmals auf Frankreich zurueck, - ich habe keine Gruende, ich habe bloss einen verachtenden Mundwinkel gegen Wagnerianer et hoc genus omne uebrig, welche Wagner damit zu ehren glauben, dass sie ihn sich aehnlich finden... So wie ich bin, in meinen tiefsten Instinkten Allem, was deutsch ist, fremd, so dass schon die Naehe eines Deutschen meine Verdauung verzoegert, war die erste Beruehrung mit Wagner auch das erste Aufathmen in meinem Leben: ich empfand, ich verehrte ihn als Ausland, als Gegensatz, als leibhaften Protest gegen alle "deutschen Tugenden" - Wir, die wir in der Sumpfluft der Fuenfziger Jahre Kinder gewesen sind, sind mit Nothwendigkeit Pessimisten fuer den Begriff "deutsch"; wir koennen gar nichts Anderes sein als Revolutionaere, - wir werden keinen Zustand der Dinge zugeben, wo der Mucker obenauf ist. Es ist mir vollkommen gleichgueltig, ob er heute in andren Farben spielt, ob er sich in Scharlach kleidet und Husaren-Uniformen anzieht... Wohlan! Wagner war ein Revolutionaer - er lief vor den Deutschen davon... Als Artist hat man keine Heimat in Europa ausser in Paris; die delicatesse in allen fuenf Kunstsinnen, die Wagner's Kunst voraussetzt, die Finger fuer nuances, die psychologische Morbiditaet, findet sich nur in Paris. Man hat nirgendswo sonst diese Leidenschaft in Fragen der Form, diesen Ernst in der mise en scene - es ist der Pariser Ernst par excellence. Man hat in Deutschland gar keinen Begriff von der ungeheuren Ambition, die in der Seele eines Pariser Kuenstlers lebt. Der Deutsche ist gutmuethig - Wagner war durchaus nicht gutmuethig... Aber ich habe schon zur Genuege ausgesprochen (in "Jenseits von Gut und Boese" S. 256 f.), wohin Wagner gehoert, in wem er seine Naechstverwandten hat: es ist die franzoesische Spaet-Romantik, jene hochfliegende und hoch emporreissende Art von Kuenstlern wie Delacroix, wie Berlioz, mit einem fond von Krankheit, von Unheilbarkeit im Wesen, lauter Fanatiker des Ausdrucks, Virtuosen durch und durch... Wer war der erste intelligente Anhaenger Wagner's ueberhaupt? Charles Baudelaire, derselbe, der zuerst Delacroix verstand, jener typische decadent, in dem sich ein ganzes Geschlecht von Artisten wiedererkannt hat - er war vielleicht auch der letzte... Was ich Wagnern nie vergeben habe? Dass er zu den Deutschen condescendirte, - dass er reichsdeutsch wurde... Soweit Deutschland reicht, verdirbt es die Cultur. - 6. Alles erwogen, haette ich meine Jugend nicht ausgehalten ohne Wagnerische Musik. Denn ich war verurtheilt zu Deutschen. Wenn man von einem unertraeglichen Druck loskommen will, so hat man Haschisch noethig. Wohlan, ich hatte Wagner noethig. Wagner ist das Gegengift gegen alles Deutsche par excellence, - Gift, ich bestreite es nicht... Von dem Augenblick an, wo es einen Klavierauszug des Tristan gab - mein Compliment, Herr von Buelow! -, war ich Wagnerianer. Die aelteren Werke Wagner's sah ich unter mir - noch zu gemein, zu "deutsch"... Aber ich suche heute noch nach einem Werke von gleich gefaehrlicher Fascination, von einer gleich schauerlichen und suessen Unendlichkeit, wie der Tristan ist, - ich suche in allen Kuensten vergebens. Alle Fremdheiten Lionardo da Vinci's entzaubern sich beim ersten Tone des Tristan. Dies Werk ist durchaus das non plus ultra Wagner's; er erholte sich von ihm mit den Meistersingern und dem Ring. Gesuender werden - das ist ein Rueckschritt bei einer Natur wie Wagner... Ich nehme es als Glueck ersten Rangs, zur rechten Zeit gelebt und gerade unter Deutschen gelebt zu haben, um reif fuer dies Werk zu sein: so weit geht bei mir die Neugierde des Psychologen. Die Welt ist arm fuer den, der niemals krank genug fuer diese "Wollust der Hoelle" gewesen ist: es ist erlaubt, es ist fast geboten, hier eine Mystiker-Formel anzuwenden. - Ich denke, ich kenne besser als irgend jemand das Ungeheure, das Wagner vermag, die fuenfzig Welten fremder Entzueckungen, zu denen Niemand ausser ihm Fluegel hatte; und so wie ich bin, stark genug, um mir auch das Fragwuerdigste und Gefaehrlichste noch zum Vortheil zu wenden und damit staerker zu werden, nenne ich Wagner den grossen Wohlthaeter meines Lebens. Das, worin wir verwandt sind, dass wir tiefer gelitten haben, auch an einander, als Menschen dieses Jahrhunderts zu leiden vermoechten, wird unsre Namen ewig wieder zusammenbringen; und so gewiss Wagner unter Deutschen bloss ein Missverstaendniss ist, so gewiss bin ich's und werde es immer sein. - Zwei Jahrhunderte psychologische und artistische Diciplin zu erst, meine Herrn Germanen!... Aber das holt man nicht nach. 7. Ich sage noch ein Wort fuer die ausgesuchtesten Ohren: was ich eigentlich von der Musik will. Dass sie heiter und tief ist, wie ein Nachmittag im Oktober. Dass sie eigen, ausgelassen, zaertlich, ein kleines suesses Weib von Niedertracht und Anmuth ist... ich werde nie zulassen, dass ein Deutscher wissen koenne, was Musik ist. Was man deutsche Musiker nennt, die groessten voran, sind Auslaender, Slaven, Croaten, Italiaener, Niederlaender - oder Juden; im andren Falle Deutsche der starken Rasse, ausgestorbene Deutsche, wie Heinrich Schuetz, Bach und Haendel. Ich selbst bin immer noch Pole genug, um gegen Chopin den Rest der Musik hinzugeben: ich nehme, aus drei Gruenden, Wagner's Siegfried-Idyll aus, vielleicht auch Liszt, der die vornehmen Orchester-Accente vor allen Musikern voraus hat; zuletzt noch Alles, was jenseits der Alpen gewachsen ist - diesseits... Ich wuerde Rossini nicht zu missen wissen, noch weniger meinen Sueden in der Musik, die Musik meines Venediger maestro Pietro Gasti. Und wenn ich jenseits der Alpen sage, sage ich eigentlich nur Venedig. Wenn ich ein andres Wort fuer Musik suche, so finde ich immer nur das Wort Venedig. Ich weiss keinen Unterschied zwischen Thraenen und Musik zu machen, ich weiss das Glueck, den Sueden nicht ohne Schauder von Furchtsamkeit zu denken. An der Bruecke stand juengst ich in brauner Nacht. Fernher kam Gesang: goldener Tropfen quoll's ueber die zitternde Flaeche weg. Gondeln, Lichter, Musik trunken schwamm's in die Daemmrung hinaus... Meine Seele, ein Saitenspiel, sang sich, unsichtbar beruehrt, heimlich ein Gondellied dazu, zitternd vor bunter Seligkeit. - Hoerte Jemand ihr zu?... 8. In Alledem - in der Wahl von Nahrung, von Ort und Klima, von Erholung - gebietet ein Instinkt der Selbsterhaltung, der sich als Instinkt der Selbstvertheidigung am unzweideutigsten ausspricht. Vieles nicht sehn, nicht hoeren, nicht an sich herankommen lassen - erste Klugheit, erster Beweis dafuer, dass man kein Zufall, sondern eine Necessitaet ist. Das gangbare Wort fuer diesen Selbstvertheidigungs-Instinkt ist Geschmack. Sein Imperativ befiehlt nicht nur Nein zu sagen, wo das Ja eine "Selbstlosigkeit" sein wuerde, sondern auch sowenig als moeglich Nein zu sagen. Sich trennen, sich abscheiden von dem, wo immer und immer wieder das Nein noethig werden wuerde. Die Vernunft darin ist, dass Defensiv-Ausgaben, selbst noch so kleine, zur Regel, zur Gewohnheit werdend, eine ausserordentliche und vollkommen ueberfluessige Verarmung bedingen. Unsre grossen Ausgaben sind die haeufigsten kleinen. Das Abwehren, das Nicht-heran-kommen-lassen ist eine Ausgabe man taeusche sich hierueber nicht -, eine zu negativen Zwecken verschwendete Kraft. Man kann, bloss in der bestaendigen Noth der Abwehr, schwach genug werden, um sich nicht mehr wehren zu koennen. - Gesetzt, ich trete aus meinem Haus heraus und faende, statt des stillen und aristokratischen Turin, die deutsche Kleinstadt: mein Instinkt wuerde sich zu sperren haben, um Alles das zurueckzudraengen, was aus dieser plattgedrueckten und feigen Welt auf ihn eindringt. Oder ich faende die deutsche Grossstadt, dies gebaute Laster, wo nichts waechst, wo jedwedes Ding, Gutes und Schlimmes, eingeschleppt ist. Muesste ich nicht darueber zum Igel werden? - Aber Stacheln zu haben ist eine Vergeudung, ein doppelter Luxus sogar, wenn es freisteht, keine Stacheln zu haben, sondern offne Haende... Eine andre Klugheit und Selbstvertheidigung besteht darin, dass man so selten als moeglich reagirt und dass man sich Lagen und Bedingungen entzieht, wo man verurtheilt waere, seine "Freiheit", seine Initiative gleichsam auszuhaengen und ein blosses Reagens zu werden. Ich nehme als Gleichniss den Verkehr mit Buechern. Der Gelehrte, der im Grunde nur noch Buecher "waelzt" - der Philologe mit maessigem Ansatz des Tags ungefaehr 200 - verliert zuletzt ganz und gar das Vermoegen, von sich aus zu denken. Waelzt er nicht, so denkt er nicht. Er antwortet auf einen Reiz (- einen gelesenen Gedanken), wenn er denkt, - er reagirt zuletzt bloss noch. Der Gelehrte giebt seine ganze Kraft im Ja und Neinsagen, in der Kritik von bereits Gedachtem ab, - er selber denkt nicht mehr... Der Instinkt der Selbstvertheidigung ist bei ihm muerbe geworden; im andren Falle wuerde er sich gegen Buecher wehren. Der Gelehrte - ein decadent. - Das habe ich mit Augen gesehn: begabte, reich und frei angelegte Naturen schon in den dreissiger Jahren "zu Schanden gelesen", bloss noch Streichhoelzer, die man reiben muss, damit sie Funken - "Gedanken" geben. - Fruehmorgens beim Anbruch des Tags, in aller Frische, in der Morgenroethe seiner Kraft, ein Buch lesen - das nenne ich lasterhaft! - - 9. An dieser Stelle ist nicht mehr zu umgehn die eigentliche Antwort auf die Frage, wie man wird, was man ist, zu geben. Und damit beruehre ich das Meisterstueck in der Kunst der Selbsterhaltung - der Selbstsucht... Angenommen naemlich, dass die Aufgabe, die Bestimmung, das Schicksal der Aufgabe ueber ein durchschnittliches Maass bedeutend hinausliegt, so wuerde keine Gefahr groesser als sich selbst mit dieser Aufgabe zu Gesicht zu bekommen. Dass man wird, was man ist, setzt voraus, dass man nicht im Entferntesten ahnt, was man ist. Aus diesem Gesichtspunkte haben selbst die Fehlgriffe des Lebens ihren eignen Sinn und Werth, die zeitweiligen Nebenwege und Abwege, die Verzoegerungen, die "Bescheidenheiten", der Ernst, auf Aufgaben verschwendet, die jenseits der Aufgabe liegen. Darin kann eine grosse Klugheit, sogar die oberste Klugheit zum Ausdruck [kommen]: wo nosce te ipsum das Recept zum Untergang waere, wird Sich-Vergessen, Sich-Missverstehn, Sich-Verkleinern, -Verengern, -Vermittelmaessigen zur Vernunft selber. Moralisch ausgedrueckt: Naechstenliebe, Leben fuer Andere und Anderes kann die Schutzmassregel zur Erhaltung der haertesten Selbstigkeit sein. Dies ist der Ausnahmefall, in welchem ich, gegen meine Regel und Ueberzeugung, die Partei der "selbstlosen" Triebe nehme: sie arbeiten hier im Dienste der Selbstsucht, Selbstzucht. - Man muss die ganze Oberflaeche des Bewusstseins - Bewusstsein ist eine Oberflaeche - rein erhalten von irgend einem der grossen Imperative. Vorsicht selbst vor jedem grossen Worte, jeder grossen Attituede! Lauter Gefahren, dass der Instinkt zu frueh "sich versteht" - - Inzwischen waechst und waechst die organisirende, die zur Herrschaft berufne "Idee" in der Tiefe, - sie beginnt zu befehlen, sie leitet langsam aus Nebenwegen und Abwegen zurueck, sie bereitet einzelne Qualitaeten und Tuechtigkeiten vor, die einmal als Mittel zum Ganzen sich unentbehrlich erweisen werden, - sie bildet der Reihe nach alle dienenden Vermoegen aus, bevor sie irgend Etwas von der dominirenden Aufgabe, von "Ziel", "Zweck", "Sinn" verlauten laesst. - Nach dieser Seite hin betrachtet ist mein Leben einfach wundervoll. Zur Aufgabe einer Umwerthung der Werthe waren vielleicht mehr Vermoegen noethig, als je in einem Einzelnen bei einander gewohnt haben, vor Allem auch Gegensaetze von Vermoegen, ohne dass diese sich stoeren, zerstoeren durften. Rangordnung der Vermoegen; Distanz; die Kunst zu trennen, ohne zu verfeinden; Nichts vermischen, Nichts "versoehnen"; eine ungeheure Vielheit, die trotzdem das Gegenstueck des Chaos ist - dies war die Vorbedingung, die lange geheime Arbeit und Kuenstlerschaft meines Instinkts. Seine hoehere Obhut zeigte sich in dem Maasse stark, dass ich in keinem Falle auch nur geahnt habe, was in mir waechst, - dass alle meine Faehigkeiten ploetzlich, reif, in ihrer letzten Vollkommenheit eines Tags hervorsprangen. Es fehlt in meiner Erinnerung, dass ich mich je bemueht haette, - es ist kein Zug von Ringen in meinem Leben nachweisbar, ich bin der Gegensatz einer heroischen Natur. Etwas "wollen", nach Etwas "streben", einen "Zweck", einen "Wunsch" im Auge haben das kenne ich Alles nicht aus Erfahrung. Noch in diesem Augenblick sehe ich auf meine Zukunft - eine weite Zukunft! wie auf ein glattes Meer hinaus: kein Verlangen kraeuselt sich auf ihm. Ich will nicht im Geringsten, dass Etwas anders wird als es ist; ich selber will nicht anders werden. Aber so habe ich immer gelebt. Ich habe keinen Wunsch gehabt. Jemand, der nach seinem vierundvierzigsten Jahre sagen kann, dass er sich nie um Ehren, um Weiber, um Geld bemueht hat! Nicht dass sie mir gefehlt haetten... So war ich zum Beispiel eines Tags Universitaetsprofessor, - ich hatte nie im Entferntesten an dergleichen gedacht, denn ich war kaum 24 Jahr alt. So war ich zwei Jahr frueher eines Tags Philolog: in dem Sinne, dass meine erste philologische Arbeit, mein Anfang in jedem Sinne, von meinem Lehrer Ritschl fuer sein "Rheinisches Museum" zum Druck verlangt wurde ( Ritschl - ich sage es mit Verehrung - der einzige geniale Gelehrte, den ich bis heute zu Gesicht bekommen habe. Er besass jene angenehme Verdorbenheit, die uns Thueringer auszeichnet und mit der sogar ein Deutscher sympathisch wird: - wir ziehn selbst, um zur Wahrheit zu gelangen, noch die Schleichwege vor. Ich moechte mit diesen Worten meinen naeheren Landsmann, den klugen Leopold von Ranke, durchaus nicht unterschaetzt haben...) 10. An dieser Stelle thut eine grosse Besinnung Noth. Man wird mich fragen, warum ich eigentlich alle diese kleinen und nach herkoemmlichem Urtheil gleichgueltigen Dinge erzaehlt habe; ich schade mir selbst damit, um so mehr, wenn ich grosse Aufgaben zu vertreten bestimmt sei. Antwort: diese kleinen Dinge Ernaehrung, Ort, Clima, Erholung, die ganze Casuistik der Selbstsucht - sind ueber alle Begriffe hinaus wichtiger als Alles, was man bisher wichtig nahm. Hier gerade muss man anfangen, umzulernen. Das, was die Menschheit bisher ernsthaft erwogen hat, sind nicht einmal Realitaeten, blosse Einbildungen, strenger geredet, Luegen aus den schlechten Instinkten kranker, im tiefsten Sinne schaedlicher Naturen heraus alle die Begriffe "Gott", "Seele", "Tugend", "Suende", "Jenseits", "Wahrheit", "ewiges Leben"... Aber man hat die Groesse der menschlichen Natur, ihre "Goettlichkeit" in ihnen gesucht... Alle Fragen der Politik, der Gesellschafts-Ordnung, der Erziehung sind dadurch bis in Grund und Boden gefaelscht, dass man die schaedlichsten Menschen fuer grosse Menschen nahm, - dass man die "kleinen" Dinge, will sagen die Grundangelegenheiten des Lebens selber verachten lehrte... Unsre jetzige Cultur ist im hoechsten Grade zweideutig... Der deutsche Kaiser mit dem Papst paktirend, als ob nicht der Papst der Repraesentant der Todfeindschaft gegen das Leben waere!... Das, was heute gebaut wird, steht in drei Jahren nicht mehr. - Wenn ich mich darnach messe, was ich kann, nicht davon zu reden, was hinter mir drein kommt, ein Umsturz, ein Aufbau ohne Gleichen, so habe ich mehr als irgend ein Sterblicher den Anspruch auf das Wort Groesse. Vergleiche ich mich nun mit den Menschen, die man bisher als erste Menschen ehrte, so ist der Unterschied handgreiflich. Ich rechne diese angeblich "Ersten" nicht einmal zu den Menschen ueberhaupt, - sie sind fuer mich Ausschuss der Menschheit, Ausgeburten von Krankheit und rachsuechtigen Instinkten: sie sind lauter unheilvolle, im Grunde unheilbare Unmenschen, die am Leben Rache nehmen... Ich will dazu der Gegensatz sein: mein Vorrecht ist, die hoechste Feinheit fuer alle Zeichen gesunder Instinkte zu haben. Es fehlt jeder krankhafte Zug an mir; ich bin selbst in Zeiten schwerer Krankheit nicht krankhaft geworden; umsonst, dass man in meinem Wesen einen Zug von Fanatismus sucht. Man wird mir aus keinem Augenblick meines Lebens irgend eine anmaassliche oder pathetische Haltung nachweisen koennen. Das Pathos der Attituede gehoert nicht zur Groesse; wer Attitueden ueberhaupt noethig hat, ist falsch... Vorsicht vor allen pittoresken Menschen! - Das Leben ist mir leicht geworden, am leichtesten, wenn es das Schwerste von mir verlangte. Wer mich in den siebzig Tagen dieses Herbstes gesehn hat, wo ich, ohne Unterbrechung, lauter Sachen ersten Ranges gemacht habe die kein Mensch mir nachmacht - oder vormacht, mit einer Verantwortlichkeit fuer alle Jahrtausende nach mir, wird keinen Zug von Spannung an mir wahrgenommen haben, um so mehr eine ueberstroemende Frische und Heiterkeit. Ich ass nie mit angenehmeren Gefuehlen, ich schlief nie besser. - Ich kenne keine andre Art, mit grossen Aufgaben zu verkehren als das Spiel: dies ist, als Anzeichen der Groesse, eine wesentliche Voraussetzung. Der geringste Zwang, die duestre Miene, irgend ein harter Ton im Halse sind alles Einwaende gegen einen Menschen, um wie viel mehr gegen sein Werk!... Man darf keine Nerven haben... Auch an der Einsamkeit leiden ist ein Einwand, - ich habe immer nur an der "Vielsamkeit" gelitten... In einer absurd fruehen Zeit, mit sieben Jahren, wusste ich bereits, dass mich nie ein menschliches Wort erreichen wuerde: hat man mich je darueber betruebt gesehn? - Ich habe heute noch die gleiche Leutseligkeit gegen Jedermann, ich bin selbst voller Auszeichnung fuer die Niedrigsten: in dem Allen ist nicht ein Gran von Hochmuth, von geheimer Verachtung. Wen ich verachte, der erraeth, dass er von mir verachtet wird: ich empoere durch mein blosses Dasein Alles, was schlechtes Blut im Leibe hat... Meine Formel fuer die Groesse am Menschen ist amor fati: dass man Nichts anders haben will, vorwaerts nicht, rueckwaerts nicht, in alle Ewigkeit nicht. Das Nothwendige nicht bloss ertragen, noch weniger verhehlen - aller Idealismus ist Verlogenheit vor dem Nothwendigen -, sondern es lieben... Warum ich so gute Buecher schreibe. 1. Das Eine bin ich, das Andre sind meine Schriften. - Hier werde, bevor ich von ihnen selber rede, die Frage nach dem Verstanden- oder Nicht-verstanden-werden dieser Schriften beruehrt. Ich thue es so nachlaessig, als es sich irgendwie schickt: denn diese Frage ist durchaus noch nicht an der Zeit. Ich selber bin noch nicht an der Zeit, Einige werden posthum geboren -- Irgend wann wird man Institutionen noethig haben, in denen man lebt und lehrt, wie ich leben und lehren verstehe; vielleicht selbst, dass man dann auch eigene Lehrstuehle zur Interpretation des Zarathustra errichtet. Aber es waere ein vollkommner Widerspruch zu mir, wenn ich heute bereits Ohren und Haende fuer meine Wahrheiten erwartete: dass man heute nicht hoert, dass man heute nicht von mir zu nehmen weiss, ist nicht nur begreiflich, es scheint mir selbst das Rechte. Ich will nicht verwechselt werden, - dazu gehoert, dass ich mich selber nicht verwechsele. - Nochmals gesagt, es ist wenig in meinem Leben nachweisbar von "boesem Willen"; auch von litterarischem "boesen Willen" wuesste ich kaum einen Fall zu erzaehlen. Dagegen zu viel von reiner Thorheit... Es scheint mir eine der seltensten Auszeichnungen, die Jemand sich erweisen kann, wenn er ein Buch von mir in die Hand nimmt, - ich nehme selbst an, er zieht dazu die Schuhe aus, - nicht von Stiefeln zu reden... Als sich einmal der Doktor Heinrich von Stein ehrlich darueber beklagte, kein Wort aus meinem Zarathustra zu verstehn, sagte ich ihm, das sei in Ordnung: sechs Saetze daraus verstanden, das heisst: erlebt haben, hebe auf eine hoehere Stufe der Sterblichen hinauf als "moderne" Menschen erreichen koennten. Wie koennte ich, mit diesem Gefuehle der Distanz, auch nur wuenschen, von den "Modernen", die ich kenne -, gelesen zu werden! - Mein Triumph ist gerade der umgekehrte, als der Schopenhauer's war, - ich sage "non legor, non legar". - Nicht, dass ich das Vergnuegen unterschaetzen moechte, das mir mehrmals die Unschuld im Neinsagen zu meinen Schriften gemacht hat. Noch in diesem Sommer, zu einer Zeit, wo ich vielleicht mit meiner schwerwiegenden, zu schwer wiegenden Litteratur den ganzen Rest von Litteratur aus dem Gleichgewicht zu bringen vermoechte, gab mir ein Professor der Berliner Universitaet wohlwollend zu verstehn, ich sollte mich doch einer andren Form bedienen: so Etwas lese Niemand. - Zuletzt war es nicht Deutschland, sondern die Schweiz, die die zwei extremen Faelle geliefert hat. Ein Aufsatz des Dr. V. Widmann im "Bund", ueber "Jenseits von Gut und Boese", unter dem Titel "Nietzsche's gefaehrliches Buch", und ein Gesammt-Bericht ueber meine Buecher ueberhaupt seitens des Herrn Karl Spitteler, gleichfalls im Bund, sind ein Maximum in meinem Leben - ich huete mich zu sagen wovon... Letzterer behandelte zum Beispiel meinen Zarathustra als "hoehere Stiluebung", mit dem Wunsche, ich moechte spaeter doch auch fuer Inhalt sorgen; Dr. Widmann drueckte mir seine Achtung vor dem Muth aus, mit dem ich mich um Abschaffung aller anstaendigen Gefuehle bemuehe. - Durch eine kleine Tuecke von Zufall war hier jeder Satz, mit einer Folgerichtigkeit, die ich bewundert habe, eine auf den Kopf gestellte Wahrheit: man hatte im Grunde Nichts zu thun, als alle "Werthe umzuwerthen", um, auf eine sogar bemerkenswerthe Weise, ueber mich den Nagel auf den Kopf zu treffen - statt meinen Kopf mit einem Nagel zu treffen... Um so mehr versuche ich eine Erklaerung. - Zuletzt kann Niemand aus den Dingen, die Buecher eingerechnet, mehr heraushoeren, als er bereits weiss. Wofuer man vom Erlebnisse her keinen Zugang hat, dafuer hat man kein Ohr. Denken wir uns nun einen aeussersten Fall, dass ein Buch von lauter Erlebnissen redet, die gaenzlich ausserhalb der Moeglichkeit einer haeufigen oder auch nur seltneren Erfahrung liegen, - dass es die erste Sprache fuer eine neue Reihe von Erfahrungen ist. In diesem Falle wird einfach Nichts gehoert, mit der akustischen Taeuschung, dass wo Nichts gehoert wird, auch Nichts da ist -. Dies ist zuletzt meine durchschnittliche Erfahrung und, wenn man will, die Originalitaet meiner Erfahrung. Wer Etwas von mir verstanden zu haben glaubte, hat sich Etwas aus mir zurecht gemacht, nach seinem Bilde, - nicht selten einen Gegensatz von mir, zum Beispiel einen "Idealisten"; wer Nichts von mir verstanden hatte, leugnete, dass ich ueberhaupt in Betracht kaeme. - Das Wort "Uebermensch" zur Bezeichnung eines Typus hoechster Wohlgerathenheit, im Gegensatz zu "modernen" Menschen, zu "guten" Menschen, zu Christen und andren Nihilisten - ein Wort, das im Munde eines Zarathustra, des Vernichters der Moral, ein sehr nachdenkliches Wort wird, ist fast ueberall mit voller Unschuld im Sinn derjenigen Werthe verstanden worden, deren Gegensatz in der Figur Zarathustra's zur Erscheinung gebracht worden ist, will sagen als "idealistischer" Typus einer hoeheren Art Mensch, halb "Heiliger", halb "Genie"... Andres gelehrtes Hornvieh hat mich seinethalben des Darwinismus verdaechtigt; selbst der von mir so boshaft abgelehnte "Heroen-Cultus", jenes grossen Falschmuenzers wider Wissen und Willen, Carlyle's, ist darin wiedererkannt worden. Wem ich ins Ohr fluesterte, er solle sich eher noch nach einem Cesare Borgia als nach einem Parsifal umsehn, der traute seinen Ohren nicht. - Dass ich gegen Besprechungen meiner Buecher, in Sonderheit durch Zeitungen, ohne jedwede Neugierde bin, wird man mir verzeihn muessen. Meine Freunde, meine Verleger wissen das und sprechen mir nicht von dergleichen. In einem besondren Falle bekam ich einmal Alles zu Gesicht, was ueber ein einzelnes Buch - es war "Jenseits von Gut und Boese" - gesuendigt worden ist; ich haette einen artigen Bericht darueber abzustatten. Sollte man es glauben, dass die Nationalzeitung - eine preussische Zeitung, fuer meine auslaendischen Leser bemerkt, ich selbst lese, mit Verlaub, nur das Journal des Debats - allen Ernstes das Buch als ein "Zeichen der Zeit" zu verstehn wusste, als die echte rechte Junker-Philosophie, zu der es der Kreuzzeitung nur an Muth gebreche? 2. Dies war fuer Deutsche gesagt: denn ueberall sonst habe ich Leser - lauter ausgesuchte Intelligenzen, bewaehrte, in hohen Stellungen und Pflichten erzogene Charaktere; ich habe sogar wirkliche Genies unter meinen Lesern. In Wien, in St. Petersburg, in Stockholm, in Kopenhagen, in Paris und New-York - ueberall bin ich entdeckt: ich bin es nicht in Europa's Flachland Deutschland... Und, dass ich es bekenne, ich freue mich noch mehr ueber meine Nicht-Leser, solche, die weder meinen Namen, noch das Wort Philosophie je gehoert haben; aber wohin ich komme, hier in Turin zum Beispiel, erheitert und verguetigt sich bei meinem Anblick jedes Gesicht. Was mir bisher am meisten geschmeichelt hat, das ist, dass alte Hoekerinnen nicht Ruhe haben, bevor sie mir nicht das Suesseste aus ihren Trauben zusammengesucht haben. Soweit muss man Philosoph sein. - Man nennt nicht umsonst die Polen die Franzosen unter den Slaven. Eine charmante Russin wird sich nicht einen Augenblick darueber vergreifen, wohin ich gehoere. Es gelingt mir nicht, feierlich zu werden, ich bringe es hoechstens bis zur Verlegenheit... Deutsch denken, deutsch fuehlen - ich kann Alles, aber das geht ueber meine Kraefte... Mein alter Lehrer Ritschl behauptete sogar, ich concipirte selbst noch meine philologischen Abhandlungen wie ein Pariser romancier - absurd spannend. In Paris selbst ist man erstaunt ueber "toutes mes audaces et finesses" - der Ausdruck ist von Monsieur Taine -; ich fuerchte, bis in die hoechsten Formen des Dithyrambus findet man bei mir von jenem Salze beigemischt, das niemals dumm - "deutsch" - wird, esprit... Ich kann nicht anders. Gott helfe mir! Amen. - Wir wissen Alle, Einige wissen es sogar aus Erfahrung, was ein Langohr ist. Wohlan, ich wage zu behaupten, dass ich die kleinsten Ohren habe. Dies interessirt gar nicht wenig die Weiblein -, es scheint mir, sie fuehlen sich besser von mir verstanden?... Ich bin der Antiesel par excellence und damit ein welthistorisches Unthier, - ich bin, auf griechisch, und nicht nur auf griechisch, der Antichrist... 3. Ich kenne einigermassen meine Vorrechte als Schriftsteller; in einzelnen Faellen ist es mir auch bezeugt, wie sehr die Gewoehnung an meine Schriften den Geschmack "verdirbt". Man haelt einfach andre Buecher nicht mehr aus, am wenigsten philosophische. Es ist eine Auszeichnung ohne Gleichen, in diese vornehme und delikate Welt einzutreten, - man darf dazu durchaus kein Deutscher sein; es ist zuletzt eine Auszeichnung, die man sich verdient haben muss. Wer mir aber durch Hoehe des Wollens verwandt ist, erlebt dabei wahre Ekstasen des Lernens: denn ich komme aus Hoehen, die kein Vogel je erflog, ich kenne Abgruende, in die noch kein Fuss sich verirrt hat. Man hat mir gesagt, es sei nicht moeglich, ein Buch von mir aus der Hand zu legen, - ich stoerte selbst die Nachtruhe... Es giebt durchaus keine stolzere und zugleich raffinirtere Art von Buechern: sie erreichen hier und da das Hoechste, was auf Erden erreicht werden kann, den Cynismus; man muss sie sich ebenso mit den zartesten Fingern wie mit den tapfersten Faeusten erobern. Jede Gebrechlichkeit der Seele schliesst aus davon, ein fuer alle Male, selbst jede Dyspepsie: man muss keine Nerven haben, man muss einen froehlichen Unterleib haben. Nicht nur die Armut, die Winkel-Luft einer Seele schliesst davon aus, noch viel mehr das Feige, das Unsaubere, das Heimlich-Rachsuechtige in den Eingeweiden: ein Wort von mir treibt alle schlechten Instinkte ins Gesicht. Ich habe an meinen Bekannten mehrere Versuchsthiere, an denen ich mir die verschiedene, sehr lehrreich verschiedene Reaktion auf meine Schriften zu Gemuethe fuehre. Wer nichts mit ihrem Inhalte zu thun haben will, meine sogenannten Freunde zum Beispiel, wird dabei "unpersoenlich": man wuenscht mir Glueck, wieder "so weit" zu sein, - auch ergaebe sich ein Fortschritt in einer groesseren Heiterkeit des Tons... Die vollkommen lasterhaften "Geister", die "schoenen Seelen", die in Grund und Boden Verlognen, wissen schlechterdings nicht, was sie mit diesen Buechern anfangen sollen, - folglich sehn sie dieselben unter sich, die schoene Folgerichtigkeit aller "schoenen Seelen". Das Hornvieh unter meinen Bekannten, blosse Deutsche, mit Verlaub, giebt zu verstehn, man sei nicht immer meiner Meinung, aber doch mitunter, zum Beispiel... Ich habe dies selbst ueber den Zarathustra gehoert... Insgleichen ist jeder "Femininismus" im Menschen, auch im Manne, ein Thorschluss fuer mich: man wird niemals in dies Labyrinth verwegener Erkenntnisse eintreten. Man muss sich selbst nie geschont haben, man muss die Haerte in seinen Gewohnheiten haben, um unter lauter harten Wahrheiten wohlgemuth und heiter zu sein. Wenn ich mir das Bild eines vollkommnen Lesers ausdenke, so wird immer ein Unthier von Muth und Neugierde daraus, ausserdem noch etwas Biegsames, Listiges, Vorsichtiges, ein geborner Abenteurer und Entdecker. Zuletzt: ich wuesste es nicht besser zu sagen, zu wem ich im Grunde allein rede, als es Zarathustra gesagt hat: wem allein will er sein Raethsel erzaehlen? Euch, den kuehnen Suchern, Versuchern, und wer je sich mit listigen Segeln auf furchtbare Meere einschiffte, - euch, den Raethsel-Trunkenen, den Zwielicht-Frohen, deren Seele mit Floeten zu jedem Irrschlunde gelockt wird: - denn nicht wollt ihr mit feiger Hand einem Faden nachtasten; und wo ihr errathen koennt, da hasst ihr es, zu erschliessen... 4. Ich sage zugleich noch ein allgemeines Wort ueber meine Kunst des Stils. Einen Zustand, eine innere Spannung von Pathos durch Zeichen, eingerechnet das tempo dieser Zeichen, mitzutheilen - das ist der Sinn jedes Stils; und in Anbetracht, dass die Vielheit innerer Zustaende bei mir ausserordentlich ist, giebt es bei mir viele Moeglichkeiten des Stils - die vielfachste Kunst des Stils ueberhaupt, ueber die je ein Mensch verfuegt hat. Gut ist jeder Stil, der einen inneren Zustand wirklich mittheilt, der sich ueber die Zeichen, ueber das tempo der Zeichen, ueber die Gebaerden - alle Gesetze der Periode sind Kunst der Gebaerde - nicht vergreift. Mein Instinkt ist hier unfehlbar. - Guter Stil an sich - eine reine Thorheit, blosser "Idealismus", etwa, wie das "Schoene an sich", wie das "Gute an sich", wie das "Ding an sich"... Immer noch vorausgesetzt, dass es Ohren giebt - dass es Solche giebt, die eines gleichen Pathos faehig und wuerdig sind, dass die nicht fehlen, denen man sich mittheilen darf. - Mein Zarathustra zum Beispiel sucht einstweilen noch nach Solchen - ach! er wird noch lange zu suchen haben! - Man muss dessen werth sein, ihn zu hoeren... Und bis dahin wird es Niemanden geben, der die Kunst, die hier verschwendet worden ist, begreift: es hat nie jemand mehr von neuen, von unerhoerten, von wirklich erst dazu geschaffnen Kunstmitteln zu verschwenden gehabt. Dass dergleichen gerade in deutscher Sprache moeglich war, blieb zu beweisen: ich selbst haette es vorher am haertesten abgelehnt. Man weiss vor mir nicht, was man mit der deutschen Sprache kann, - was man ueberhaupt mit der Sprache kann. - Die Kunst des grossen Rhythmus, der grosse Stil der Periodik zum Ausdruck eines ungeheuren Auf und Nieder von sublimer, von uebermenschlicher, Leidenschaft ist erst von mir entdeckt; mit einem Dithyrambus wie dem letzten des dritten Zarathustra, "die sieben Siegel", ueberschrieben, flog ich tausend Meilen ueber das hinaus, was bisher Poesie hiess. 5. - Dass aus meinen Schriften ein Psychologe redet, der nicht seines Gleichen hat, das ist vielleicht die erste Einsicht, zu der ein guter Leser gelangt - ein Leser, wie ich ihn verdiene, der mich liest, wie gute alte Philologen ihren Horaz lasen. Die Saetze, ueber die im Grunde alle Welt einig ist, gar nicht zu reden von den Allerwelts-Philosophen, den Moralisten und andren Hohltoepfen, Kohlkoepfen - erscheinen bei mir als Naivetaeten des Fehlgriffs: zum Beispiel jener Glaube, dass "unegoistisch" und "egoistisch" Gegensaetze sind, waehrend das ego selbst bloss ein "hoeherer Schwindel", ein "Ideal" ist... Es giebt weder egoistische, noch unegoistische Handlungen: beide Begriffe sind psychologischer Widersinn. Oder der Satz "der Mensch strebt nach Glueck"... Oder der Satz "das Glueck ist der Lohn der Tugend"... Oder der Satz "Lust und Unlust sind Gegensaetze"... Die Circe der Menschheit, die Moral, hat alle psychologica in Grund und Boden gefaelscht - vermoralisirt - bis zu jenem schauderhaften Unsinn, dass die Liebe etwas "Unegoistisches" sein soll... Man muss fest auf sich sitzen, man muss tapfer auf seinen beiden Beinen stehn, sonst kann man gar nicht lieben. Das wissen zuletzt die Weiblein nur zu gut: sie machen sich den Teufel was aus selbstlosen, aus bloss objektiven Maennern... Darf ich anbei die Vermuthung wagen, dass ich die Weiblein kenne? Das gehoert zu meiner dionysischen Mitgift. Wer weiss? vielleicht bin ich der erste Psycholog des Ewig-Weiblichen. Sie lieben mich Alle - eine alte Geschichte: die verunglueckten Weiblein abgerechnet, die "Emancipirten", denen das Zeug zu Kindern abgeht. - Zum Glueck bin ich nicht Willens mich zerreissen zu lassen: das vollkommne Weib zerreisst, wenn es liebt... Ich kenne diese liebenswuerdigen Maenaden... Ah, was fuer ein gefaehrliches, schleichendes, unterirdisches kleines Raubthier! Und so angenehm dabei!... Ein kleines Weib, das seiner Rache nachrennt, wuerde das Schicksal selbst ueber den Haufen rennen. - Das Weib ist unsaeglich viel boeser als der Mann, auch klueger; Guete am Weibe ist schon eine Form der Entartung... Bei allen sogenannten "schoenen Seelen" giebt es einen physiologischen Uebelstand auf dem Grunde, - ich sage nicht Alles, ich wuerde sonst medicynisch werden. Der Kampf um gleiche Rechte ist sogar ein Symptom von Krankheit: jeder Arzt weiss das. - Das Weib, je mehr Weib es ist, wehrt sich ja mit Haenden und Fuessen gegen Rechte ueberhaupt: der Naturzustand, der ewige Krieg zwischen den Geschlechtern giebt ihm ja bei weitem den ersten Rang. - Hat man Ohren fuer meine Definition der Liebe gehabt? es ist die einzige, die eines Philosophen wuerdig ist. Liebe - in ihren Mitteln der Krieg, in ihrem Grunde der Todhass der Geschlechter. - Hat man meine Antwort auf die Frage gehoert, wie man ein Weib kurirt - "erloest"? Man macht ihm ein Kind. Das Weib hat Kinder noethig, der Mann ist immer nur Mittel: also sprach Zarathustra. - "Emancipation des Weibes" - das ist der Instinkthass des missrathenen, das heisst gebaeruntuechtigen Weibes gegen das wohlgerathene, - der Kampf gegen den "Mann" ist immer nur Mittel, Vorwand, Taktik. Sie wollen, indem sie sich hinaufheben, als "Weib an sich", als "hoeheres Weib", als "Idealistin" von Weib, das allgemeine Rang-Niveau des Weibes herunterbringen; kein sichereres Mittel dazu als Gymnasial-Bildung, Hosen und politische Stimmvieh-Rechte. Im Grunde sind die Emancipirten die Anarchisten in der Welt des "Ewig-Weiblichen", die Schlechtweggekommenen, deren unterster Instinkt Rache ist... Eine ganze Gattung des boesartigsten "Idealismus" - der uebrigens auch bei Maennern vorkommt, zum Beispiel bei Henrik Ibsen, dieser typischen alten Jungfrau - hat als Ziel das gute Gewissen, die Natur in der Geschlechtsliebe zu vergiften... Und damit ich ueber meine in diesem Betracht ebenso honnette als strenge Gesinnung keinen Zweifel lasse, will ich noch einen Satz aus meinem Moral-Codex gegen das Laster mittheilen: mit dem Wort Laster bekaempfe ich jede Art Widernatur oder wenn man schoene Worte liebt, Idealismus. Der Satz heisst: "die Predigt der Keuschheit ist eine oeffentliche Aufreizung zur Widernatur. Jede Verachtung des geschlechtlichen Lebens, jede Verunreinigung desselben durch den Begriff `unrein` ist das Verbrechen selbst am Leben, - ist die eigentliche Suende wider den heiligen Geist des Lebens." - 6. Um einen Begriff von mir als Psychologen zu geben, nehme ich ein curioses Stueck Psychologie, das in "Jenseits von Gut und Boese" vorkommt, - ich verbiete uebrigens jede Muthmassung darueber, wen ich an dieser Stelle beschreibe. "Das Genie des Herzens, wie es jener grosse Verborgene hat, der Versucher-Gott und geborne Rattenfaenger der Gewissen, dessen Stimme bis in die Unterwelt jeder Seele hinabzusteigen weiss, welcher nicht ein Wort sagt, nicht einen Blick blickt, in dem nicht eine Ruecksicht und Falte der Lockung laege, zu dessen Meisterschaft es gehoert, dass er zu scheinen versteht - und nicht das, was er ist, sondern was denen, die ihm folgen, ein Zwang mehr ist, um sich immer naeher an ihn zu draengen, um ihm immer innerlicher und gruendlicher zu folgen... Das Genie des Herzens, das alles Laute und Selbstgefaellige verstummen macht und horchen lehrt, das die rauhen Seelen glaettet und ihnen ein neues Verlangen zu kosten giebt, - still zu liegen, wie ein Spiegel, dass sich der tiefe Himmel auf ihnen spiegele... Das Genie des Herzens, das die toelpische und ueberrasche Hand zoegern und zierlicher greifen lehrt; das den verborgenen und vergessenen Schatz, den Tropfen Guete und suesser Geistigkeit unter truebem dickem Eise erraeth und eine Wuenschelruthe fuer jedes Korn Goldes ist, welches lange im Kerker vielen Schlammes und Sandes begraben lag... Das Genie des Herzens, von dessen Beruehrung jeder reicher fortgeht, nicht begnadet und ueberrascht, nicht wie von fremdem Gute beglueckt und bedrueckt, sondern reicher an sich selber, sich neuer als zuvor, aufgebrochen, von einem Thauwinde angeweht und ausgehorcht, unsicherer vielleicht, zaertlicher zerbrechlicher zerbrochener, aber voll Hoffnungen, die noch keinen Namen haben, voll neuen Willens und Stroemens, voll neuen Unwillens und Zurueckstroemens..." Die Geburt der Tragoedie. 1. Um gegen die "Geburt der Tragoedie" (1872) gerecht zu sein, wird man Einiges vergessen muessen. Sie hat mit dem gewirkt und selbst fascinirt, was an ihr verfehlt war - mit ihrer Nutzanwendung auf die Wagnerei, als ob dieselbe ein Aufgangs-Symptom sei. Diese Schrift war eben damit im Leben Wagner's ein Ereigniss: von da an gab es erst grosse Hoffnungen bei dem Namen Wagner. Noch heute erinnert man mich daran, unter Umstaenden mitten aus dem Parsifal heraus: wie ich es eigentlich auf dem Gewissen habe, dass eine so hohe Meinung ueber den Cultur-Werth dieser Bewegung obenauf gekommen sei. - Ich fand die Schrift mehrmals citirt als "die Wiedergeburt der Tragoedie aus dem Geiste der Musik": man hat nur Ohren fuer eine neue Formel der Kunst, der Absicht, der Aufgabe Wagner's gehabt, - darueber wurde ueberhoert, was die Schrift im Grunde Werthvolles barg. "Griechenthum und Pessimismus": das waere ein unzweideutigerer Titel gewesen: naemlich als erste Belehrung darueber, wie die Griechen fertig wurden mit dem Pessimismus, - womit sie ihn ueberwanden... Die Tragoedie gerade ist der Beweis dafuer, dass die Griechen keine Pessimisten waren: Schopenhauer vergriff sich hier, wie er sich in Allem vergriffen hat. - Mit einiger Neutralitaet in die Hand genommen, sieht die "Geburt der Tragoedie" sehr unzeitgemaess aus: man wuerde sich nicht traeumen lassen, dass sie unter den Donnern der Schlacht bei Woerth begonnen wurde. Ich habe diese Probleme vor den Mauern von Metz, in kalten September-Naechten, mitten im Dienste der Krankenpflege, durchgedacht; man koennte eher schon glauben, dass die Schrift fuenfzig Jahre aelter sei. Sie ist politisch indifferent, - "undeutsch", wird man heute sagen - sie riecht anstoessig Hegelisch, sie ist nur in einigen Formeln mit dem Leichenbitter-parfum Schopenhauer's behaftet. Eine "Idee" - der Gegensatz dionysisch und apollinisch - ins Metaphysische uebersetzt; die Geschichte selbst als die Entwicklung dieser "Idee"; in der Tragoedie der Gegensatz zur Einheit aufgehoben; unter dieser Optik Dinge, die noch nie einander ins Gesicht gesehn hatten, ploetzlich gegenueber gestellt, aus einander beleuchtet und begriffen... Die Oper zum Beispiel und die Revolution. - Die zwei entscheidenden Neuerungen des Buchs sind einmal das Verstaendniss des dionysischen Phaenomens bei den Griechen: es giebt dessen erste Psychologie, es sieht in ihm die Eine Wurzel der ganzen griechischen Kunst. Das Andre ist das Verstaendniss des Sokratismus: Sokrates als Werkzeug der griechischen Aufloesung, als typischer decadent zum ersten Male erkannt. "Vernuenftigkeit", gegen Instinkt. Die "Vernuenftigkeit" um jeden Preis als gefaehrliche, als leben-untergrabende Gewalt! - Tiefes feindseliges Schweigen ueber das Christenthum im ganzen Buche. Es ist weder apollinisch, noch dionysisch; es negirt alle aesthetischen Werthe - die einzigen Werthe, die die "Geburt der Tragoedie" anerkennt: es ist im tiefsten Sinne nihilistisch, waehrend im dionysischen Symbol die aeusserste Grenze der Bejahung erreicht ist. Einmal wird auf die christlichen Priester wie auf eine "tueckische Art von Zwergen", von "Unterirdischen" angespielt... 2. Dieser Anfang ist ueber alle Maassen merkwuerdig. Ich hatte zu meiner innersten Erfahrung das einzige Gleichniss und Seitenstueck, das die Geschichte hat, entdeckt, - ich hatte ebendamit das wundervolle Phaenomen des Dionysischen als der Erste begriffen. Insgleichen war damit, dass ich Sokrates als decadent erkannte, ein voellig unzweideutiger Beweis dafuer gegeben, wie wenig die Sicherheit meines psychologischen Griffs von Seiten irgend einer Moral-Idiosynkrasie Gefahr laufen werde: - die Moral selbst als decadence-Symptom ist eine Neuerung, eine Einzigkeit ersten Rangs in der Geschichte der Erkenntniss. Wie hoch war ich mit Beidem ueber das erbaermliche Flachkopf-Geschwaetz von Optimismus contra Pessimismus hinweggesprungen! - Ich sah zuerst den eigentlichen Gegensatz: - den entartenden Instinkt, der sich gegen das Leben mit unterirdischer Rachsucht wendet (- Christenthum, die Philosophie Schopenhauers, in gewissem Sinne schon die Philosophie Platos, der ganze Idealismus als typische Formen) und eine aus der Fuelle, der Ueberfuelle geborene Formel der hoechsten Bejahung, ein Jasagen ohne Vorbehalt, zum Leiden selbst, zur Schuld selbst, zu allem Fragwuerdigen und Fremden des Daseins selbst... Dieses letzte, freudigste, ueberschwaenglich-uebermuethigste Ja zum Leben ist nicht nur die hoechste Einsicht, es ist auch die tiefste, die von Wahrheit und Wissenschaft am strengsten bestaetigte und aufrecht erhaltene. Es ist Nichts, was ist, abzurechnen, es ist Nichts entbehrlich - die von den Christen und andren Nihilisten abgelehnten Seiten des Daseins sind sogar von unendlich hoeherer Ordnung in der Rangordnung der Werthe als das, was der Decadence-Instinkt gutheissen, gutheissen durfte. Dies zu begreifen, dazu gehoert Muth und, als dessen Bedingung, ein Ueberschuss von Kraft: denn genau so weit als der Muth sich vorwaerts wagen darf, genau nach dem Maass von Kraft naehert man sich der Wahrheit. Die Erkenntniss, das Jasagen zur Realitaet ist fuer den Starken eine ebensolche Nothwendigkeit als fuer den Schwachen, unter der Inspiration der Schwaeche, die Feigheit und Flucht vor der Realitaet - das "Ideal"... Es steht ihnen nicht frei, zu erkennen: die decadents haben die Luege noethig, sie ist eine ihrer Erhaltungs-Bedingungen. - Wer das Wort "Dionysisch" nicht nur begreift, sondern sich in dem Wort "dionysisch" begreift, hat keine Widerlegung Platos oder des Christenthums oder Schopenhauers noethig - er riecht die Verwesung... 3. In wiefern ich ebendamit den Begriff "tragisch", die endliche Erkenntniss darueber, was die Psychologie der Tragoedie ist, gefunden hatte, habe ich zuletzt noch in der Goetzen-Daemmerung Seite 139 zum Ausdruck gebracht. "Das Jasagen zum Leben selbst noch in seinen fremdesten und haertesten Problemen; der Wille zum Leben im Opfer seiner hoechsten Typen der eignen Unerschoepflichkeit frohwerdend - das nannte ich dionysisch, das verstand ich als Bruecke zur Psychologie des tragischen Dichters. Nicht um von Schrecken und Mitleiden loszukommen, nicht um sich von einem gefaehrlichen Affekt durch eine vehemente Entladung zu reinigen so missverstand es Aristoteles: sondern um, ueber Schrecken und Mitleiden hinaus, die ewige Lust des Werdens selbst Zusein, jene Lust, die auch noch die Lust am Vernichten in sich schliesst..." In diesem Sinne habe ich das Recht, mich selber als den ersten tragischen Philosophen zu verstehn - das heisst den aeussersten Gegensatz und Antipoden eines pessimistischen Philosophen. Vor mir giebt es diese Umsetzung des Dionysischen in ein philosophisches Pathos nicht: es fehlt die tragische Weisheit, - ich habe vergebens nach Anzeichen davon selbst bei den grossen Griechen der Philosophie, denen der zwei Jahrhunderte vor Sokrates, gesucht. Ein Zweifel blieb mir zurueck bei Heraklit, in dessen Naehe ueberhaupt mir waermer, mir wohler zu Muthe wird als irgendwo sonst. Die Bejahung des Vergehens und Vernichtens, das Entscheidende in einer dionysischen Philosophie, das Jasagen zu Gegensatz und Krieg, das Wer den, mit radikaler Ablehnung auch selbst des Begriffs "Sein" - darin muss ich unter allen Umstaenden das mir Verwandteste anerkennen, was bisher gedacht worden ist. Die Lehre von der "ewigen Wiederkunft", das heisst vom unbedingten und unendlich wiederholten Kreislauf aller Dinge - diese Lehre Zarathustra's koennte zuletzt auch schon von Heraklit gelehrt worden sein. Zum Mindesten hat die Stoa, die fast alle ihre grundsaetzlichen Vorstellungen von Heraklit geerbt hat, Spuren davon. 4. Aus dieser Schrift redet eine ungeheure Hoffnung. Zuletzt fehlt mir jeder Grund, die Hoffnung auf eine dionysische Zukunft der Musik zurueckzunehmen. Werfen wir einen Blick ein Jahrhundert voraus, setzen wir den Fall, dass mein Attentat auf zwei Jahrtausende Widernatur und Menschenschaendung gelingt. Jene neue Partei des Lebens, welche die groesste aller Aufgaben, die Hoeherzuechtung der Menschheit in die Haende nimmt, eingerechnet die schonungslose Vernichtung alles Entartenden und Parasitischen, wird jenes Zuviel von Leben auf Erden wieder moeglich machen, aus dem auch der dionysische Zustand wieder erwachsen muss. Ich verspreche ein tragisches Zeitalter: die hoechste Kunst im Jasagen zum Leben, die Tragoedie, wird wiedergeboren werden, wenn die Menschheit das Bewusstsein der haertesten, aber nothwendigsten Kriege hinter sich hat, ohne daran zu leiden... Ein Psychologe duerfte noch hinzufuegen, dass was ich in jungen Jahren bei Wagnerischer Musik gehoert habe, Nichts ueberhaupt mit Wagner zu thun hat; dass wenn ich die dionysische Musik beschrieb, ich das beschrieb, was ich gehoert hatte, - dass ich instinktiv Alles in den neuen Geist uebersetzen und transfiguriren musste, den ich in mir trug. Der Beweis dafuer, so stark als nur ein Beweis sein kann, ist meine Schrift "Wagner in Bayreuth": an allen psychologisch entscheidenden Stellen ist nur von mir die Rede, man darf ruecksichtslos meinen Namen oder das Wort "Zarathustra" hinstellen, wo der Text das Wort Wagner giebt. Das ganze Bild des dithyrambischen Kuenstlers ist das Bild des praeexistenten Dichters des Zarathustra, mit abgruendlicher Tiefe hingezeichnet und ohne einen Augenblick die Wagnersche Realitaet auch nur zu beruehren. Wagner selbst hatte einen Begriff davon; er erkannte sich in der Schrift nicht wieder. - Insgleichen hatte sich "der Gedanke von Bayreuth" in Etwas verwandelt, das den Kennern meines Zarathustra kein Raethsel-Begriff sein wird: in jenen grossen Mittag, wo sich die Auserwaehltesten zur groessten aller Aufgaben weihen - wer weiss? die Vision eines Festes, das ich noch erleben werde... Das Pathos der ersten Seiten ist welthistorisch; der Blick, von dem auf der siebenten Seite die Rede ist, ist der eigentliche Zarathustra-Blick; Wagner, Bayreuth, die ganze kleine deutsche Erbaermlichkeit ist eine Wolke, in der eine unendliche fata morgana der Zukunft sich spiegelt. Selbst psychologisch sind alle entscheidenden Zuege meiner eignen Natur in die Wagners eingetragen das Nebeneinander der lichtesten und verhaengnissvollsten Kraefte, der Wille zur Macht, wie ihn nie ein Mensch besessen hat, die ruecksichtslose Tapferkeit im Geistigen, die unbegrenzte Kraft zu lernen, ohne dass der Wille zur That damit erdrueckt wuerde. Es ist Alles an dieser Schrift vorherverkuendend: die Naehe der Wiederkunft des griechischen Geistes, die Nothwendigkeit von Gegen-Alexandern, welche den gordischen Knoten der griechischen Cultur wieder binden, nachdem er geloest war... Man hoere den welthistorischen Accent, mit dem auf Seite 30 der Begriff "tragische Gesinnung" eingefuehrt wird: es sind lauter welthistorische Accente in dieser Schrift. Dies ist die fremdartigste "Objektivitaet", die es geben kann: die absolute Gewissheit darueber, was ich bin, projicirte sich auf irgend eine zufaellige Realitaet, - die Wahrheit ueber mich redete aus einer schauervollen Tiefe. Auf Seite 71 wird der Stil des Zarathustra mit einschneidender Sicherheit beschrieben und vorweggenommen; und niemals wird man einen grossartigeren Ausdruck fuer das Ereigniss Zarathustra, den Akt einer ungeheuren Reinigung und Weihung der Menschheit, finden, als er in den Seiten 43-46 gefunden ist. - Die Unzeitgemaessen. 1. Die vier Unzeitgemaessen sind durchaus kriegerisch. Sie beweisen, dass ich kein "Hans der Traeumer" war, dass es mir Vergnuegen macht, den Degen zu ziehn, - vielleicht auch, dass ich das Handgelenk gefaehrlich frei habe. Der erste Angriff (1873) galt der deutschen Bildung, auf die ich damals schon mit schonungsloser Verachtung hinabblickte. Ohne Sinn, ohne Substanz, ohne Ziel: eine blosse "oeffentliche Meinung". Kein boesartigeres Missverstaendniss als zu glauben, der grosse Waffen-Erfolg der Deutschen beweise irgend Etwas zu Gunsten dieser Bildung - oder gar ihren Sieg ueber Frankreich... Die zweite Unzeitgemaesse (1874) bringt das Gefaehrliche, das Leben-Annagende und -Vergiftende in unsrer Art des Wissenschafts-Betriebs an's Licht -: das Leben krank an diesem entmenschten Raederwerk und Mechanismus, an der "Unpersoenlichkeit" des Arbeiters, an der falschen Oekonomie der "Theilung der Arbeit". Der Zweck geht verloren, die Cultur: - das Mittel, der moderne Wissenschafts-Betrieb, barbarisirt... In dieser Abhandlung wurde der "historische Sinn", auf den dies Jahrhundert stolz ist, zum ersten Mal als Krankheit erkannt, als typisches Zeichen des Verfalls. - In der dritten und vierten Unzeitgemaessen werden, als Fingerzeige zu einem hoeheren Begriff der Cultur, zur Wiederherstellung des Begriffs "Cultur", zwei Bilder der haertesten Selbstsucht, Selbstzucht dagegen aufgestellt, unzeitgemaesse Typen par excellence, voll souverainer Verachtung gegen Alles, was um sie herum "Reich", "Bildung", "Christenthum", "Bismarck", "Erfolg" hiess, - Schopenhauer und Wagner oder, mit Einem Wort, Nietzsche... 2. Von diesen vier Attentaten hatte das erste einen ausserordentlichen Erfolg. Der Laerm, den es hervorrief, war in jedem Sinne prachtvoll. Ich hatte einer siegreichen Nation an ihre wunde Stelle geruehrt, - dass ihr Sieg nicht ein Cultur-Ereigniss sei, sondern vielleicht, vielleicht etwas ganz Anderes... Die Antwort kam von allen Seiten und durchaus nicht bloss von den alten Freunden David Straussens, den ich als Typus eines deutschen Bildungsphilisters und satisfait, kurz als Verfasser seines Bierbank-Evangeliums vom "alten und neuen Glauben" laecherlich gemacht hatte (- das Wort Bildungsphilister ist von meiner Schrift her in der Sprache uebrig geblieben). Diese alten Freunde, denen ich als Wuertembergern und Schwaben einen tiefen Stich versetzt hatte, als ich ihr Wunderthier, ihren Strauss komisch fand, antworteten so bieder und grob, als ich's irgendwie wuenschen konnte; - die preussischen Entgegnungen waren klueger, - sie hatten mehr "Berliner Blau" in sich. Das Unanstaendigste leistete ein Leipziger Blatt, die beruechtigten "Grenzboten"; ich hatte muehe, die entruesteten Basler von Schritten abzuhalten. Unbedingt fuer mich entschieden sich nur einige alte Herrn, aus gemischten und zum Theil unausfindlichen Gruenden. Darunter Ewald in Goettingen, der zu verstehn gab, mein Attentat sei fuer Strauss toedtlich abgelaufen. Insgleichen der alte Hegelianer Bruno Bauer, an dem ich von da an einen meiner aufmerksamsten Leser gehabt habe. Er liebte es, in seinen letzten Jahren, auf mich zu verweisen, zum Beispiel Herrn von Treitschke, dem preussischen Historiographen, einen Wink zu geben, bei wem er sich Auskunft ueber den ihm verloren gegangnen Begriff "Cultur" holen koenne. Das Nachdenklichste, auch das Laengste ueber die Schrift und ihren Autor wurde von einem alten Schueler des Philosophen von Baader gesagt, einem Professor Hoffmann in Wuerzburg. Er sah aus der Schrift eine grosse Bestimmung fuer mich voraus, - eine Art Krisis und hoechste Entscheidung im Problem des Atheismus herbeizufuehren, als dessen instinktivsten und ruecksichtslosesten Typus er mich errieth. Der Atheismus war das, was mich zu Schopenhauer fuehrte. - Bei weitem am besten gehoert, am bittersten empfunden wurde eine ausserordentlich starke und tapfere Fuersprache des sonst so milden Karl Hillebrand, dieses letzten humanen Deutschen, der die Feder zu fuehren wusste. Man las seinen Aufsatz in der "Augsburger Zeitung"; man kann ihn heute, in einer etwas vorsichtigeren Form, in seinen gesammelten Schriften lesen. Hier war die Schrift als Ereigniss, Wendepunkt, erste Selbstbesinnung, allerbestes Zeichen dargestellt, als eine wirkliche Wiederkehr des deutschen Ernstes und der deutschen Leidenschaft in geistigen Dingen. Hillebrand war voll hoher Auszeichnung fuer die Form der Schrift, fuer ihren reifen Geschmack, fuer ihren vollkommnen Takt in der Unterscheidung von Person und Sache: er zeichnete sie als die beste polemische Schrift aus, die deutsch geschrieben sei, - in der gerade fuer Deutsche so gefaehrlichen, so widerrathbaren Kunst der Polemik. Unbedingt jasagend, mich sogar in dem verschaerfend, was ich ueber die Sprach-Verlumpung in Deutschland zu sagen gewagt hatte (- heute spielen sie die Puristen und koennen keinen Satz mehr bauen -), in gleicher Verachtung gegen die "ersten Schriftsteller" dieser Nation, endete er damit, seine Bewunderung fuer meinen Muth auszudruecken - jenen "hoechsten Muth, der gerade die Lieblinge eines Volks auf die Anklagebank bringt"... Die Nachwirkung dieser Schrift ist geradezu unschaetzbar in meinem Leben. Niemand hat bisher mit mir Haendel gesucht. Man schweigt, man behandelt mich in Deutschland mit einer duestern Vorsicht: ich habe seit Jahren von einer unbedingten Redefreiheit Gebrauch gemacht, zu der Niemand heute, am wenigsten im "Reich", die Hand frei genug hat. Mein Paradies ist "unter dem Schatten meines Schwertes"... Im Grunde hatte ich eine Maxime Stendhals prakticirt: er raeth an, seinen Eintritt in die Gesellschaft mit einem Duell zu machen. Und wie ich mir meinen Gegner gewaehlt hatte! den ersten deutschen Freigeist!... In der That, eine ganz neue Art Freigeisterei kam damit zum ersten Ausdruck: bis heute ist mir Nichts fremder und unverwandter als die ganze europaeische und amerikanische Species von "libres penseurs". Mit ihnen als mit unverbesserlichen Flachkoepfen und Hanswuersten der "modernen Ideen" befinde ich mich sogar in einem tieferen Zwiespalt als mit Irgendwem von ihren Gegnern. Sie wollen auch, auf ihre Art, die Menschheit "verbessern", nach ihrem Bilde, sie wuerden gegen das, was ich bin, was ich will, einen unversoehnlichen Krieg machen, gesetzt dass sie es verstuenden, - sie glauben allesammt noch ans "Ideal"... Ich bin der erste Immoralist. 3. Dass die mit den Namen Schopenhauer und Wagner abgezeichneten Unzeitgemaessen sonderlich zum Verstaendniss oder auch nur zur psychologischen Fragestellung beider Faelle dienen koennten, moechte ich nicht behaupten, Einzelnes, wie billig, ausgenommen. So wird zum Beispiel mit tiefer Instinkt-Sicherheit bereits hier das Elementarische in der Natur Wagners als eine Schauspieler-Begabung bezeichnet, die in seinen Mitteln und Absichten nur ihre Folgerungen zieht. Im Grunde wollte ich mit diesen Schriften Etwas ganz Andres als Psychologie treiben: - ein Problem der Erziehung ohne Gleichen, ein neuer Begriff der Selbst-Zucht, Selbst-Vertheidigung bis zur Haerte, ein Weg zur Groesse und zu welthistorischen Aufgaben verlangte nach seinem ersten Ausdruck. Ins Grosse gerechnet nahm ich zwei beruehmte und ganz und [gar] noch unfestgestellte Typen beim Schopf, wie man eine Gelegenheit beim Schopf nimmt, um Etwas auszusprechen, um ein Paar Formeln, Zeichen, Sprachmittel mehr in der Hand zu haben. Dies ist zuletzt, mit vollkommen unheimlicher Sagacitaet, auf S. 93 der dritten Unzeitgemaessen auch angedeutet. Dergestalt hat sich Plato des Sokrates bedient, als einer Semiotik fuer Plato. - Jetzt, wo ich aus einiger Ferne auf jene Zustaende zurueckblicke, deren Zeugniss diese Schriften sind, moechte ich nicht verleugnen, dass sie im Grunde bloss von mir reden. Die Schrift "Wagner in Bayreuth" ist eine Vision meiner Zukunft; dagegen ist in "Schopenhauer als Erzieher" meine innerste Geschichte, mein Werden eingeschrieben. Vor Allem mein Geloebniss!... Was ich heute bin, wo ich heute bin - in einer Hoehe, wo ich nicht mehr Mit Worten, sondern mit Blitzen rede -, oh wie fern davon war ich damals noch! - Aber ich sah das Land, - ich betrog mich nicht einen Augenblick ueber Weg, Meer, Gefahr - und Erfolg! Die grosse Ruhe im Versprechen, dies glueckliche Hinausschaun in eine Zukunft, welche nicht nur eine Verheissung bleiben soll! - Hier ist jedes Wort erlebt, tief, innerlich; es fehlt nicht am Schmerzlichsten, es sind Worte darin, die geradezu blutruenstig sind. Aber ein Wind der grossen Freiheit blaest ueber Alles weg; die Wunde selbst wirkt nicht als Einwand. - Wie ich den Philosophen verstehe, als einen furchtbaren Explosionsstoff, vor dem Alles in Gefahr ist, wie ich meinen Begriff "Philosoph" meilenweit abtrenne von einem Begriff, der sogar noch einen Kant in sich schliesst, nicht zu reden von den akademischen "Wiederkaeuern" und andren Professoren der Philosophie: darueber giebt diese Schrift eine unschaetzbare Belehrung, zugegeben selbst, dass hier im Grunde nicht "Schopenhauer als Erzieher", sondern sein Gegensatz, "Nietzsche als Erzieher", zu Worte kommt. - In Anbetracht, dass damals mein Handwerk das eines Gelehrten war, und, vielleicht auch, dass ich mein Handwerk verstand, ist ein herbes Stueck Psychologie des Gelehrten nicht ohne Bedeutung, das in dieser Schrift ploetzlich zum Vorschein kommt: es drueckt das Distanz-Gefuehl aus, die tiefe Sicherheit darueber, was bei mir Aufgabe, was bloss Mittel, Zwischenakt und Nebenwerk sein kann. Es ist meine Klugheit, Vieles und vielerorts gewesen zu sein, um Eins werden zu koennen, - um zu Einem kommen zu koennen. Ich musste eine Zeit lang auch Gelehrter sein. - Menschliches, Allzumenschliches. Mit zwei Fortsetzungen. 1. "Menschliches, Allzumenschliches" ist das Denkmal einer Krisis. Es heisst sich ein Buch fuer freie Geister: fast jeder Satz darin drueckt einen Sieg aus - ich habe mich mit demselben vom Unzugehoerigen in meiner Natur freigemacht. Unzugehoerig ist mir der Idealismus: der Titel sagt "wo ihr ideale Dinge seht, sehe ich - Menschliches, ach nur Allzumenschliches!"... Ich kenne den Menschen besser... - In keinem andren Sinne will das Wort "freier Geist" hier verstanden werden: ein frei gewordner Geist, der von sich selber wieder Besitz ergriffen hat. Der Ton, der Stimmklang hat sich voellig veraendert: man wird das Buch klug, kuehl, unter Umstaenden hart und spoettisch finden. Eine gewisse Geistigkeit vornehmen Geschmacks scheint sich bestaendig gegen eine leidenschaftlichere Stroemung auf dem Grunde obenauf zu halten. In diesem Zusammenhang hat es Sinn, dass es eigentlich die hundertjaehrige Todesfeier Voltaire's ist, womit sich die Herausgabe des Buchs schon fuer das Jahr 1878 gleichsam entschuldigt. Denn Voltaire ist, im Gegensatz zu allem, was nach ihm schrieb, vor allem ein grandseigneur des Geistes: genau das, was ich auch bin. - Der Name Voltaire auf einer Schrift von mir - das war wirklich ein Fortschritt - zu mir... Sieht man genauer zu, so entdeckt man einen unbarmherzigen Geist, der alle Schlupfwinkel kennt, wo das Ideal heimisch ist, - wo es seine Burgverliesse und gleichsam seine letzte Sicherheit hat. Eine Fackel in den Haenden, die durchaus kein "fackelndes" Licht giebt, mit einer schneidenden Helle wird in diese Unterwelt des Ideals hineingeleuchtet. Es ist der Krieg, aber der Krieg ohne Pulver und Dampf, ohne kriegerische Attitueden, ohne Pathos und verrenkte Gliedmaassen - dies Alles selbst waere noch "Idealismus". Ein Irrthum nach dem andern wird gelassen aufs Eis gelegt, das Ideal wird nicht widerlegt - es erfriert... Hier zum Beispiel erfriert "das Genie"; eine Ecke weiter erfriert "der Heilige"; unter einem dicken Eiszapfen erfriert "der Held"; am Schluss erfriert "der Glaube", die sogenannte "Ueberzeugung", auch das "Mitleiden" kuehlt sich bedeutend ab - fast ueberall erfriert "das Ding an sich"... 2. Die Anfaenge dieses Buchs gehoeren mitten in die Wochen der ersten Bayreuther Festspiele hinein; eine tiefe Fremdheit gegen Alles, was mich dort umgab, ist eine seiner Voraussetzungen. Wer einen Begriff davon hat, was fuer Visionen mir schon damals ueber den Weg gelaufen waren, kann errathen, wie mir zu Muthe war, als ich eines Tags in Bayreuth aufwachte. Ganz als ob ich traeumte... Wo war ich doch? Ich erkannte Nichts wieder, ich erkannte kaum Wagner wieder. Umsonst blaetterte ich in meinen Erinnerungen. Tribschen - eine ferne Insel der Glueckseligen: kein Schatten von Aehnlichkeit. Die unvergleichlichen Tage der Grundsteinlegung, die kleine zugehoerige Gesellschaft, die sie feierte und der man nicht erst Finger fuer zarte Dinge zu wuenschen hatte: kein Schatten von Aehnlichkeit. Was war geschehn? - Man hatte Wagner ins Deutsche uebersetzt! Der Wagnerianer war Herr ueber Wagner geworden! - Die deutsche Kunst! der deutsche Meister! das deutsche Bier!... Wir Andern, die wir nur zu gut wissen, zu was fuer raffinirten Artisten, zu welchem Cosmopolitismus des Geschmacks Wagners Kunst allein redet, waren ausser uns, Wagnern mit deutschen "Tugenden" behaengt wiederzufinden. - Ich denke, ich kenne den Wagnerianer, ich habe drei Generationen "erlebt", vom seligen Brendel an, der Wagner mit Hegel verwechselte, bis zu den "Idealisten" der Bayreuther Blaetter, die Wagner mit sich selbst verwechseln, - ich habe alle Art Bekenntnisse "schoener Seelen" ueber Wagner gehoert. Ein Koenigreich fuer Ein gescheidtes Wort! - In Wahrheit, eine haarstraeubende Gesellschaft! Nohl, Pohl, Kohl mit Grazie in infinitum! Keine Missgeburt fehlt darunter, nicht einmal der Antisemit. - Der arme Wagner! Wohin war er gerathen! - Waere er doch wenigstens unter die Saeue gefahren! Aber unter Deutsche!... Zuletzt sollte man, zur Belehrung der Nachwelt, einen echten Bayreuther ausstopfen, besser noch in Spiritus setzen, denn an Spiritus fehlt es -, mit der Unterschrift: so sah der "Geist" aus, auf den hin man das "Reich" gruendete... Genug, ich reiste mitten drin fuer ein paar Wochen ab, sehr ploetzlich, trotzdem dass eine charmante Pariserin mich zu troesten suchte; ich entschuldigte mich bei Wagner bloss mit einem fatalistischen Telegramm. In einem tief in Waeldern verborgnen Ort des Boehmerwalds, Klingenbrunn, trug ich meine Melancholie und Deutschen-Verachtung wie eine Krankheit mit mir herum und schrieb von Zeit zu Zeit, unter dem Gesammttitel "die Pflugschar", einen Satz in mein Taschenbuch, lauter harte Psychologica, die sich vielleicht in "Menschliches, Allzumenschliches" noch wiederfinden lassen. 3. Was sich damals bei mir entschied, war nicht etwa ein Bruch mit Wagner - ich empfand eine Gesammt-Abirrung meines Instinkts, von der der einzelne Fehlgriff, heisse er nun Wagner oder Basler Professur, bloss ein Zeichen war. Eine Ungeduld mit mir ueberfiel mich; ich sah ein, dass es die hoechste Zeit war, mich auf mich zurueckzubesinnen. Mit Einem Male war mir auf eine schreckliche Weise klar, wie viel Zeit bereits verschwendet sei, - wie nutzlos, wie willkuerlich sich meine ganze Philologen-Existenz an meiner Aufgabe ausnehme. Ich schaemte mich dieser falschen Bescheidenheit... Zehn Jahre hinter mir, wo ganz eigentlich die Ernaehrung des Geistes bei mir stillgestanden hatte, wo ich nichts Brauchbares hinzugelernt hatte, wo ich unsinnig Viel ueber einem Krimskrams verstaubter Gelehrsamkeit vergessen hatte. Antike Metriker mit Akribie und schlechten Augen durchkriechen - dahin war es mit mir gekommen! - Ich sah mit Erbarmen mich ganz mager, ganz abgehungert: die Realitaeten fehlten geradezu innerhalb meines Wissens und die "Idealitaeten" taugten den Teufel was! - Ein geradezu brennender Durst ergriff mich: von da an habe ich in der That nichts mehr getrieben als Physiologie, Medizin und Naturwissenschaften, - selbst zu eigentlichen historischen Studien bin ich erst wieder zurueckgekehrt, als die Aufgabe mich gebieterisch dazu zwang. Damals errieth ich auch zuerst den Zusammenhang zwischen einer, instinktwidrig gewaehlten Thaetigkeit, einem sogenannten "Beruf", zu dem man am letzten berufen ist und jenem Beduerfniss nach einer Betaeubung des Oede- und Hungergefuehls durch eine narkotische Kunst, - zum Beispiel durch die Wagnerische Kunst. Bei einem vorsichtigeren Umblick habe ich entdeckt, dass fuer eine grosse Anzahl junger Maenner der gleiche Nothstand besteht: Eine Widernatur erzwingt foermlich eine zweite. In Deutschland, im "Reich", um unzweideutig zu reden, sind nur zu Viele verurtheilt, sich unzeitig zu entscheiden und dann, unter einer unabwerfbar gewordnen Last, hinzusiechen... Diese verlangen nach Wagner als nach einem Opiat, - sie vergessen sich, sie werden sich einen Augenblick los... Was sage ich! fuenf bis sechs Stunden! 4. Damals entschied sich mein Instinkt unerbittlich gegen ein noch laengeres Nachgeben, Mitgehn, Mich-selbst-verwechseln. Jede Art Leben, die unguenstigsten Bedingungen, Krankheit, Armut - Alles schien mir jener unwuerdigen "Selbstlosigkeit" vorziehenswerth, in die ich zuerst aus Unwissenheit, aus Jugend gerathen war, in der ich spaeter aus Traegheit, aus sogenanntem "Pflichtgefuehl" haengen geblieben war. - Hier kam mir, auf eine Weise, die ich nicht genug bewundern kann, und gerade zur rechten Zeit jene schlimme Erbschaft von Seiten meines Vaters her zu Huelfe, - im Grunde eine Vorbestimmung zu einem fruehen Tode. Die Krankheit loeste mich langsam heraus: sie ersparte mir jeden Bruch, jeden gewaltthaetigen und anstoessigen Schritt. Ich habe kein Wohlwollen damals eingebuesst und viel noch hinzugewonnen. Die Krankheit gab mir insgleichen ein Recht zu einer vollkommnen Umkehr aller meiner Gewohnheiten; sie erlaubte, sie gebot mir Vergessen; sie beschenkte mich mit der Noethigung zum Stillliegen, zum Muessiggang, zum Warten und Geduldigsein... Aber das heisst ja denken!... Meine Augen allein machten ein Ende mit aller Buecherwuermerei, auf deutsch: Philologie: ich war vom "Buch" erloest, ich las jahrelang Nichts mehr - die groesste Wohlthat, die ich mir je erwiesen habe! - Jenes unterste Selbst, gleichsam verschuettet, gleichsam still geworden unter einem bestaendigen Hoeren-Muessen auf andre Selbste (- und das heisst ja lesen!) erwachte langsam, schuechtern, zweifelhaft, - aber endlich redete es wieder. Nie habe ich so viel Glueck an mir gehabt, als in den kraenksten und schmerzhaftesten Zeiten meines Lebens: man hat nur die "Morgenroethe" oder etwa den "Wanderer und seinen Schatten" sich anzusehn, um zu begreifen, was diese "Rueckkehr zu mir" war: eine hoechste Art von Genesung selbst!... Die andre folgte bloss daraus. 5. Menschliches, Allzumenschliches, dies Denkmal einer rigoroesen Selbstzucht, mit der ich bei mir allem eingeschleppten "hoeheren Schwindel", "Idealismus", "schoenen Gefuehl", und andren Weiblichkeiten ein jaehes Ende bereitete, wurde in allen Hauptsachen in Sorrent niedergeschrieben; es bekam seinen Schluss, seine endgueltige Form in einem Basler Winter, unter ungleich unguenstigeren Verhaeltnissen als denen in Sorrent. Im Grunde hat Herr Peter Gast, damals an der Basler Universitaet studirend und mir sehr zugethan, das Buch auf dem Gewissen. Ich diktirte, den Kopf verbunden und schmerzhaft, er schrieb ab, er corrigirte auch, - er war im Grunde der eigentliche Schriftsteller, waehrend ich bloss der Autor war. Als das Buch endlich fertig mir zu Haenden kam - zur tiefen Verwunderung eines Schwerkranken -, sandte ich, unter Anderem, auch nach Bayreuth zwei Exemplare. Durch ein Wunder von Sinn im Zufall kam gleichzeitig bei mir ein schoenes Exemplar des Parsifal-Textes an, mit Wagners Widmung an mich "seinem theuren Freunde Friedrich Nietzsche, Richard Wagner, Kirchenrath". - Diese Kreuzung der zwei Buecher - mir war's, als ob ich einen ominoesen Ton dabei hoerte. Klang es nicht, als ob sich Degen kreuzten?... Jedenfalls empfanden wir es beide so: denn wir schwiegen beide. - Um diese Zeit erschienen die ersten Bayreuther Blaetter: ich begriff, wozu es hoechste Zeit gewesen war. - Unglaublich! Wagner war fromm geworden... 6. Wie ich damals (1876) ueber mich dachte, mit welcher ungeheuren Sicherheit ich meine Aufgabe und das Welthistorische an ihr in der Hand hielt, davon legt das ganze Buch, vor Allem aber eine sehr ausdrueckliche Stelle Zeugniss ab: nur dass ich, mit der bei mir instinktiven Arglist, auch hier wieder das Woertchen "ich" umgieng und dies Mal nicht Schopenhauer oder Wagner, sondern einen meiner Freunde, den ausgezeichneten Dr. Paul Ree, mit einer welthistorischen Glorie ueberstrahlte - zum Glueck ein viel zu feines Thier, als dass... Andre waren weniger fein: ich habe die Hoffnungslosen unter meinen Lesern, zum Beispiel den typischen deutschen Professor, immer daran erkannt, dass sie, auf diese Stelle hin, das ganze Buch als hoeheren Reealismus verstehn zu muessen glaubten... In Wahrheit enthielt es den Widerspruch gegen fuenf, sechs Saetze meines Freundes: man moege darueber die Vorrede zur Genealogie der Moral nachlesen. - Die Stelle lautet: welches ist doch der Hauptsatz, zu dem einer der kuehnsten und kaeltesten Denker, der Verfasser des Buchs "ueber den Ursprung der moralischen Empfindungen" (lisez: Nietzsche, der erste Immoralist) vermoege seiner ein- und durchschneidenden Analysen des menschlichen Handelns gelangt ist? "Der moralische Mensch steht der intelligiblen Welt nicht naeher als der physische - denn es giebt keine intelligible Welt..." Dieser Satz, hart und schneidig geworden unter dem Hammerschlag der historischen Erkenntniss (lisez: Umwerthung aller Werthe) kann vielleicht einmal, in irgend welcher Zukunft - 1890! - als die Axt dienen, welche dem "metaphysischen Beduerfniss" der Menschheit an die Wurzel gelegt wird, - ob mehr zum Segen oder zum Fluche der Menschheit, wer wuesste das zu sagen? Aber jedenfalls als ein Satz der erheblichsten Folgen, fruchtbar und furchtbar zugleich und mit jenem Doppelblick in die Welt sehend, welchen alle grossen Erkenntnisse haben... Morgenroethe. Gedanken ueber die Moral als Vorurtheil. 1. Mit diesem Buche beginnt mein Feldzug gegen die Moral. Nicht dass es den geringsten Pulvergeruch an sich haette: - man wird ganz andre und viel lieblichere Gerueche an ihm wahrnehmen, gesetzt, dass man einige Feinheit in den Nuestern hat. Weder grosses, noch auch kleines Geschuetz: ist die Wirkung des Buchs negativ, so sind es seine Mittel um so weniger, diese Mittel, aus denen die Wirkung wie ein Schluss, nicht wie ein Kanonenschuss folgt. Dass man von dem Buche Abschied nimmt mit einer scheuen Vorsicht vor Allem, was bisher unter dem Namen Moral zu Ehren und selbst zur Anbetung gekommen ist, steht nicht im Widerspruch damit, dass im ganzen Buch kein negatives Wort vorkommt, kein Angriff, keine Bosheit, - dass es vielmehr in der Sonne liegt, rund, gluecklich, einem Seegethier gleich, das zwischen Felsen sich sonnt. Zuletzt war ich's selbst, dieses Seegethier: fast jeder Satz des Buchs ist erdacht, er schluepft in jenem Felsen-Wirrwarr nahe bei Genua, wo ich allein war und noch mit dem Meere Heimlichkeiten hatte. Noch jetzt wird mir, bei einer zufaelligen Beruehrung dieses Buchs, fast jeder Satz zum Zipfel, an dem ich irgend etwas Unvergleichliches wieder aus der Tiefe ziehe: seine ganze Haut zittert von zarten Schaudern der Erinnerung. Die Kunst, die es voraus hat, ist keine kleine darin, Dinge, die leicht und ohne Geraeusch vorbeihuschen, Augenblicke, die ich goettliche Eidechsen nenne, ein wenig fest zu machen - nicht etwa mit der Grausamkeit jenes jungen Griechengottes, der das arme Eidechslein einfach anspiesste, aber immerhin doch mit etwas Spitzem, mit der Feder... "Es giebt so viele Morgenroethen, die noch nicht geleuchtet haben" - diese indische Inschrift steht auf der Thuer zu diesem Buche. Wo sucht sein Urheber jenen neuen Morgen, jenes bisher noch unentdeckte zarte Roth, mit dem wieder ein Tag - ah, eine ganze Reihe, eine ganze Welt neuer Tage! - anhebt? In einer Umwerthung aller Werthe, in einem Loskommen von allen Moralwerthen, in einem Jasagen und Vertrauen-haben zu Alledem, was bisher verboten, verachtet, verflucht worden ist. Dies jasagende Buch stroemt sein Licht, seine Liebe, seine Zaertlichkeit auf lauter schlimme Dinge aus, es giebt ihnen "die Seele", das gute Gewissen, das hohe Recht und Vorrecht auf Dasein wieder zurueck. Die Moral wird nicht angegriffen, sie kommt nur nicht mehr in Betracht... Dies Buch schliesst mit einem "Oder?", - es ist das einzige Buch, das mit einem "Oder?" schliesst... 2. Meine Aufgabe, einen Augenblick hoechster Selbstbesinnung der Menschheit vorzubereiten, einen grossen Mittag, wo sie zurueckschaut und hinausschaut, wo sie aus der Herrschaft des Zufalls und der Priester heraustritt und die Frage des warum?, des wozu? zum ersten Male als Ganzes stellt -, diese Aufgabe folgt mit Nothwendigkeit aus der Einsicht, dass die Menschheit nicht von selber auf dem rechten Wege ist, dass sie durchaus nicht goettlich regiert wird, dass vielmehr gerade unter ihren heiligsten Werthbegriffen der Instinkt der Verneinung, der Verderbniss, der decadence-Instinkt verfuehrerisch gewaltet hat. Die Frage nach der Herkunft der moralischen Werthe ist deshalb fuer mich eine Frage ersten Ranges, weil sie die Zukunft der Menschheit bedingt. Die Forderung, man solle glauben, dass Alles im Grunde in den besten Haenden ist, dass ein Buch, die Bibel, eine endgueltige Beruhigung ueber die goettliche Lenkung und Weisheit im Geschick der Menschheit giebt, ist, zurueckuebersetzt in die Realitaet, der Wille, die Wahrheit ueber das erbarmungswuerdige Gegentheil davon nicht aufkommen zu lassen, naemlich, dass die Menschheit bisher in den schlechtesten Haenden war, dass sie von den Schlechtweggekommenen, den Arglistig-Rachsuechtigen, den sogenannten "Heiligen", diesen Weltverleumdern und Menschenschaendern, regiert worden ist. Das entscheidende Zeichen, an dem sich ergiebt, dass der Priester (- eingerechnet die versteckten Priester, die Philosophen) nicht nur innerhalb einer bestimmten religioesen Gemeinschaft, sondern ueberhaupt Herr geworden ist, dass die decadence-Moral, der Wille zum Ende, als Moral an sich gilt, ist der unbedingte Werth, der dem Unegoistischen und die Feindschaft, die dem Egoistischen ueberall zu Theil wird. Wer ueber diesen Punkt mit mir uneins ist, den halte ich fuer inficirt... Aber alle Welt ist mit mir uneins... Fuer einen Physiologen laesst ein solcher Werth-Gegensatz gar keinen Zweifel. Wenn innerhalb des Organismus das geringste Organ in noch so kleinem Maasse nachlaesst, seine Selbsterhaltung, seinen Kraftersatz, seinen, "Egoismus" mit vollkommner Sicherheit durchzusetzen, so entartet das Ganze. Der Physiologe verlangt Ausschneidung des entartenden Theils, er verneint jede Solidaritaet mit dem Entartenden, er ist am fernsten vom Mitleiden mit ihm. Aber der Priester will gerade die Entartung des Ganzen, der Menschheit: darum conservirt er das Entartende - um diesen Preis beherrscht er sie... Welchen Sinn haben jene Luegenbegriffe, die Huelfsbegriffe der Moral, "Seele", "Geist", "freier Wille", "Gott", wenn nicht den, die Menschheit physiologisch zu ruiniren?... Wenn man den Ernst von der Selbsterhaltung, Kraftsteigerung des Leibes, das heisst des Lebens ablenkt, wenn man aus der Bleichsucht ein Ideal, aus der Verachtung des Leibes "das Heil der Seele" construirt, was ist das Anderes, als ein Recept zur decadence? - Der Verlust an Schwergewicht, der Widerstand gegen die natuerlichen Instinkte, die "Selbstlosigkeit" mit Einem Worte - das hiess bisher Moral... Mit der "Morgenroethe" nahm ich zuerst den Kampf gegen die Entselbstungs-Moral auf. - Die froehliche Wissenschaft. ("la gaya scienza") Die "Morgenroethe" ist ein jasagendes Buch, tief, aber hell und guetig. Dasselbe gilt noch einmal und im hoechsten Grade von der gaya scienza: fast in jedem Satz derselben halten sich Tiefsinn und Muthwillen zaertlich an der Hand. Ein Vers, welcher die Dankbarkeit fuer den wunderbarsten Monat Januar ausdrueckt, den ich erlebt habe - das ganze Buch ist sein Geschenk - verraeth zur Genuege, aus welcher Tiefe heraus hier die "Wissenschaft" froehlich geworden ist: Der du mit dem Flammenspeere Meiner Seele Eis zertheilt, Dass sie brausend nun zum Meere Ihrer hoechsten Hoffnung eilt: Heller stets und stets gesunder, Frei im liebevollsten Muss Also preist sie deine Wunder, Schoenster Januarius! Was hier "hoechste Hoffnung" heisst, wer kann darueber im Zweifel sein, der als Schluss des vierten Buchs die diamantene Schoenheit der ersten Worte des Zarathustra aufglaenzen sieht? - Oder der die granitnen Saetze am Ende des dritten Buchs liest, mit denen sich ein Schicksal fuer alle Zeiten zum ersten Male in Formeln fasst? - Die Lieder des Prinzen Vogelfrei, zum besten Theil in Sicilien gedichtet, erinnern ganz ausdruecklich an den provencialischen Begriff der "gaya scienza", an jene Einheit von Saenger, Ritter und Freigeist, mit der sich jene wunderbare Fruehkultur der Provencalen gegen alle zweideutigen Culturen abhebt; das allerletzte Gedicht zumal, "anden Mistral", ein ausgelassenes Tanzlied, in dem, mit Verlaub! ueber die Moral hinweggetanzt wird, ist ein vollkommner Provencalismus. - Also sprach Zarathustra. Ein Buch fuer Alle und Keinen. 1. Ich erzaehle nunmehr die Geschichte des Zarathustra. Die Grundconception des Werks, der Ewige-Wiederkunfts-Gedanke, diese hoechste Formel der Bejahung, die ueberhaupt erreicht werden kann -, gehoert in den August des Jahres 1881: er ist auf ein Blatt hingeworfen, mit der Unterschrift: "6000 Fuss jenseits von Mensch und Zeit". Ich gieng an jenem Tage am See von Silvaplana durch die Waelder; bei einem maechtigen pyramidal aufgethuermten Block unweit Surlei machte ich Halt. Da kam mir dieser Gedanke. - Rechne ich von diesem Tage ein paar Monate zurueck, so finde ich, als Vorzeichen, eine ploetzliche und im Tiefsten entscheidende Veraenderung meines Geschmacks, vor Allem in der Musik. Man darf vielleicht den ganzen Zarathustra unter die Musik rechnen; - sicherlich war eine Wiedergeburt in der Kunst zu hoeren, eine Vorausbedingung dazu. In einem kleinen Gebirgsbade unweit Vicenza, Recoaro, wo ich den Fruehling des Jahrs 1881 verbrachte, entdeckte ich, zusammen mit meinem maestro und Freunde Peter Gast, einem gleichfalls "Wiedergebornen", dass der Phoenix Musik mit leichterem und leuchtenderem Gefieder, als er je gezeigt, an uns vorueberflog. Rechne ich dagegen von jenem Tage an vorwaerts, bis zur ploetzlichen und unter den unwahrscheinlichsten Verhaeltnissen eintretenden Niederkunft im Februar 1883 - die Schlusspartie, dieselbe, aus der ich im Vorwort ein paar Saetze citirt habe, wurde genau in der heiligen Stunde fertig gemacht, in der Richard Wagner in Venedig starb - so ergeben sich achtzehn Monate fuer die Schwangerschaft. Diese Zahl gerade von achtzehn Monaten duerfte den Gedanken nahelegen, unter Buddhisten wenigstens, dass ich im Grunde ein Elephanten-Weibchen bin. - In die Zwischenzeit gehoert die "gaya scienza", die hundert Anzeichen der Naehe von etwas Unvergleichlichem hat; zuletzt giebt sie den Anfang des Zarathustra selbst noch, sie giebt im vorletzten Stueck des vierten Buchs den Grundgedanken des Zarathustra. - Insgleichen gehoert in diese Zwischenzeit jener Hymnus auf das Leben (fuer gemischten Chor und Orchester), dessen Partitur vor zwei Jahren bei E. W. Fritzsch in Leipzig erschienen ist: ein vielleicht nicht unbedeutendes Symptom fuer den Zustand dieses Jahres, wo das ja sagende Pathos par excellence, von mir das tragische Pathos genannt, im hoechsten Grade mir innewohnte. Man wird ihn spaeter einmal zu meinem Gedaechtniss singen. - Der Text, ausdruecklich bemerkt, weil ein Missverstaendniss darueber im Umlauf ist, ist nicht von mir: er ist die erstaunliche Inspiration einer jungen Russin, mit der ich damals befreundet war, des Fraeulein Lou von Salome. Wer den letzten Worten des Gedichts ueberhaupt einen Sinn zu entnehmen weiss, wird errathen, warum ich es vorzog und bewunderte: sie haben Groesse. Der Schmerz gilt nicht als Einwand gegen das Leben: "Hast du kein Glueck mehr uebrig mir zu geben, wohlan! noch hast du deine Pein..." Vielleicht hat auch meine Musik an dieser Stelle Groesse. (Letzte Note der Oboe cis nicht c. Druckfehler.) - Den darauf folgenden Winter lebte ich in jener anmuthig stillen Bucht von Rapallo unweit Genua, die sich zwischen Chiavari und dem Vorgebirge Porto fino einschneidet. Meine Gesundheit war nicht die beste; der Winter kalt und ueber die Maassen regnerisch; ein kleines Albergo, unmittelbar am Meer gelegen, so dass die hohe See nachts den Schlaf unmoeglich machte, bot ungefaehr in Allem das Gegentheil vom Wuenschenswerthen. Trotzdem und beinahe zum Beweis meines Satzes, dass alles Entscheidende "trotzdem", entsteht, war es dieser Winter und diese Ungunst der Verhaeltnisse, unter denen mein Zarathustra entstand. - Den Vormittag stieg ich in suedlicher Richtung auf der herrlichen Strasse nach Zoagli hin in die Hoehe, an Pinien vorbei und weitaus das Meer ueberschauend; des Nachmittags, so oft es nur die Gesundheit erlaubte, umgieng ich die ganze Bucht von Santa Margherita bis hinter nach Porto fino. Dieser Ort und diese Landschaft ist durch die grosse Liebe, welche der unvergessliche deutsche Kaiser Friedrich der Dritte fuer sie fuehlte, meinem Herzen noch naeher gerueckt; ich war zufaellig im Herbst 1886 wieder an dieser Kueste, als er zum letzten Mal diese kleine vergessne Welt von Glueck besuchte. - Auf diesen beiden Wegen fiel mir der ganze erste Zarathustra ein, vor Allem Zarathustra selber, als Typus: richtiger, er ueberfiel mich... 2. Um diesen Typus zu verstehn, muss man sich zuerst seine physiologische Voraussetzung klar machen: sie ist das, was ich die grosse Gesundheit nenne. Ich weiss diesen Begriff nicht besser, nicht persoenlicher zu erlaeutern, als ich es schon gethan habe, in einem der Schlussabschnitte des fuenften Buchs der "gaya scienza". "Wir Neuen, Namenlosen, Schlechtverstaendlichen - heisst es daselbst - wir Fruehgeburten einer noch unbewiesenen Zukunft, wir beduerfen zu einem neuen Zwecke auch eines neuen Mittels, naemlich einer neuen Gesundheit, einer staerkeren gewitzteren zaeheren verwegneren lustigeren, als alle Gesundheiten bisher waren. Wessen Seele darnach duerstet, den ganzen Umfang der bisherigen Werthe und Wuenschbarkeiten erlebt und alle Kuesten dieses idealischen `Mittelmeers` umschifft zu haben, wer aus den Abenteuern der eigensten Erfahrung wissen will, wie es einem Eroberer und Entdecker des Ideals zu Muthe ist, insgleichen einem Kuenstler, einem Heiligen, einem Gesetzgeber, einem Weisen, einem Gelehrten, einem Frommen, einem Goettlich-Abseitigen alten Stils: der hat dazu zu allererst Eins noethig, die grosse Gesundheit - eine solche, welche man nicht nur hat, sondern auch bestaendig noch erwirbt und erwerben muss, weil man sie immer wieder preisgiebt, preisgeben muss... Und nun, nachdem wir lange dergestalt unterwegs waren, wir Argonauten des Ideals, muthiger vielleicht als klug ist und Oft genug schiffbruechig und zu Schaden gekommen, aber, wie gesagt, gesuender als man es uns erlauben moechte, gefaehrlich gesund, immer wieder gesund, - will es. uns scheinen, als ob wir, zum Lohn dafuer, ein noch unentdecktes Land vor uns haben, dessen Grenzen noch Niemand abgesehn hat, ein jenseits aller bisherigen Laender und Winkel des Ideals, eine Welt so ueberreich an Schoenem, Fremdem, Fragwuerdigem, Furchtbarem und Goettlichem, dass unsre Neugierde sowohl als unser Besitzdurst ausser sich gerathen sind - ach, dass wir nunmehr durch Nichts mehr zu ersaettigen sind!... Wie koennten wir uns, nach solchen Ausblicken und mit einem solchen Heisshunger in Wissen und Gewissen, noch am gegenwaertigen Menschen. genuegen lassen? Schlimm genug, aber es ist unvermeidlich, dass wir seinen wuerdigsten Zielen und Hoffnungen nun mit einem uebel aufrecht erhaltenen Ernste zusehn und vielleicht nicht einmal mehr zusehn... Ein andres Ideal laeuft vor uns her, ein wunderliches, versucherisches, gefahrenreiches Ideal, zu dem wir Niemanden ueberreden moechten, weil wir Niemandem so leicht das Recht darauf zugestehn: das Ideal eines Geistes, der naiv, das heisst ungewollt und aus ueberstroemender Fuelle und Maechtigkeit mit Allem spielt, was bisher heilig, gut, unberuehrbar, goettlich hiess; fuer den das Hoechste, woran das Volk billigerweise sein Werthmaass hat, bereits so viel wie Gefahr, Verfall, Erniedrigung oder, mindestens, wie Erholung, Blindheit, zeitweiliges Selbstvergessen bedeuten wuerde; das Ideal eines menschlich-uebermenschlichen Wohlseins und Wohlwollens, welches oft genug unmenschlich erscheinen wird, zum Beispiel, wenn es sich neben den ganzen bisherigen Erdenernst, neben alle bisherige Feierlichkeit in Gebaerde, Wort, Klang, Blick, Moral und Aufgabe wie deren leibhafteste unfreiwillige Parodie hinstellt - und mit dem, trotzalledem, vielleicht der grosse Ernst erst anhebt, das eigentliche Fragezeichen erst gesetzt wird, das Schicksal der Seele sich wendet, der Zeiger rueckt, die Tragoedie beginnt." 3. - Hat jemand, Ende des neunzehnten Jahrhunderts, einen deutlichen Begriff davon, was Dichter starker Zeitalter Inspiration nannten? Im andren Falle will ich's beschreiben. Mit dem geringsten Rest von Aberglauben in sich wuerde man in der That die Vorstellung, bloss Incarnation, bloss Mundstueck, bloss medium uebermaechtiger Gewalten zu sein, kaum abzuweisen wissen. Der Begriff Offenbarung, in dem Sinn, dass ploetzlich, mit unsaeglicher Sicherheit und Feinheit, Etwas sichtbar, hoerbar wird, Etwas, das Einen im Tiefsten erschuettert und umwirft, beschreibt einfach den Thatbestand. Man hoert, man sucht nicht; man nimmt, man fragt nicht, wer da giebt; wie ein Blitz leuchtet ein Gedanke auf, mit Nothwendigkeit, in der Form ohne Zoegern, - ich habe nie eine Wahl gehabt. Eine Entzuekkung, deren ungeheure Spannung sich mitunter in einen Thraenenstrom ausloest, bei der der Schritt unwillkuerlich bald stuermt, bald langsam wird; ein vollkommnes Ausser-sich-sein mit dem distinktesten Bewusstsein einer Unzahl feiner Schauder und Ueberrieselungen bis in die Fusszehen; eine Glueckstiefe, in der das Schmerzlichste und Duesterste nicht als Gegensatz wirkt, sondern als bedingt, als herausgefordert, sondern als eine nothwendige Farbe innerhalb eines solchen Lichtueberflusses; ein Instinkt rhythmischer Verhaeltnisse, der weite Raeume von Formen ueberspannt - die Laenge, das Beduerfniss nach einem weitgespannten Rhythmus ist beinahe das Maass fuer die Gewalt der Inspiration, eine Art Ausgleich gegen deren Druck und Spannung... Alles geschieht im hoechsten Grade unfreiwillig, aber wie in einem Sturme von Freiheits-Gefuehl, von Unbedingtsein, von Macht, von Goettlichkeit... Die Unfreiwilligkeit des Bildes, des Gleichnisses ist das Merkwuerdigste; man hat keinen Begriff mehr, was Bild, was Gleichniss ist, Alles bietet sich als der naechste, der richtigste, der einfachste Ausdruck. Es scheint wirklich, um an ein Wort Zarathustra's zu erinnern, als ob die Dinge selber herankaemen und sich zum Gleichnisse anboeten (- "hier kommen alle Dinge liebkosend zu deiner Rede und schmeicheln dir: denn sie wollen auf deinem Ruecken reiten. Auf jedem Gleichniss reitest du hier zu jeder Wahrheit. Hier springen dir alles Seins Worte und Wort-Schreine auf; alles Sein will hier Wort werden, alles Werden will von dir reden lernen -"). Dies ist meine Erfahrung von Inspiration; ich zweifle nicht, dass man Jahrtausende zurueckgehn muss, um jemanden zu finden, der mir sagen darf "es ist auch die meine". 4. Ich lag ein Paar Wochen hinterdrein in Genua krank. Dann folgte ein schwermuethiger Fruehling in Rom, wo ich das Leben hinnahm - es war nicht leicht. Im Grunde verdross mich dieser fuer den Dichter des Zarathustra unanstaendigste Ort der Erde, den ich nicht freiwillig gewaehlt hatte, ueber die Maassen; ich versuchte loszukommen, - ich wollte nach Aquila, dem Gegenbegriff von Rom, aus Feindschaft gegen Rom gegruendet, wie ich einen Ort dereinst gruenden werde, die Erinnerung an einen Atheisten und Kirchenfeind comme il faut, an einen meiner Naechstverwandten, den grossen Hohenstaufen-Kaiser Friedrich den Zweiten. Aber es war ein Verhaengniss bei dem Allen: ich musste wieder zurueck. Zuletzt gab ich mich mit der piazza Barberini zufrieden, nachdem mich meine Muehe um eine anti-christliche Gegend muede gemacht hatte. Ich fuerchte, ich habe einmal, um schlechten Geruechen moeglichst aus dem Wege zu gehn, im palazzo del Quirinale selbst nachgefragt, ob man nicht ein stilles Zimmer fuer einen Philosophen habe. - Auf einer loggia hoch ueber der genannten piazza, von der aus man Rom uebersieht und tief unten die fontana rauschen hoert, wurde jenes einsamste Lied gedichtet, das je gedichtet worden ist, das Nachtlied; um diese Zeit gieng immer eine Melodie von unsaeglicher Schwermuth um mich herum, deren Refrain ich in den Worten wiederfand "todt vor Unsterblichkeit..." Im Sommer, heimgekehrt zur heiligen Stelle, wo der erste Blitz des Zarathustra-Gedankens mir geleuchtet hatte, fand ich den zweiten Zarathustra. Zehn Tage genuegten; ich habe in keinem Falle, weder beim ersten, noch beim dritten und letzten mehr gebraucht. Im Winter darauf, unter dem halkyonischen Himmel Nizza's, der damals zum ersten Male in mein Leben hineinglaenzte, fand ich den dritten Zarathustra - und war fertig. Kaum ein Jahr, fuer's Ganze gerechnet. Viele verborgne Flecke und Hoehen aus der Landschaft Nizza's sind mir durch unvergessliche Augenblicke geweiht; jene entscheidende Partie, welche den Titel "von alten und neuen Tafeln" traegt, wurde im beschwerlichsten Aufsteigen von der Station zu dem wunderbaren maurischen Felsenneste Eza gedichtet, - die Muskel-Behendheit war bei mir immer am groessten, wenn die schoepferische Kraft am reichsten floss. Der Leib ist begeistert: lassen wir die "Seele" aus dem Spiele... Man hat mich oft tanzen sehn koennen; ich konnte damals, ohne einen Begriff von Ermuedung, sieben, acht Stunden auf Bergen unterwegs sein. Ich schlief gut, ich lachte viel -, ich war von einer vollkomm[n]en Ruestigkeit und Geduld. 5. Abgesehn von diesen Zehn-Tage-Werken waren die Jahre waehrend und vor Allem nach dem Zarathustra ein Nothstand ohne Gleichen. Man buesst es theuer, unsterblich zu sein: man stirbt dafuer mehrere Male bei Lebzeiten. - Es giebt Etwas, das ich die rancune des Grossen nenne: alles Grosse, ein Werk, eine That, wendet sich, einmal vollbracht, unverzueglich gegen den, der sie that. Ebendamit, dass er sie that, ist er nunmehr schwach - er haelt seine That nicht mehr aus, er sieht ihr nicht mehr in's Gesicht. Etwas hinter sich zu haben, das man nie wollen durfte, Etwas, worin der Knoten im Schicksal der Menschheit eingeknuepft ist - und es nunmehr auf sich haben!... Es zerdrueckt beinahe.. - Die rancune des Grossen! - Ein Andres ist die schauerliche Stille, die man um sich hoert. Die Einsamkeit hat sieben Haeute; es geht Nichts mehr hindurch. Man kommt zu Menschen, man begruesst Freunde: neue Oede, kein Blick gruesst mehr. Im besten Falle eine Art Revolte. Eine solche Revolte erfuhr ich, in sehr verschiednem Grade, aber fast von Jedermann, der mir nahe stand; es scheint, dass Nichts tiefer beleidigt als ploetzlich eine Distanz merken zu lassen, - die vornehmen Naturen, die nicht zu leben wissen, ohne zu verehren, sind selten. - Ein Drittes ist die absurde Reizbarkeit der Haut gegen kleine Stiche, eine Art Huelflosigkeit vor allem Kleinen. Diese scheint mir in der ungeheuren Verschwendung aller Defensiv-Kraefte bedingt, die jede schoepferische That, jede That aus dem Eigensten, Innersten, Untersten heraus zur Voraussetzung hat. Die kleinen Defensiv-Vermoegen sind damit gleichsam ausgehaengt; es fliesst ihnen keine Kraft mehr zu. - Ich wage noch anzudeuten, dass man schlechter verdaut, ungern sich bewegt, den Frostgefuehlen, auch dem Misstrauen allzu offen steht, - dem Misstrauen, das in vielen Faellen bloss ein aetiologischer Fehlgriff ist. In einem solchen Zustande empfand ich einmal die Naehe einer Kuhheerde, durch Wiederkehr milderer, menschenfreundlicherer Gedanken, noch bevor ich sie sah: das hat Waerme in sich... 6. Dieses Werk steht durchaus fuer sich. Lassen wir die Dichter bei Seite: es ist vielleicht ueberhaupt nie Etwas aus einem gleichen Ueberfluss von Kraft heraus gethan worden. Mein Begriff "dionysisch" wurde hier hoechste That; an ihr gemessen erscheint der ganze Rest von menschlichem Thun als arm und bedingt. Dass ein Goethe, ein Shakespeare nicht einen Augenblick in dieser ungeheuren Leidenschaft und Hoehe zu athmen wissen wuerde, dass Dante, gegen Zarathustra gehalten, bloss ein Glaeubiger ist und nicht Einer, der die Wahrheit erst schafft, ein weltregierender Geist, ein Schicksal dass die Dichter des Veda Priester sind und nicht einmal wuerdig, die Schuhsohlen eines Zarathustra zu loesen, das ist Alles das Wenigste und giebt keinen Begriff von der Distanz, von der azurnen Einsamkeit, in der dies Werk lebt. Zarathustra hat ein ewiges Recht zu sagen: "ich schliesse Kreise um mich und heilige Grenzen; immer Wenigere steigen mit mir auf immer hoehere Berge, - ich baue ein Gebirge aus immer heiligeren Bergen." Man rechne den Geist und die Guete aller grossen Seelen in Eins: alle zusammen waeren nicht im Stande, Eine Rede Zarathustras hervorzubringen. Die Leiter ist ungeheuer, auf der er auf und nieder steigt; er hat weiter gesehn, weiter gewollt, weiter gekonnt, als irgend ein Mensch. Er widerspricht mit jedem Wort, dieser jasagendste aller Geister; in ihm sind alle Gegensaetze zu einer neuen Einheit gebunden. Die hoechsten und die untersten Kraefte der menschlichen Natur, das Suesseste, Leichtfertigste und Furchtbarste stroemt aus Einem Born mit unsterblicher Sicherheit hervor. Man weiss bis dahin nicht, was Hoehe, was Tiefe ist; man weiss noch weniger, was Wahrheit ist. Es ist kein Augenblick in dieser Offenbarung der Wahrheit, der schon vorweggenommen, von Einem der Groessten errathen worden waere. Es giebt keine Weisheit, keine Seelen-Erforschung, keine Kunst zu reden vor Zarathustra; das Naechste, das Alltaeglichste redet hier von unerhoerten Dingen. Die Sentenz von Leidenschaft zitternd; die Beredsamkeit Musik geworden; Blitze vorausgeschleudert nach bisher unerrathenen Zukuenften. Die maechtigste Kraft zum Gleichniss, die bisher da war, ist arm und Spielerei gegen diese Rueckkehr der Sprache zur Natur der Bildlichkeit. - Und wie Zarathustra herabsteigt und zu Jedem das Guetigste sagt! Wie er selbst seine Widersacher, die Priester, mit zarten Haenden anfasst und mit ihnen an ihnen leidet! - Hier ist in jedem Augenblick der Mensch ueberwunden, der Begriff "Uebermensch" ward hier hoechste Realitaet, - in einer unendlichen Ferne liegt alles das, was bisher gross am Menschen hiess, unter ihm. Das Halkyonische, die leichten Fuesse, die Allgegenwart von Bosheit und Uebermuth und was sonst Alles typisch ist fuer den Typus Zarathustra. ist nie getraeumt worden als wesentlich zur Groesse. Zarathustra fuehlt sich gerade in diesem Umfang an Raum, in dieser Zugaenglichkeit zum Entgegengesetzten als die hoechste Art alles Seienden; und wenn man hoert, wie er diese definirt, so wird man darauf verzichten, nach seinem Gleichniss zu suchen. - die Seele, welche die laengste Leiter hat und am tiefsten hinunter kann, die umfaenglichste Seele, welche am weitesten in sich laufen und irren und schweifen kann, die nothwendigste, welche sich mit Lust in den Zufall stuerzt, die seiende Seele, welche ins Werden, die habende, welche ins Wollen und Verlangen will - die sich selber fliehende, welche sich selber in weitesten Kreisen einholt, die weiseste Seele, welcher die Narrheit am suessesten zuredet, die sich selber liebendste, in der alle Dinge ihr Stroemen und Wiederstroemen und Ebbe und Fluth haben - - Aber das ist der Begriff des Dionysos selbst. Eben dahin fuehrt eine andre Erwaegung. Das psychologische Problem im Typus des Zarathustra ist, wie der, welcher in einem unerhoerten Grade Nein sagt, Nein thut, zu Allem, wozu man bisher Ja sagte, trotzdem der Gegensatz eines neinsagenden Geistes sein kann; wie der das Schwerste von Schicksal, ein Verhaengniss von Aufgabe tragende Geist trotzdem der leichteste und jenseitigste sein kann - Zarathustra ist ein Taenzer -; wie der, welcher die haerteste, die furchtbarste Einsicht in die Realitaet hat, welcher den "abgruendlichsten Gedanken" gedacht hat, trotzdem darin keinen Einwand gegen das Dasein, selbst nicht gegen dessen ewige Wiederkunft findet, - vielmehr einen Grund noch hinzu, das ewige Ja zu allen Dingen selbst zu sein, "das ungeheure unbegrenzte Ja- und Amen-sagen"... "In alle Abgruende trage ich noch mein segnendes Jasagen"... Aber das ist der Begriff des Dionysos noch einmal. 7. - Welche Sprache wird ein solcher Geist reden, wenn er mit sich allein redet? Die Sprache des Dithyrambus. Ich bin der Erfinder des Dithyrambus. Man hoere, wie Zarathustra vor Sonnenaufgang (III, 18) mit sich redet: ein solches smaragdenes Glueck, eine solche goettliche Zaertlichkeit hatte noch keine Zunge vor mir. Auch die tiefste Schwermuth eines solchen Dionysos wird noch Dithyrambus; ich nehme, zum Zeichen, das Nachtlied, die unsterbliche Klage, durch die Ueberfuelle von Licht und Macht, durch seine Sonnen-Natur, verurtheilt zu sein, nicht zu lieben. Nacht ist es: nun reden lauter alle springenden Brunnen. Und auch meine Seele ist ein springender Brunnen. Nacht ist es: nun erst erwachen alle Lieder der Liebenden. Und auch meine Seele ist das Lied eines Liebenden. Ein Ungestilltes, Unstillbares ist in mir, das will laut werden. Eine Begierde nach Liebe ist in mir, die redet selber die Sprache der Liebe. Licht bin ich: ach dass ich Nacht waere! Aber dies ist meine Einsamkeit, dass ich von Licht umguertet bin. Ach, dass ich dunkel waere und naechtig! Wie wollte ich an den Bruesten des Lichts saugen! Und euch selber wollte ich noch segnen, ihr kleinen Funkelsterne und Leuchtwuermer droben! - und selig sein ob eurer Licht-Geschenke. Aber ich lebe in meinem eignen Lichte, ich trinke die Flammen in mich zurueck, die aus mir brechen. Ich kenne das Glueck des Nehmenden nicht; und oft traeumte mir davon, dass Stehlen noch seliger sein muesse als Nehmen. Das ist meine Armuth, dass meine Hand niemals ausruht vom Schenken; das ist mein Neid, dass ich wartende Augen sehe und die erhellten Naechte der Sehnsucht. Oh Unseligkeit aller Schenkenden! Oh Verfinsterung meiner Sonne! Oh Begierde nach Begehren! Oh Heisshunger in der Saettigung! Sie nehmen von mir: aber ruehre ich noch an ihre Seele? Eine Kluft ist zwischen Nehmen und Geben; und die kleinste Kluft ist am letzten zu ueberbruecken. Ein Hunger waechst aus meiner Schoenheit: wehethun moechte ich denen, welchen ich leuchte, berauben moechte ich meine Beschenkten, - also hungere ich nach Bosheit. Die Hand zurueckziehend, wenn sich schon ihr die Hand entgegenstreckt; dem Wasserfall gleich, der noch im Sturze zoegert: also hungere ich nach Bosheit. Solche Rache sinnt meine Fuelle aus, solche Tuecke quillt aus meiner Einsamkeit. Mein Glueck im Schenken erstarb im Schenken, meine Tugend wurde ihrer selber muede an ihrem Ueberflusse! Wer immer schenkt, dessen Gefahr ist, dass er die Scham verliere; wer immer austheilt, dessen Hand und Herz hat Schwielen vor lauter Austheilen. Mein Auge quillt nicht mehr ueber vor der Scham der Bittenden; meine Hand wurde zu hart fuer das Zittern gefuellter Haende. Wohin kam die Thraene meinem Auge und der Flaum meinem Herzen? Oh Einsamkeit aller Schenkenden! Oh Schweigsamkeit aller Leuchtenden! Viel Sonnen kreisen im oeden Raume: zu Allem, was dunkel ist, reden sie mit ihrem Lichte - mir schweigen sie. Oh dies ist die Feindschaft des Lichts gegen Leuchtendes: erbarmungslos wandelt es seine Bahnen. Unbillig gegen Leuchtendes im tiefsten Herzen, kalt gegen Sonnen - also wandelt jede Sonne. Einem Sturme gleich wandeln die Sonnen ihre Bahnen, ihrem unerbittlichen Willen folgen sie, das ist ihre Kaelte. Oh ihr erst seid es, ihr Dunklen, ihr Naechtigen, die ihr Waerme schafft aus Leuchtendem! Oh ihr erst trinkt euch Milch und Labsal aus des Lichtes Eutern! Ach, Eis ist um mich, meine Hand verbrennt sich an Eisigem! Ach, Durst ist in mir, der schmachtet nach eurem Durste. Nacht ist es: ach dass ich Licht sein muss! Und Durst nach Naechtigem! Und Einsamkeit! Nacht ist es: nun bricht wie ein Born aus mir mein Verlangen, - nach Rede verlangt mich. Nacht ist es: nun reden lauter alle springenden Brunnen. Und auch meine Seele ist ein springender Brunnen. Nacht ist es: nun erwachen alle Lieder der Liebenden. Und auch meine Seele ist das Lied eines Liebenden. - 8. Dergleichen ist nie gedichtet, nie gefuehlt, nie gelitten worden: so leidet ein Gott, ein Dionysos. Die Antwort auf einen solchen Dithyrambus der Sonnen-Vereinsamung im Lichte waere Ariadne... Wer weiss ausser mir, was Ariadne ist!... Von allen solchen Raethseln hatte Niemand bisher die Loesung, ich zweifle, dass je jemand auch hier nur Raethsel sah. - Zarathustra bestimmt einmal, mit Strenge, seine Aufgabe - es ist auch die meine -, dass man sich ueber den Sinn nicht vergreifen kann: er ist ja sagend bis zur Rechtfertigung, bis zur Erloesung auch alles Vergangenen. Ich wandle unter Menschen als unter Bruchstuecken der Zukunft: jener Zukunft, die ich schaue. Und das ist all mein Dichten und Trachten, dass ich in Eins dichte und zusammentrage, was Bruchstueck ist und Raethsel und grauser Zufall. Und wie ertruege ich es Mensch zu sein, wenn der Mensch nicht auch Dichter und Raethselrather und Erloeser des Zufalls waere? Die Vergangnen zu erloesen und alles "Es war" umzuschaffen in ein "So wollte ich es!" das hiesse mir erst Erloesung. An einer andren Stelle bestimmt er so streng als moeglich, was fuer ihn allein "der Mensch" sein kann - kein Gegenstand der Liebe oder gar des Mitleidens - auch ueber den grossen Ekel am Menschen ist Zarathustra Herr geworden: der Mensch ist ihm eine Unform, ein Stoff, ein haesslicher Stein, der des Bildners bedarf. Nicht-mehr-wollen und Nicht-mehr-schaetzen und Nicht-mehr-schaffen: oh dass diese grosse Muedigkeit mir stets ferne bleibe! Auch im Erkennen fuehle ich nur meines Willens Zeuge- und Werdelust; und wenn Unschuld in meiner Erkenntniss ist, so geschieht dies, weil Wille zur Zeugung in ihr ist. Hinweg von Gott und Goettern lockte mich dieser Wille: was waere denn zu schaffen, wenn Goetter - da waeren? Aber zum Menschen treibt er mich stets von Neuem, mein inbruenstiger Schaffens-Wille; so treibt's den Hammer hin zum Steine. Ach, ihr Menschen, im Steine schlaeft mir ein Bild, das Bild der Bilder! Ach, dass es im haertesten, haesslichsten Steine schlafen muss! Nun wuethet mein Hammer grausam gegen sein Gefaengniss. Vom Steine staeuben Stuecke: was schiert mich das! Vollenden will ich's, denn ein Schatten kam zu mir, - aller Dinge Stillstes und Leichtestes kam einst zu mir! Des Uebermenschen Schoenheit kam zu mir als Schatten: was gehen mich noch - die Goetter an!... Ich hebe einen letzten Gesichtspunkt hervor: der unterstrichne Vers giebt den Anlass hierzu. Fuer eine dionysische Aufgabe gehoert die Haerte des Hammers, die Lust selbstam Vernichten in entscheidender Weise zu den Vorbedingungen. Der Imperativ "werdet hart!", die unterste Gewissheit darueber, dass alle Schaffenden hart sind, ist das eigentliche Abzeichen einer dionysischen Natur. - Jenseits von Gut und Boese. Vorspiel einer Philosophie der Zukunft. 1. Die Aufgabe fuer die nunmehr folgenden Jahre war so streng als moeglich vorgezeichnet. Nachdem der jasagende Theil meiner Aufgabe geloest war, kam die neinsagende, neinthuende Haelfte derselben an die Reihe: die Umwerthung der bisherigen Werthe selbst, der grosse Krieg, - die Heraufbeschwoerung eines Tags der Entscheidung. Hier ist eingerechnet der langsame Umblick nach Verwandten, nach Solchen, die aus der Staerke heraus Zum Vernichten mir die Hand bieten wuerden. - Von da an sind alle meine Schriften Angelhaken: vielleicht verstehe ich mich so gut als jemand auf Angeln?... Wenn Nichts sich fieng, so liegt die Schuld nicht an mir. Die Fische fehlten... 2. Dies Buch (1886) ist in allem Wesentlichen eine Kritik der Modernitaet, die modernen Wissenschaften, die modernen Kuenste, selbst die moderne Politik nicht ausgeschlossen, nebst Fingerzeigen zu einem Gegensatz-Typus, der so wenig modern als moeglich ist, einem vornehmen, einem jasagenden Typus. Im letzteren Sinne ist das Buch eine Schule des gentilhomme, der Begriff geistiger und radikaler genommen als er je genommen worden ist. Man muss Muth im Leibe haben, ihn auch nur auszuhalten, man muss das Fuerchten nicht gelernt haben... Alle die Dinge, worauf das Zeitalter stolz ist, werden als Widerspruch zu diesem Typus empfunden, als schlechte Manieren beinahe, die beruehmte "Objektivitaet" zum Beispiel, das "Mitgefuehl mit allem Leidenden", der "historische Sinn" mit seiner Unterwuerfigkeit vor fremdem Geschmack, mit seinem Auf-dem-Bauch-liegen vor petits faits, die "Wissenschaftlichkeit". - Erwaegt man, dass das Buch nach dem Zarathustra folgt, so erraeth man vielleicht auch das diaetetische regime, dem es eine Entstehung verdankt. Das Auge, verwoehnt durch eine ungeheure Noethigung fern zu sehn - Zarathustra ist weitsichtiger noch als der Czar -, wird hier gezwungen, das Naechste, die Zeit, das Um-uns scharf zu fassen. Man wird in allen Stuecken, vor Allem auch in der Form, eine gleiche willkuerliche Abkehr von den Instinkten finden, aus denen ein Zarathustra moeglich wurde. Das Raffinement in Form, in Absicht, in der Kunst des Schweigens, ist im Vordergrunde, die Psychologie wird mit eingestaendlicher Haerte und Grausamkeit gehandhabt, - das Buch entbehrt jedes gutmuethigen Worts... Alles das erholt: wer erraeth zuletzt, welche Art Erholung eine solche Verschwendung von Guete, wie der Zarathustra ist, noethig macht?... Theologisch geredet - man hoere zu, denn ich rede selten als Theologe - war es Gott selber, der sich als Schlange am Ende seines Tagewerks unter den Baum der Erkenntniss legte: er erholte sich so davon, Gott zu sein... Er hatte Alles zu schoen gemacht... Der Teufel ist bloss der Muessiggang Gottes an jedem siebenten Tage... Genealogie der Moral. Eine Streitschrift. Die drei Abhandlungen, aus denen diese Genealogie besteht, sind vielleicht in Hinsicht auf Ausdruck, Absicht und Kunst der Ueberraschung, das Unheimlichste, was bisher geschrieben worden ist. Dionysos ist, man weiss es, auch der Gott der Finsterniss. - Jedes Mal ein Anfang, der irre fuehren soll, kuehl, wissenschaftlich, ironisch selbst, absichtlich Vordergrund, absichtlich hinhaltend. Allmaehlich mehr Unruhe; vereinzeltes Wetterleuchten; sehr unangenehme Wahrheiten aus der Ferne her mit dumpfem Gebrumm laut werdend, - bis endlich ein tempo feroce erreicht ist, wo Alles mit ungeheurer Spannung vorwaerts treibt. Am Schluss jedes Mal, unter vollkommen schauerlichen Detonationen, eine neue Wahrheit zwischen dicken Wolken sichtbar. - Die Wahrheit der ersten Abhandlung ist die Psychologie des Christenthums: die Geburt des Christenthums aus dem Geiste des Ressentiment, nicht, wie wohl geglaubt, wird, aus dem "Geiste", - eine Gegenbewegung ihrem Wesen nach, der grosse Aufstand gegen die Herrschaft vornehmer Werthe. Die zweite Abhandlung giebt die Psychologie des Gewissens: dasselbe ist nicht, wie wohl geglaubt wird, "die Stimme Gottes im Menschen", - es ist der Instinkt der Grausamkeit, der sich rueckwaerts wendet, nachdem er nicht mehr nach aussen hin sich entladen kann. Die Grausamkeit als einer der aeltesten und unwegdenkbarsten Cultur-Untergruende hier zum ersten Male ans Licht gebracht. Die dritte Abhandlung giebt die Antwort auf die Frage, woher die ungeheure Macht des asketischen Ideals, des Priester-Ideals, stammt, obwohl dasselbe das schaedliche Ideal par excellence, ein Wille zum Ende, ein decadence-Ideal ist. Antwort: nicht, weil Gott hinter den Priestern thaetig ist, was wohl geglaubt wird, sondern faute de mieux, - weil es das einzige Ideal bisher war, weil es keinen Concurrenten hatte. "Denn der Mensch will lieber noch das Nichts wollen als nicht wollen"... Vor allem fehlte ein Gegen-Ideal - bis auf Zarathustra. - Man hat mich verstanden. Drei entscheidende Vorarbeiten eines Psychologen fuer eine Umwerthung aller Werthe. - Dies Buch enthaelt die erste Psychologie des Priesters. Goetzen-Daemmerung. Wie man mit dem Hammer philosophirt. 1. Diese Schrift von noch nicht 150 Seiten, heiter und verhaengnissvoll im Ton, ein Daemon, welcher lacht -, das Werk von so wenig Tagen, dass ich Anstand nehme, ihre Zahl zu nennen, ist unter Buechern ueberhaupt die Ausnahme: es giebt nichts Substanzenreicheres, Unabhaengigeres, Umwerfenderes, - Boeseres. Will man sich kurz einen Begriff davon geben, wie vor mir Alles auf dem Kopfe stand, so mache man den Anfang mit dieser Schrift. Das, was Goetze auf dem Titelblatt heisst, ist ganz einfach das, was bisher Wahrheit genannt wurde. Goetzen- Daemmerung - auf deutsch: es geht zu Ende mit der alten Wahrheit... 2. Es giebt keine Realitaet, keine "Idealitaet", die in dieser Schrift nicht beruehrt wuerde (- beruehrt: was fuer ein vorsichtiger Euphemismus!...) Nicht bloss die ewigen Goetzen, auch die allerjuengsten, folglich altersschwaechsten. Die "modernen Ideen" zum Beispiel. Ein grosser Wind blaest zwischen den Baeumen, und ueberall fallen Fruechte nieder - Wahrheiten. Es ist die Verschwendung eines allzureichen Herbstes darin: man stolpert ueber Wahrheiten, man tritt selbst einige todt, - es sind ihrer zu viele... Was man aber in die Haende bekommt, das ist nichts Fragwuerdiges mehr, das sind Entscheidungen. Ich erst habe den Maassstab fuer "Wahrheiten" in der Hand, ich kann erst entscheiden. Wie als ob in mir ein zweites Bewusstsein gewachsen waere, wie als ob sich in mir "der Wille" ein Licht angezuendet haette ueber die schiefe Bahn, auf der er bisher abwaerts lief... Die schiefe Bahn - man nannte sie den Weg zur "Wahrheit"... Es ist zu Ende mit allem "dunklen Drang", der gute Mensch gerade war sich am wenigsten des rechten Wegs bewusst... Und allen Ernstes, Niemand wusste vor mir den rechten Weg, den Weg aufwaerts: erst von mir an giebt es wieder Hoffnungen, Aufgaben, vorzuschreibende Wege der Cultur - ich bin deren froher Botschafter... Eben damit bin ich auch ein Schicksal. - - 3. Unmittelbar nach Beendigung des eben genannten Werks und ohne auch nur einen Tag zu verlieren, griff ich die ungeheure Aufgabe der Umwerthung an, in einem souverainen Gefuehl von Stolz, dem Nichts gleichkommt, jeden Augenblick meiner Unsterblichkeit gewiss und Zeichen fuer Zeichen mit der Sicherheit eines Schicksals in eherne Tafeln grabend. Das Vorwort entstand am 3. September 1888: als ich Morgens, nach dieser Niederschrift, ins Freie trat, fand ich den schoensten Tag vor mir, den das Oberengadin mir je gezeigt hat - durchsichtig, gluehend in den Farben, alle Gegensaetze, alle Mitten zwischen Eis und Sueden in sich schliessend. - Erst am 20. September verliess ich Sils-Maria, durch Ueberschwemmungen zurueckgehalten, Zuletzt bei weitem der einzige Gast dieses wunderbaren Orts, dem meine Dankbarkeit das Geschenk eines unsterblichen Namens machen will. Nach einer Reise mit Zwischenfaellen, sogar mit einer Lebensgefahr im ueberschwemmten Como, das ich erst tief in der Nacht erreichte, kam ich am Nachmittag des 21. in Turin an, meinem bewiesenen Ort, meiner Residenz von nun an. Ich nahm die gleiche Wohnung wieder, die ich im Fruehjahr innegehabt hatte, via Carlo Alberto 6, III, gegenueber dem maechtigen palazzo Carignano, in dem Vittore Emanuele geboren ist, mit dem Blick auf die piazza Carlo Alberto und drueber hinaus aufs Huegelland. Ohne Zoegern und ohne mich einen Augenblick abziehn zu lassen, gieng ich wieder an die Arbeit: es war nur das letzte Viertel des Werks noch abzuthun. Am 30, September grosser Sieg; Beendigung der Umwerthung; Muessiggang eines Gottes am Po entlang. Am gleichen Tage schrieb ich noch das Vorwort zur "Goetzen-Daemmerung", deren Druckbogen zu corrigiren meine Erholung im September gewesen war. - Ich habe nie einen solchen Herbst erlebt, auch nie Etwas der Art auf Erden fuer moeglich gehalten, - ein Claude Lorrain ins Unendliche gedacht, jeder Tag von gleicher unbaendiger Vollkommenheit. Der Fall Wagner. Ein Musikanten-Problem. 1. Um dieser Schrift gerecht zu werden, muss man am Schicksal der Musik wie an einer offnen Wunde leiden. - Woran ich leide, wenn ich am Schicksal der Musik leide? Daran, dass die Musik um ihren weltverklaerenden, jasagenden Charakter gebracht worden ist, - dass sie decadence-Musik und nicht mehr die Floete des Dionysos ist... Gesetzt aber, dass man dergestalt die Sache der Musik wie seine eigene Sache, wie seine eigene Leidensgeschichte fuehlt, so wird man diese Schrift voller Ruecksichten und ueber die Maassen mild finden. In solchen Faellen heiter sein und sich gutmuethig mit verspotten - ridendo dicere severum, wo das verum dicere jede Haerte rechtfertigen wuerde - ist die Humanitaet selbst. Wer zweifelt eigentlich daran, dass ich, als der alte Artillerist, der ich bin, es in der Hand habe, gegen Wagner mein schweres Geschuetz aufzufahren? - Ich hielt alles Entscheidende in dieser Sache bei mir zurueck, - ich habe Wagner geliebt. - Zuletzt liegt ein Angriff auf einen feineren "Unbekannten", den nicht leicht ein Anderer erraeth, im Sinn und Wege meiner Aufgabe - oh ich habe noch ganz andre "Unbekannte" aufzudecken als einen Cagliostro der Musik - noch mehr freilich ein Angriff auf die in geistigen Dingen immer traeger und instinktaermer, immer ehrlicher werdende deutsche Nation, die mit einem beneidenswerthen Appetit fortfaehrt, sich von Gegensaetzen zu naehren und den "Glauben" so gut wie die Wissenschaftlichkeit, die "christliche Liebe" so gut wie den Antisemitismus, den Willen zur Macht (zum "Reich") so gut wie das evangile des humbles ohne Verdauungsbeschwerden hinunterschluckt... Dieser Mangel an Partei zwischen Gegensaetzen! diese stomachische Neutralitaet und "Selbstlosigkeit"! Dieser gerechte Sinn des deutschen Gaumens, der Allem gleiche Rechte giebt, - der Alles schmackhaft findet... Ohne allen Zweifel, die Deutschen sind Idealisten... Als ich das letzte Mal Deutschland besuchte, fand ich den deutschen Geschmack bemueht, Wagnern und dem Trompeter von Saeckingen gleiche Rechte zuzugestehn; ich selber war eigenhaendig Zeuge, wie man in Leipzig, zu Ehren eines der echtesten und deutschesten Musiker, im alten Sinne des Wortes deutsch, keines blossen Reichsdeutschen, es Meister Heinrich Schuetz einen Liszt-Verein gruendete, mit dem Zweck der Pflege und Verbreitung listiger Kirchenmusik... Ohne allen Zweifel, die Deutschen sind Idealisten... 2. Aber hier soll mich Nichts hindern, grob zu werden und den Deutschen ein paar harte Wahrheiten zu sagen: wer thut es sonst? - Ich rede von ihrer Unzucht in historicis. Nicht nur, dass den deutschen Historikern der grosse Blick fuer den Gang, fuer die Werthe der Cultur gaenzlich abhanden gekommen ist, dass sie allesammt Hanswuerste der Politik (oder der Kirche -) sind: dieser grosse Blick ist selbst von ihnen in Acht gethan. Man muss vorerst "deutsch" sein, "Rasse" sein, dann kann man ueber alle Werthe und Unwerthe in historicis entscheiden - man setzt sie fest... "Deutsch" ist ein Argument, "Deutschland, Deutschland ueber Alles" ein Princip, die Germanen sind die "sittliche Weltordnung" in der Geschichte; im Verhaeltniss zum imperium romanum die Traeger der Freiheit, im Verhaeltniss zum achtzehnten Jahrhundert die Wiederhersteller der Moral, des "kategorischen Imperativs",... Es giebt eine reichsdeutsche Geschichtsschreibung, es giebt, fuerchte ich, selbst eine antisemitische, - es giebt eine Hof-Geschichtsschreibung und Herr von Treitschke schaemt sich nicht... Juengst machte ein Idioten-Urtheil in historicis, ein Satz des zum Glueck verblichenen aesthetischen Schwaben Vischer, die Runde durch die deutschen Zeitungen als eine "Wahrheit", zu der jeder Deutsche Ja sagen muesse: "Die Renaissance und die Reformation, Beide zusammen machen erst ein Ganzes - die aesthetische Wiedergeburt und die sittliche Wiedergeburt." - Bei solchen Saetzen geht es mit meiner Geduld zu Ende, und ich spuere Lust, ich fuehle es selbst als Pflicht, den Deutschen einmal zu sagen, was sie Alles schon auf dem Gewissen haben. Alle grossen Cultur-Verbrechen von vier Jahrhunderten haben sie auf dem Gewissen!... Und immer aus dem gleichen Grunde, aus ihrer innerlichsten Feigheit vor der Realitaet, die auch die Feigheit vor der Wahrheit ist, aus ihrer bei ihnen Instinkt gewordnen Unwahrhaftigkeit, aus "Idealismus"... Die Deutschen haben Europa um die Ernte, um den Sinn der letzten grossen Zeit, der Renaissance-Zeit, gebracht, in einem Augenblicke, wo eine hoehere Ordnung der Werthe, wo die vornehmen, die zum Leben jasagenden, die Zukunft-verbuergenden Werthe am Sitz der entgegengesetzten, der Niedergangs-Werthe zum Sieg gelangt waren - und bis in die Instinkte der dort Sitzenden hinein! Luther, dies Verhaengniss von Moench, hat die Kirche, und, was tausend Mal schlimmer ist, das Christenthum wiederhergestellt, im Augenblick, wo es unterlag... Das Christenthum, diese Religion gewordne Verneinung des Willens zum Leben!... Luther, ein unmoeglicher Moench, der, aus Gruenden seiner "Unmoeglichkeit", die Kirche angriff und sie - folglich! - wiederherstellte... Die Katholiken haetten Gruende, Lutherfeste zu feiern, Lutherspiele zu dichten... Luther - und die "sittliche Wiedergeburt"! Zum Teufel mit aller Psychologie! Ohne Zweifel, die Deutschen sind Idealisten. Die Deutschen haben zwei Mal, als eben mit ungeheurer Tapferkeit und Selbstueberwindung eine rechtschaffne, eine unzweideutige, eine vollkommen wissenschaftliche Denkweise erreicht war, Schleichwege zum alten "Ideal", Versoehnungen zwischen Wahrheit und "Ideal", im Grunde Formeln fuer ein Recht auf Ablehnung der Wissenschaft, fuer ein Recht auf Luege zu finden gewusst. Leibniz und Kant - diese zwei groessten Hemmschuhe der intellektuellen Rechtschaffenheit Europa's! - Die Deutschen haben endlich, als auf der Bruecke zwischen zwei decadence-Jahrhunderten eine force majeure von Genie und Wille sichtbar wurde, stark genug, aus Europa eine Einheit, eine politische und wirtschaftliche Einheit, zum Zweck der Erdregierung zu schaffen, mit ihren "Freiheits-Kriegen" Europa um den Sinn, um das Wunder von Sinn in der Existenz Napoleon's gebracht, - sie haben damit Alles, was kam, was heute da ist, auf dem Gewissen, diese culturwidrigste Krankheit und Unvernunft, die es giebt, den Nationalismus, diese nevrose nationale, an der Europa krank ist, diese Verewigung der Kleinstaaterei Europas, der kleinen Politik: sie haben Europa selbst um seinen Sinn, um seine Vernunft - sie haben es in eine Sackgasse gebracht. - Weiss jemand ausser mir einen Weg aus dieser Sackgasse?... Eine Aufgabe gross genug, die Voelker wieder zu binden?... 3. - Und zuletzt, warum sollte ich meinem Verdacht nicht Worte geben? Die Deutschen werden auch in meinem Falle wieder Alles versuchen, um aus einem ungeheuren Schicksal eine Maus zu gebaeren. Sie haben sich bis jetzt an mir compromittirt, ich zweifle, dass sie es in Zukunft besser machen. - Ah was es mich verlangt, hier ein schlechter Prophet zu sein!... Meine natuerlichen Leser und Hoerer sind jetzt schon Russen, Skandinavier und Franzosen, - werden sie es immer mehr sein? - Die Deutschen sind in die Geschichte der Erkenntniss mit lauter zweideutigen Namen eingeschrieben, sie haben immer nur "unbewusste" Falschmuenzer hervorgebracht (- Fichte, Schelling, Schopenhauer, Hegel, Schleiermacher gebuehrt dies Wort so gut wie Kant und Leibniz, es sind Alles blosse Schleiermacher -): sie sollen nie die Ehre haben, dass der erste rechtschaffne Geist in der Geschichte des Geistes, der Geist, in dem die Wahrheit zu Gericht kommt ueber die Falschmuenzerei von vier Jahrtausenden, mit dem deutschen Geiste in Eins gerechnet wird. Der "deutsche Geist" ist meine schlechte Luft: ich athme schwer in der Naehe dieser Instinkt gewordnen Unsauberkeit in psychologicis, die jedes Wort, jede Miene eines Deutschen verraeth. Sie haben nie ein siebzehntes Jahrhundert harter Selbstpruefung durchgemacht wie die Franzosen, ein La Rochefoucauld, ein Descartes sind hundert Mal in Rechtschaffenheit den ersten Deutschen ueberlegen, - sie haben bis heute keinen Psychologen gehabt. Aber Psychologie ist beinahe der Maassstab der Reinlichkeit oder Unreinlichkeit einer Rasse... Und wenn man nicht einmal reinlich ist, wie sollte man Tiefe haben? Man kommt beim Deutschen, beinahe wie beim Weibe, niemals auf den Grund, er hat keinen: das ist Alles. Aber damit ist man noch nicht einmal flach. - Das, was in Deutschland "tief" heisst, ist genau diese Instinkt-Unsauberkeit gegen sich, von der ich eben rede: man will ueber sich nicht im Klaren sein. Duerfte ich das Wort "deutsch" nicht als internationale Muenze fuer diese psychologische Verkommenheit in Vorschlag bringen? - In diesem Augenblick zum Beispiel nennt es der deutsche Kaiser seine "christliche Pflicht", die Sklaven in Afrika zu befreien: unter uns andren Europaeern hiesse das dann einfach "deutsch"... Haben die Deutschen auch nur Ein Buch hervorgebracht, das Tiefe haette? Selbst der Begriff dafuer, was tief an einem Buch ist, geht ihnen ab. Ich habe Gelehrte kennen gelernt, die Kant fuer tief hielten; am preussischen Hofe, fuerchte ich, haelt man Herrn von Treitschke fuer tief. Und wenn ich Stendhal gelegentlich als tiefen Psychologen ruehme, ist es mir mit deutschen Universitaetsprofessoren begegnet, dass sie mich den Namen buchstabieren liessen... 4. - Und warum sollte ich nicht bis ans Ende gehn? Ich liebe es, reinen Tisch zu machen. Es gehoert selbst zu meinem Ehrgeiz, als Veraechter der Deutschen par excellence zu gelten. Mein Misstrauen gegen den deutschen Charakter habe ich schon mit sechsundzwanzig Jahren ausgedrueckt (dritte Unzeitgemaesse S. 71) - die Deutschen sind fuer mich unmoeglich. Wenn ich mir eine Art Mensch ausdenke, die allen meinen Instinkten zuwiderlaeuft, so wird immer ein Deutscher daraus. Das Erste, worauf hin ich mir einen Menschen "nierenpruefe", ist, ob er ein Gefuehl fuer Distanz im Leibe hat, ob er ueberall Rang, Grad, Ordnung zwischen Mensch und Mensch sieht, ob er distinguirt damit ist man gentilhomme; in jedem andren Fall gehoert man rettungslos unter den weitherzigen, ach! so gutmuethigen Begriff der canaille. Aber die Deutschen sind canaille - ach! sie sind so gutmuethig... Man erniedrigt sich durch den Verkehr mit Deutschen: der Deutsche stellt gleich... Rechne ich meinen Verkehr mit einigen Kuenstlern, vor Allem mit Richard Wagner ab, so habe ich keine gute Stunde mit Deutschen verlebt... Gesetzt, dass der tiefste Geist aller Jahrtausende unter Deutschen erschiene, irgend eine Retterin des Capitols wuerde waehnen, ihre sehr unschoene Seele kaeme zum Mindesten ebenso in Betracht... Ich halte diese Rasse nicht aus, mit der man immer in schlechter Gesellschaft ist, die keine Finger fuer nuances hat - wehe mir! ich bin eine nuance -, die keinen esprit in den Fuessen hat und nicht einmal gehen kann... Die Deutschen haben zuletzt gar keine Fuesse, sie haben bloss Beine... Den Deutschen geht jeder Begriff davon ab, wie gemein sie sind, aber das ist der Superlativ der Gemeinheit, - sie schaemen sich nicht einmal, bloss Deutsche zu sein... Sie reden ueber Alles mit, sie halten sich selbst fuer entscheidend, ich fuerchte, sie haben selbst ueber mich entschieden... - Mein ganzes Leben ist der Beweis de rigueur fuer diese Saetze. Umsonst, dass ich in ihm nach einem Zeichen von Takt, von delicatesse gegen mich suche. Von Juden ja, noch nie von Deutschen. Meine Art will es, dass ich gegen Jedermann mild und wohlwollend bin ich habe ein Recht dazu, keine Unterschiede zu machen dies hindert nicht, dass ich die Augen offen habe. Ich nehme Niemanden aus, am wenigsten meine Freunde, - ich hoffe zuletzt, dass dies meiner Humanitaet gegen sie keinen Abbruch gethan hat! Es giebt fuenf, sechs Dinge, aus denen ich mir immer eine Ehrensache gemacht habe. - Trotzdem bleibt wahr, dass ich fast jeden Brief, der mich seit Jahren erreicht, als einen Cynismus empfinde: es liegt mehr Cynismus im Wohlwollen gegen mich als in irgend welchem Hass... Ich sage es jedem meiner Freunde ins Gesicht, dass er es nie der Muehe fuer werth genug hielt, irgend eine meiner Schriften zu studieren; ich errathe aus den kleinsten Zeichen, dass sie nicht einmal wissen, was drin steht. Was gar meinen Zarathustra anbetrifft, wer von meinen Freunden haette mehr darin gesehn als eine unerlaubte, zum Glueck vollkommen gleichgueltige Anmaassung?... Zehn Jahre: und Niemand in Deutschland hat sich eine Gewissensschuld daraus gemacht, meinen Namen gegen das absurde Stillschweigen zu vertheidigen, unter dem er vergraben lag: ein Auslaender, ein Daene war es, der zuerst dazu genug Feinheit des Instinkts und Muth hatte, der sich ueber meine angeblichen Freunde empoerte... An welcher deutschen Universitaet waeren heute Vorlesungen ueber meine Philosophie moeglich, wie sie letztes Fruehjahr der damit noch einmal mehr bewiesene Psycholog Dr. Georg Brandes in Kopenhagen gehalten hat? - Ich selber habe nie an Alledem gelitten; das Nothwendige verletzt mich nicht; amor fati ist meine innerste Natur. Dies schliesst aber nicht aus, dass ich die Ironie liebe, sogar die welthistorische Ironie. Und so habe ich, zwei Jahre ungefaehr vor dem zerschmetternden Blitzschlag der Umwerthung, der die Erde in Convulsionen versetzen wird, den "Fall Wagner" in die Welt geschickt: die Deutschen sollten sich noch einmal unsterblich an mir vergreifen und verewigen! es ist gerade noch Zeit dazu! - Ist das erreicht? - Zum Entzuecken, meine Herrn Germanen! Ich mache Ihnen mein Compliment... Soeben schreibt mir noch, damit auch die Freunde nicht fehlen, eine alte Freundin, sie lache jetzt ueber mich... Und dies in einem Augenblicke, wo eine unsaegliche Verantwortlichkeit auf mir liegt, - wo kein Wort zu zart, kein Blick ehrfurchtsvoll genug gegen' mich sein kann. Denn ich trage das Schicksal der Menschheit auf der Schulter. - Warum ich ein Schicksal bin. 1. Ich kenne mein Loos. Es wird sich einmal an meinen Namen die Erinnerung an etwas Ungeheures anknuepfen, - an eine Krisis, wie es keine auf Erden gab, an die tiefste GewissensCollision, an eine Entscheidung heraufbeschworen gegen Alles, was bis dahin geglaubt, gefordert, geheiligt worden war. Ich bin kein Mensch, ich bin Dynamit. - Und mit Alledem ist Nichts in mir von einem Religionsstifter - Religionen sind Poebel-Affairen, ich habe noethig, mir die Haende nach der Beruehrung mit religioesen Menschen zu waschen... Ich will keine "Glaeubigen", ich denke, ich bin zu boshaft dazu, um an mich selbst zu glauben, ich rede niemals zu Massen... Ich habe eine erschreckliche Angst davor, dass man mich eines Tags heilig spricht: man wird errathen, weshalb ich dies Buch vorher herausgebe, es soll verhueten, dass man Unfug mit mir treibt... Ich will kein Heiliger sein, lieber noch ein Hanswurst... Vielleicht bin ich ein Hanswurst... Und trotzdem oder vielmehr nicht trotzdem denn es gab nichts Verlogneres bisher als Heilige - redet aus mir die Wahrheit. - Aber meine Wahrheit ist furchtbar: denn man hiess bisher die Luege Wahrheit. - Umwerthung aller Werthe: das ist meine Formel fuer einen Akt hoechster Selbstbesinnung der Menschheit, der in mir Fleisch und Genie geworden ist. Mein Loos will, dass ich der erste anstaendige Mensch sein muss, dass ich mich gegen die Verlogenheit von Jahrtausenden im Gegensatz weiss... Ich erst habe die Wahrheit entdeckt, dadurch dass ich zuerst die Luege als Luege empfand - roch... Mein Genie ist in meinen Nuestern... Ich widerspreche, wie nie widersprochen worden ist und bin trotzdem der Gegensatz eines neinsagenden Geistes. Ich bin ein froher Botschafter, wie es keinen gab ich kenne Aufgaben von einer Hoehe, dass der Begriff dafuer bisher gefehlt hat; erst von mir an giebt es wieder Hoffnungen. Mit Alledem bin ich nothwendig auch der Mensch des Verhaengnisses. Denn wenn die Wahrheit mit der Luege von Jahrtausenden in Kampf tritt, werden wir Erschuetterungen haben, einen Krampf von Erdbeben, eine Versetzung von Berg und Thal, wie dergleichen nie getraeumt worden ist. Der Begriff Politik ist dann gaenzlich in einen Geisterkrieg aufgegangen, alle Machtgebilde der alten Gesellschaft sind in die Luft gesprengt - sie ruhen allesamt auf der Luege: es wird Kriege geben, wie es noch keine auf Erden gegeben hat. Erst von mir an giebt es auf Erden grosse Politik. 2. Will man eine Formel fuer ein solches Schicksal, das Mensch wird? - Sie steht in meinem Zarathustra. - und wer ein Schoepfer sein will im Guten und Boesen, der muss ein Vernichter erst sein und Werthe zerbrechen. Also gehoert das hoechste Boese zur hoechsten Guete: diese aber ist die schoepferische. Ich bin bei weitem der furchtbarste Mensch, den es bisher gegeben hat; dies schliesst nicht aus, dass ich der wohlthaetigste sein werde. Ich kenne die Lust am Vernichten in einem Grade, die meiner Kraft zum Vernichten gemaess ist, - in Beidem gehorche ich meiner dionysischen Natur, welche das Neinthun nicht vom Jasagen zu trennen weiss. Ich bin der erste Immoralist: damit bin ich der Vernichter par excellence. - 3. Man hat mich nicht gefragt, man haette mich fragen sollen, was gerade in meinem Munde, im Munde des ersten Immoralisten, der Name Zarathustra bedeutet: denn was die ungeheure Einzigkeit jenes Persers in der Geschichte ausmacht, ist gerade dazu das Gegentheil. Zarathustra hat zuerst im Kampf des Guten und des Boesen das eigentliche Rad im Getriebe der Dinge gesehn, - die Uebersetzung der Moral in's Metaphysische, als Kraft, Ursache, Zweck an sich, ist sein Werk. Aber diese Frage waere im Grunde bereits die Antwort. Zarathustra, schuf diesen verhaengnissvollsten Irrthum, die Moral: folglich muss er auch der Erste sein, der ihn erkennt. Nicht nur, dass er hier laenger und mehr Erfahrung hat als sonst ein Denker - die ganze Geschichte ist ja die Experimental-Widerlegung vom Satz der sogenannten "sittlichen Weltordnung" -: das Wichtigere ist, Zarathustra ist wahrhaftiger als sonst ein Denker. Seine Lehre und sie allein hat die Wahrhaftigkeit als oberste Tugend - das heisst den Gegensatz zur Feigheit des "Idealisten", der vor der Realitaet die Flucht ergreift, Zarathustra hat mehr Tapferkeit im Leibe als alle Denker zusammengenommen. Wahrheit reden und gut mit Pfeilen schiessen, das ist die persische Tugend. - Versteht man mich?... Die Selbstueberwindung der Moral aus Wahrhaftigkeit, die Selbstueberwindung des Moralisten in seinen Gegensatz - in mich - das bedeutet in meinem Munde der Name Zarathustra. 4. Im Grunde sind es zwei Verneinungen, die mein Wort Immoralist in sich schliesst. Ich verneine einmal einen Typus Mensch, der bisher als der hoechste galt, die Guten, die Wohlwollenden, Wohltaethigen; ich verneine andrerseits eine Art Moral, welche als Moral an sich in Geltung und Herrschaft gekommen ist, die decadence-Moral, handgreiflicher geredet, die christliche Moral. Es waere erlaubt, den zweiten Widerspruch als den entscheidenderen anzusehn, da die Ueberschaetzung der Guete und des Wohlwollens, ins Grosse gerechnet, mir bereits als Folge der decadence gilt, als Schwaeche-Symptom, als unvertraeglich mit einem aufsteigenden und jasagenden Leben: im Jasagen ist Verneinen und Vernichten Bedingung. - Ich bleibe zunaechst bei der Psychologie des guten Menschen stehn. Um abzuschaetzen, was ein Typus Mensch werth ist, muss man den Preis nachrechnen, den seine Erhaltung kostet, - muss man seine Existenzbedingungen kennen. Die Existenz-Bedingung der Guten ist die Luege -: anders ausgedrueckt, das Nicht-sehn-wollen um jeden Preis, wie im Grunde die Realitaet beschaffen ist, naemlich nicht der Art, um jeder Zeit wohlwollende Instinkte herauszufordern, noch weniger der Art, um sich ein Eingreifen von kurzsichtigen gutmuethigen Haenden jeder Zeit gefallen zu lassen. Die Nothstaende aller Art ueberhaupt als Einwand, als Etwas, das man abschaffen muss, betrachten, ist die niaiserie par excellence, ins Grosse gerechnet, ein wahres Unheil in seinen Folgen, ein Schicksal von Dummheit -, beinahe so dumm, als es der Wille waere, das schlechte Wetter abzuschaffen - aus Mitleiden etwa mit den armen Leuten... In der grossen Oekonomie des Ganzen sind die Furchtbarkeiten der Realitaet (in den Affekten, in den Begierden, im Willen zur Macht) in einem unausrechenbaren Maasse nothwendiger als jene Form des kleinen Gluecks, die sogenannte "Guete"; man muss sogar nachsichtig sein, um der letzteren, da sie in der Instinkt-Verlogenheit bedingt ist, ueberhaupt einen Platz zu goennen. Ich werde einen grossen Anlass haben, die ueber die Maassen unheimlichen Folgen des Optimismus, dieser Ausgeburt der homines optimi, fuer die ganze Geschichte zu beweisen. Zarathustra, der Erste, der begriff, dass der Optimist ebenso decadent ist wie der Pessimist und vielleicht schaedlicher, sagt: gute Menschen reden nie die Wahrheit. Falsche Kuesten und Sicherheiten lehrten euch die Guten; in Luegen der Guten wart ihr geboren und geborgen. Alles ist in den Grund hinein verlogen und verbogen durch die Guten. Die Welt ist zum Glueck nicht auf Instinkte hin gebaut, dass gerade bloss gutmuethiges Heerdengethier darin sein enges Glueck faende; zu fordern, dass Alles "guter Mensch", Heerdenthier, blauaeugig, wohlwollend, "schoene Seele" - oder, wie Herr Herbert Spencer es wuenscht, altruistisch werden solle, hiesse dem Dasein seinen grossen Charakter nehmen, hiesse die Menschheit castriren und auf eine armselige Chineserei herunterbringen. - Und dies hat man versucht! .. Dies eben hiess man Moral... In diesem Sinne nennt Zarathustra die Guten bald "die letzten Menschen", bald den "Anfang vom Ende"; vor Allem empfindet er sie als die schaedlichste Art Mensch, weil sie ebenso auf Kosten der Wahrheit als auf Kosten der Zukunft ihre Existenz durchsetzen. Die Guten - die koennen nicht schaffen, die sind immer der Anfang vom Ende - - sie kreuzigen den, der neue Werthe auf neue Tafeln schreibt, sie opfern sich die Zukunft, sie kreuzigen alle Menschen-Zukunft! Die Guten - die waren immer der Anfang vom Ende... Und was auch fuer Schaden die Welt-Verleumder thun moegen, der Schaden der Guten ist der schaedlichste Schaden. 5. Zarathustra, der erste Psycholog der Guten, ist - folglich ein Freund der Boesen. Wenn eine decadence-Art Mensch zum Rang der hoechsten Art aufgestiegen ist, so konnte dies nur auf Kosten ihrer Gegensatz-Art geschehn, der starken und lebensgewissen Art Mensch. Wenn das Heerdenthier im Glanze der reinsten Tugend strahlt, so muss der Ausnahme-Mensch zum Boesen heruntergewerthet sein. Wenn die Verlogenheit um jeden Preis das Wort "Wahrheit" fuer ihre Optik in Anspruch nimmt, so muss der eigentlich Wahrhaftige unter den schlimmsten Namen wiederzufinden sein. Zarathustra laesst hier keinen Zweifel: er sagt, die Erkenntniss der Guten, der "Besten" gerade sei es gewesen, was ihm Grausen vor dem Menschen ueberhaupt gemacht habe; aus diesem Widerwillen seien ihm die Fluegel gewachsen, "fortzuschweben in ferne Zukuenfte", - er verbirgt es nicht, dass sein Typus Mensch, ein relativ uebermenschlicher Typus, gerade im Verhaeltniss zu den Guten uebermenschlich ist, dass die Guten und Gerechten seinen Uebermenschen Teufel nennen wuerden... Ihr hoechsten Menschen, denen mein Auge begegnete, das ist mein Zweifel an euch und mein heimliches Lachen: ich rathe, ihr wuerdet meinen Uebermenschen - Teufel heissen! So fremd seid ihr dem Grossen mit eurer Seele, dass euch der Uebermensch furchtbar sein wuerde in seiner Guete... An dieser Stelle und nirgends wo anders muss man den Ansatz machen, um zu begreifen, was Zarathustra will: diese Art Mensch, die er concipirt, concipirt die Realitaet, wie sie ist: sie ist stark genug dazu -, sie ist ihr nicht entfremdet, entrueckt, sie ist sie selbst, sie hat all deren Furchtbares und Fragwuerdiges auch noch in sich, damit erst kann der Mensch Groesse haben... 6. - Aber ich habe auch noch in einem andren Sinne das Wort Immoralist zum Abzeichen, zum Ehrenzeichen fuer mich gewaehlt; ich bin stolz darauf, dies Wort zu haben, das mich gegen die ganze Menschheit abhebt. Niemand noch hat die christliche Moral als unter sich gefuehlt: dazu gehoerte eine Hoehe, ein Fernblick, eine bisher ganz unerhoerte psychologische Tiefe und Abgruendlichkeit. Die christliche Moral war bisher die Circe aller Denker, - sie standen in ihrem Dienst. - Wer ist vor mir eingestiegen in die Hoehlen, aus denen der Gifthauch dieser Art von Ideal - der Weltverleumdung! - emporquillt? Wer hat auch nur zu ahnen gewagt, dass es Hoehlen sind? Wer war ueberhaupt vor mir unter den Philosophen Psycholog und nicht vielmehr dessen Gegensatz "hoeherer Schwindler" "Idealist"? Es gab vor mir noch gar keine Psychologie. - Hier der Erste zu sein kann ein Fluch sein, es ist jedenfalls ein Schicksal: denn man verachtet auch als der Erste... Der Ekel am Menschen ist meine Gefahr... 7. Hat man mich verstanden? - Was mich abgrenzt, was mich bei Seite stellt gegen den ganzen Rest der Menschheit, das ist, die christliche Moral entdeckt zu haben. Deshalb war ich eines Worts beduerftig, das den Sinn einer Herausforderung an Jedermann enthaelt. Hier nicht eher die Augen aufgemacht zu haben gilt mir als die groesste Unsauberkeit, die die Menschheit auf dem Gewissen hat, als Instinkt gewordner Selbstbetrug, als grundsaetzlicher Wille, jedes Geschehen, jede Ursaechlichkeit, jede Wirklichkeit nicht zu sehen, als Falschmuenzerei in psychologicis bis zum Verbrechen. Die Blindheit vor dem Christenthum ist das Verbrechen par excellence - das Verbrechen am Leben... Die Jahrtausende, die Voelker, die Ersten und die Letzten, die Philosophen und die alten Weiber - fuenf, sechs Augenblicke der Geschichte abgerechnet, mich als siebenten - in diesem Punkte sind sie alle einander wuerdig. Der Christ war bisher das "moralische Wesen", ein. Curiosum ohne Gleichen - und, als "moralisches Wesen", absuerder, verlogner, eitler, leichtfertiger, sich selber nachtheiliger als auch der groesste Veraechter der Menschheit es sich traeumen lassen koennte. Die christliche Moral - die boesartigste Form des Willens zur Luege, die eigentliche Circe der Menschheit: Das, was sie verdorben hat. Es ist nicht der Irrthum als Irrthum, was Mich bei diesem Anblick entsetzt, nicht der Jahrtausende lange Mangel an "gutem Willen", an Zucht, an Anstand, an Tapferkeit im Geistigen, der sich in seinem Sieg verraeth: - es ist der Mangel an Natur, es ist der vollkommen schauerliche Thatbestand, dass die Widernatur selbst als Moral die hoechsten Ehren empfieng und als Gesetz, als kategorischer Imperativ, ueber der Menschheit haengen blieb!... In diesem Maasse sich vergreifen, nicht als Einzelner, nicht als Volk, sondern als Menschheit!... Dass man die allerersten Instinkte des Leben[s] verachten lehrte; dass man eine "Seele", einen "Geist" erlog, um den Leib zu Schanden zu machen; dass man in der Voraussetzung des Lebens, in der Geschlechtlichkeit, etwas Unreines empfinden lehrt; dass man in der tiefsten Nothwendigkeit zum Gedeihen, in der strengen Selbstsucht (- das Wort schon ist verleumderisch! -) das boese Princip sucht; dass man umgekehrt in dem typischen Abzeichen des Niedergangs und der Instinkt-Widerspruechlichkeit, im "Selbstlosen", im Verlust an Schwergewicht, in der "Entpersoenlichung" und "Naechstenliebe" (- Naechstensucht!) den hoeheren Werth, was sage ich! den Werth an sich sieht!... Wie! waere die Menschheit selber in decadence? war sie es immer? - Was feststeht, ist, dass ihr nur Decadence-Werthe als oberste Werthe gelehrt worden sind. Die Entselbstungs-Moral ist die Niedergangs-Moral par excellence, die Thatsache "ich gehe zu Grunde", in den Imperativ uebersetzt: "ihr sollt alle zu Grunde gehn" - und nicht nur in den Imperativ!... Diese einzige Moral, die bisher gelehrt worden ist, die Entselbstungs-Moral, verraeth einen Willen zum Ende, sie verneint im untersten Grunde das Leben. - Hier bliebe die Moeglichkeit offen, dass nicht die Menschheit in Entartung sei, sondern nur jene parasitische Art Mensch, die des Priesters, die mit der Moral sich zu ihren Werth-Bestimmern emporgelogen hat, - die in der christlichen Moral ihr Mittel zur Macht errieth... Und in der That, das ist meine Einsicht: die Lehrer, die Fuehrer der Menschheit, Theologen insgesammt, waren insgesammt auch decadents: daher die Umwerthung aller Werthe ins Lebensfeindliche, daher die Moral... Definition der Moral: Moral - die Idiosynkrasie von decadents, mit der Hinterabsicht, sich am Leben zu raechen - und mit Erfolg. Ich lege Werth auf diese Definition. - 8. - Hat man mich verstanden? - Ich habe eben kein Wort gesagt, das ich nicht schon vor fuenf Jahren durch den Mund Zarathustras gesagt haette. - Die Entdeckung der christlichen Moral ist ein Ereigniss, das nicht seines Gleichen hat, eine wirkliche Katastrophe. Wer ueber sie aufklaert, ist eine force majeure, ein Schicksal, - er bricht die Geschichte der Menschheit in zwei Stuecke. Man lebt vor ihm, man lebt nach ihm... Der Blitz der Wahrheit traf gerade das, was bisher am Hoechsten stand: wer begreift, was da vernichtet wurde, mag zusehn, ob er ueberhaupt noch Etwas in den Haenden hat. Alles, was bisher "Wahrheit" hiess, ist als die schaedlichste, tueckischste, unterirdischste Form der Luege erkannt; der heilige Vorwand, die Menschheit zu "verbessern" als die List, das Leben selbst auszusaugen, blutarm zu machen. Moral als Vampyrismus... Wer die Moral entdeckt, hat den Unwerth aller Werthe mit entdeckt, an die man glaubt oder geglaubt hat; er sieht in den verehrtesten, in den selbst heilig gesprochnen Typen des Menschen nichts Ehrwuerdiges mehr, er sieht die verhaengnissvollste Art von Missgeburten darin, verhaengnissvoll, weil sie fascinirten... Der Begriff "Gott" erfunden als Gegensatz-Begriff zum Leben, - in ihm alles Schaedliche, Vergiftende, Verleumderische, die ganze Todfeindschaft gegen das Leben in eine entsetzliche Einheit gebracht! Der Begriff "Jenseits", "wahre Welt" erfunden, um die einzige Welt zu entwerthen, die es giebt, - um kein Ziel, keine Vernunft, keine Aufgabe fuer unsre Erden-Realitaet uebrig zu behalten! Der Begriff "Seele", "Geist", zuletzt gar noch "unsterbliche Seele", erfunden, um den Leib zu verachten, um ihn krank - "heilig" - zu machen, um allen Dingen, die Ernst im Leben verdienen, den Fragen von Nahrung, Wohnung, geistiger Diaet, Krankenbehandlung, Reinlichkeit, Wetter, einen schauerlichen Leichtsinn entgegenzubringen! Statt der Gesundheit das "Heil der Seele" - will sagen eine folie circulaire zwischen Busskrampf und Erloesungs-Hysterie! Der Begriff "Suende" erfunden sammt dem zugehoerigen Folter-Instrument, dem Begriff "freier Wille", um die Instinkte zu verwirren, um das Misstrauen gegen die Instinkte zur zweiten Natur zu machen! Im Begriff des "Selbstlosen", des "Sich-selbst-Verleugnenden" das eigentliche decadence-Abzeichen, das Gelockt-werden vom Schaedlichen, das Seinen-Nutzen-nicht-mehr-finden-koennen, die Selbst-Zerstoerung zum Werthzeichen ueberhaupt gemacht, zur "Pflicht", zur "Heiligkeit", zum "Goettlichen" im Menschen! Endlich - es ist das Furchtbarste - im Begriff des guten Menschen die Partei alles Schwachen, Kranken, Missrathnen, An-sich-selber-Leidenden genommen, alles dessen, was zu Grunde gehn soll -, das Gesetz der Selektion gekreuzt, ein Ideal aus dem Widerspruch gegen den stolzen und wohlgerathenen, gegen den jasagenden, gegen den zukunftsgewissen, zukunftverbuergenden Menschen gemacht - dieser heisst nunmehr der Boese... Und das Alles wurde geglaubt als Moral! - Ecrasez l'infame!-- 9. - Hat man mich verstanden? - Dionysos gegen den Gekreuzigten... *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK, ECCE HOMO *** This file should be named 7ecce10.txt or 7ecce10.zip Corrected EDITIONS of our eBooks get a new NUMBER, 7ecce11.txt VERSIONS based on separate sources get new LETTER, 7ecce10a.txt Project Gutenberg eBooks are often created from several printed editions, all of which are confirmed as Public Domain in the US unless a copyright notice is included. Thus, we usually do not keep eBooks in compliance with any particular paper edition. We are now trying to release all our eBooks one year in advance of the official release dates, leaving time for better editing. Please be encouraged to tell us about any error or corrections, even years after the official publication date. Please note neither this listing nor its contents are final til midnight of the last day of the month of any such announcement. The official release date of all Project Gutenberg eBooks is at Midnight, Central Time, of the last day of the stated month. A preliminary version may often be posted for suggestion, comment and editing by those who wish to do so. Most people start at our Web sites at: http://gutenberg.net or http://promo.net/pg These Web sites include award-winning information about Project Gutenberg, including how to donate, how to help produce our new eBooks, and how to subscribe to our email newsletter (free!). Those of you who want to download any eBook before announcement can get to them as follows, and just download by date. This is also a good way to get them instantly upon announcement, as the indexes our cataloguers produce obviously take a while after an announcement goes out in the Project Gutenberg Newsletter. http://www.ibiblio.org/gutenberg/etext04 or ftp://ftp.ibiblio.org/pub/docs/books/gutenberg/etext04 Or /etext03, 02, 01, 00, 99, 98, 97, 96, 95, 94, 93, 92, 92, 91 or 90 Just search by the first five letters of the filename you want, as it appears in our Newsletters. Information about Project Gutenberg (one page) We produce about two million dollars for each hour we work. The time it takes us, a rather conservative estimate, is fifty hours to get any eBook selected, entered, proofread, edited, copyright searched and analyzed, the copyright letters written, etc. Our projected audience is one hundred million readers. If the value per text is nominally estimated at one dollar then we produce $2 million dollars per hour in 2002 as we release over 100 new text files per month: 1240 more eBooks in 2001 for a total of 4000+ We are already on our way to trying for 2000 more eBooks in 2002 If they reach just 1-2% of the world's population then the total will reach over half a trillion eBooks given away by year's end. The Goal of Project Gutenberg is to Give Away 1 Trillion eBooks! This is ten thousand titles each to one hundred million readers, which is only about 4% of the present number of computer users. Here is the briefest record of our progress (* means estimated): eBooks Year Month 1 1971 July 10 1991 January 100 1994 January 1000 1997 August 1500 1998 October 2000 1999 December 2500 2000 December 3000 2001 November 4000 2001 October/November 6000 2002 December* 9000 2003 November* 10000 2004 January* The Project Gutenberg Literary Archive Foundation has been created to secure a future for Project Gutenberg into the next millennium. We need your donations more than ever! As of February, 2002, contributions are being solicited from people and organizations in: Alabama, Alaska, Arkansas, Connecticut, Delaware, District of Columbia, Florida, Georgia, Hawaii, Illinois, Indiana, Iowa, Kansas, Kentucky, Louisiana, Maine, Massachusetts, Michigan, Mississippi, Missouri, Montana, Nebraska, Nevada, New Hampshire, New Jersey, New Mexico, New York, North Carolina, Ohio, Oklahoma, Oregon, Pennsylvania, Rhode Island, South Carolina, South Dakota, Tennessee, Texas, Utah, Vermont, Virginia, Washington, West Virginia, Wisconsin, and Wyoming. We have filed in all 50 states now, but these are the only ones that have responded. As the requirements for other states are met, additions to this list will be made and fund raising will begin in the additional states. Please feel free to ask to check the status of your state. In answer to various questions we have received on this: We are constantly working on finishing the paperwork to legally request donations in all 50 states. If your state is not listed and you would like to know if we have added it since the list you have, just ask. While we cannot solicit donations from people in states where we are not yet registered, we know of no prohibition against accepting donations from donors in these states who approach us with an offer to donate. International donations are accepted, but we don't know ANYTHING about how to make them tax-deductible, or even if they CAN be made deductible, and don't have the staff to handle it even if there are ways. Donations by check or money order may be sent to: Project Gutenberg Literary Archive Foundation PMB 113 1739 University Ave. Oxford, MS 38655-4109 Contact us if you want to arrange for a wire transfer or payment method other than by check or money order. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation has been approved by the US Internal Revenue Service as a 501(c)(3) organization with EIN [Employee Identification Number] 64-622154. Donations are tax-deductible to the maximum extent permitted by law. As fund-raising requirements for other states are met, additions to this list will be made and fund-raising will begin in the additional states. We need your donations more than ever! You can get up to date donation information online at: http://www.gutenberg.net/donation.html *** If you can't reach Project Gutenberg, you can always email directly to: Michael S. Hart Prof. Hart will answer or forward your message. We would prefer to send you information by email. **The Legal Small Print** (Three Pages) ***START**THE SMALL PRINT!**FOR PUBLIC DOMAIN EBOOKS**START*** Why is this "Small Print!" statement here? You know: lawyers. They tell us you might sue us if there is something wrong with your copy of this eBook, even if you got it for free from someone other than us, and even if what's wrong is not our fault. So, among other things, this "Small Print!" statement disclaims most of our liability to you. It also tells you how you may distribute copies of this eBook if you want to. *BEFORE!* YOU USE OR READ THIS EBOOK By using or reading any part of this PROJECT GUTENBERG-tm eBook, you indicate that you understand, agree to and accept this "Small Print!" statement. If you do not, you can receive a refund of the money (if any) you paid for this eBook by sending a request within 30 days of receiving it to the person you got it from. If you received this eBook on a physical medium (such as a disk), you must return it with your request. ABOUT PROJECT GUTENBERG-TM EBOOKS This PROJECT GUTENBERG-tm eBook, like most PROJECT GUTENBERG-tm eBooks, is a "public domain" work distributed by Professor Michael S. Hart through the Project Gutenberg Association (the "Project"). Among other things, this means that no one owns a United States copyright on or for this work, so the Project (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. Special rules, set forth below, apply if you wish to copy and distribute this eBook under the "PROJECT GUTENBERG" trademark. Please do not use the "PROJECT GUTENBERG" trademark to market any commercial products without permission. To create these eBooks, the Project expends considerable efforts to identify, transcribe and proofread public domain works. Despite these efforts, the Project's eBooks and any medium they may be on may contain "Defects". Among other things, Defects may take the form of incomplete, inaccurate or corrupt data, transcription errors, a copyright or other intellectual property infringement, a defective or damaged disk or other eBook medium, a computer virus, or computer codes that damage or cannot be read by your equipment. LIMITED WARRANTY; DISCLAIMER OF DAMAGES But for the "Right of Replacement or Refund" described below, [1] Michael Hart and the Foundation (and any other party you may receive this eBook from as a PROJECT GUTENBERG-tm eBook) disclaims all liability to you for damages, costs and expenses, including legal fees, and [2] YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE OR UNDER STRICT LIABILITY, OR FOR BREACH OF WARRANTY OR CONTRACT, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR INCIDENTAL DAMAGES, EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH DAMAGES. If you discover a Defect in this eBook within 90 days of receiving it, you can receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending an explanatory note within that time to the person you received it from. If you received it on a physical medium, you must return it with your note, and such person may choose to alternatively give you a replacement copy. If you received it electronically, such person may choose to alternatively give you a second opportunity to receive it electronically. THIS EBOOK IS OTHERWISE PROVIDED TO YOU "AS-IS". NO OTHER WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, ARE MADE TO YOU AS TO THE EBOOK OR ANY MEDIUM IT MAY BE ON, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR A PARTICULAR PURPOSE. Some states do not allow disclaimers of implied warranties or the exclusion or limitation of consequential damages, so the above disclaimers and exclusions may not apply to you, and you may have other legal rights. INDEMNITY You will indemnify and hold Michael Hart, the Foundation, and its trustees and agents, and any volunteers associated with the production and distribution of Project Gutenberg-tm texts harmless, from all liability, cost and expense, including legal fees, that arise directly or indirectly from any of the following that you do or cause: [1] distribution of this eBook, [2] alteration, modification, or addition to the eBook, or [3] any Defect. DISTRIBUTION UNDER "PROJECT GUTENBERG-tm" You may distribute copies of this eBook electronically, or by disk, book or any other medium if you either delete this "Small Print!" and all other references to Project Gutenberg, or: [1] Only give exact copies of it. Among other things, this requires that you do not remove, alter or modify the eBook or this "small print!" statement. You may however, if you wish, distribute this eBook in machine readable binary, compressed, mark-up, or proprietary form, including any form resulting from conversion by word processing or hypertext software, but only so long as *EITHER*: [*] The eBook, when displayed, is clearly readable, and does *not* contain characters other than those intended by the author of the work, although tilde (~), asterisk (*) and underline (_) characters may be used to convey punctuation intended by the author, and additional characters may be used to indicate hypertext links; OR [*] The eBook may be readily converted by the reader at no expense into plain ASCII, EBCDIC or equivalent form by the program that displays the eBook (as is the case, for instance, with most word processors); OR [*] You provide, or agree to also provide on request at no additional cost, fee or expense, a copy of the eBook in its original plain ASCII form (or in EBCDIC or other equivalent proprietary form). [2] Honor the eBook refund and replacement provisions of this "Small Print!" statement. [3] Pay a trademark license fee to the Foundation of 20% of the gross profits you derive calculated using the method you already use to calculate your applicable taxes. If you don't derive profits, no royalty is due. Royalties are payable to "Project Gutenberg Literary Archive Foundation" the 60 days following each date you prepare (or were legally required to prepare) your annual (or equivalent periodic) tax return. Please contact us beforehand to let us know your plans and to work out the details. WHAT IF YOU *WANT* TO SEND MONEY EVEN IF YOU DON'T HAVE TO? Project Gutenberg is dedicated to increasing the number of public domain and licensed works that can be freely distributed in machine readable form. The Project gratefully accepts contributions of money, time, public domain materials, or royalty free copyright licenses. Money should be paid to the: "Project Gutenberg Literary Archive Foundation." If you are interested in contributing scanning equipment or software or other items, please contact Michael Hart at: hart@pobox.com [Portions of this eBook's header and trailer may be reprinted only when distributed free of all fees. Copyright (C) 2001, 2002 by Michael S. Hart. Project Gutenberg is a TradeMark and may not be used in any sales of Project Gutenberg eBooks or other materials be they hardware or software or any other related product without express permission.] *END THE SMALL PRINT! FOR PUBLIC DOMAIN EBOOKS*Ver.02/11/02*END*