The Project Gutenberg EBook of Aquis Submersus, by Theodor Storm Copyright laws are changing all over the world. Be sure to check the copyright laws for your country before downloading or redistributing this or any other Project Gutenberg eBook. This header should be the first thing seen when viewing this Project Gutenberg file. Please do not remove it. Do not change or edit the header without written permission. Please read the "legal small print," and other information about the eBook and Project Gutenberg at the bottom of this file. Included is important information about your specific rights and restrictions in how the file may be used. 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This book content was graciously contributed by the Gutenberg Projekt-DE. That project is reachable at the web site http://gutenberg.spiegel.de/. Dieses Buch wurde uns freundlicherweise vom "Gutenberg Projekt-DE" zur Verfuegung gestellt. Das Projekt ist unter der Internet-Adresse http://gutenberg.spiegel.de/ erreichbar. Aquis submersus Theodor Storm Novelle (1876) In unserem zu dem frueher herzoglichen Schlosse gehoerigen, seit Menschengedenken aber ganz vernachlaessigten "Schlossgarten" waren schon in meiner Knabenzeit die einst im altfranzoesischen Stile angelegten Hagebuchenhecken zu duennen, gespenstischen Alleen ausgewachsen; da sie indessen immerhin noch einige Blaetter tragen, so wissen wir Hiesigen, durch Laub der Baeume nicht verwoehnt, sie gleichwohl auch in dieser Form zu schaetzen; und zumal von uns nachdenklichen Leuten wird immer der eine oder andre dort zu treffen sein. Wir pflegen dann unter dem duerftigen Schatten nach dem sogenannten "Berg" zu wandern, einer kleinen Anhoehe in der nordwestlichen Ecke des Gartens oberhalb dem ausgetrockneten Bette eines Fischteiches, von wo aus der weitesten Aussicht nichts im Wege steht. Die meisten moegen wohl nach Westen blicken, um sich an dem lichten Gruen der Marschen und darueberhin an der Silberflut des Meeres zu ergoetzen, auf welcher das Schattenspiel der langgestreckten Insel schwimmt; meine Augen wenden unwillkuerlich sich nach Norden, wo, kaum eine Meile fern, der graue spitze Kirchturm aus dem hoeher belegenen, aber oeden Kuestenlande aufsteigt; denn dort liegt eine von den Staetten meiner Jugend. Der Pastorssohn aus jenem Dorfe besuchte mit mir die "Gelehrtenschule" meiner Vaterstadt, und unzaehlige Male sind wir am Sonnabendnachmittage zusammen dahinaus gewandert, um dann am Sonntagabend oder montags frueh zu unserem Nepos oder spaeter zu unserem Cicero nach der Stadt zurueckzukehren. Es war damals auf der Mitte des Weges noch ein gut Stueck ungebrochener Heide uebrig, wie sie sich einst nach der einen Seite bis fast zur Stadt, nach der anderen ebenso gegen das Dorf erstreckt hatte. Hier summten auf den Blueten des duftenden Heidekrauts die Immen und weissgrauen Hummeln und rannte unter den duerren Stengeln desselben der schoene goldgruene Laufkaefer; hier in den Duftwolken der Eriken und des harzigen Gagelstrauches schwebten Schmetterlinge, die nirgends sonst zu finden waren. Mein ungeduldig dem Elternhause zustrebender Freund hatte oft seine liebe Not, seinen traeumerischen Genossen durch all die Herrlichkeiten mit sich fortzubringen; hatten wir jedoch das angebaute Feld erreicht, dann ging es auch um desto munterer vorwaerts, und bald, wenn wir nur erst den langen Sandweg hinaufwateten, erblickten wir auch schon ueber dem dunkeln Gruen einer Fliederhecke den Giebel des Pastorhauses, aus dem das Studierzimmer des Pastors mit seinen kleinen blinden Fensterscheiben auf die bekannten Gaeste hinabgruesste. Bei den Pastorsleuten, deren einziges Kind mein Freund war, hatten wir allezeit, wie wir hier zu sagen pflegen, fuenf Quartier auf der Elle, ganz abgesehen von der wunderbaren Naturalverpflegung. Nur die Silberpappel, der einzig hohe und also auch einzig verlockende Baum des Dorfes, welche ihre Zweige ein gut Stueck oberhalb des bemoosten Strohdaches rauschen liess, war gleich dem Apfelbaum des Paradieses uns verboten und wurde daher nur heimlich von uns erklettert; sonst war, soviel ich mich entsinne, alles erlaubt und wurde ja nach unserer Altersstufe bestens von uns ausgenutzt. Der Hauptschauplatz unserer Taten war die grosse "Priesterkoppel", zu der ein Pfoertchen aus dem Garten fuehrte. Hier wussten wir mit dem den Buben angebotenen Instinkte die Nester der Lerchen und der Grauammern aufzuspueren, denen wir dann die wiederholtesten Besuche abstatteten, um nachzusehen, wie weit in den letzten zwei Stunden die Eier oder die Jungen nun gediehen seien; hier auf einer tiefen und, wie ich jetzt meine, nicht weniger als jene Pappel gefaehrlichen Wassergrube, deren Rand mit alten Weidenstuempfen dicht umstanden war, fingen wir die flinken schwarzen Kaefer, die wir "Wasserfranzosen" nannten, oder liessen wir ein andermal unsere auf einer eigens angelegten Werft erbaute Kriegsflotte aus Walnussschalen und Schachteldeckeln schwimmen. Im Spaetsommer geschah es dann auch wohl, dass wir aus unserer Koppel einen Raubzug nach des Kuesters Garten machten, welcher gegenueber dem des Pastorates an der anderen Seite der Wassergrube lag; denn wir hatten dort von zwei verkrueppelten Apfelbaeumen unseren Zehnten einzuheimsen, wofuer uns freilich gelegentlich eine freundschaftliche Drohung von dem gutmuetigen alten Manne zuteil wurde.--So viele Jugendfreuden wuchsen auf dieser Priesterkoppel, in deren duerrem Sandboden andere Blumen nicht gedeihen wollten; nur den scharfen Duft der goldknopfigen Rainfarren, die hier haufenweis auf allen Waellen standen, spuere ich noch heute in der Erinnerung, wenn jene Zeiten mir lebendig werden. Doch alles dieses beschaeftigte uns nur voruebergehend; meine dauernde Teilnahme dagegen erregte ein anderes, dem wir selbst in der Stadt nichts an die Seite zu setzen hatten.--Ich meine damit nicht etwa die Roehrenbauten der Lehmwespen, die ueberall aus den Mauerfugen des Stalles hervorragten, obschon es anmutig genug war, in beschaulicher Mittagsstunde das Aus- und Einfliegen der emsigen Tierchen zu beobachten; ich meine den viel groesseren Bau der alten und ungewoehnlich stattlichen Dorfkirche. Bis an das Schindeldach des hohen Turmes war sie von Grund auf aus Granitquadern aufgebaut und beherrschte, auf dem hoechsten Punkt des Dorfes sich erhebend, die weite Schau ueber Heide, Strand und Marschen.--Die meiste Anziehungskraft fuer mich hatte indes das Innere der Kirche; schon der ungeheure Schluessel, der von dem Apostel Petrus selbst zu stammen schien, erregte meine Phantasie. Und in der Tat erschloss er auch, wenn wir ihn gluecklich dem alten Kuester abgewonnen hatten, die Pforte zu manchen wunderbaren Dingen, aus denen eine laengst vergangene Zeit hier wie mit finstern, dort mit kindlich frommen Augen, aber immer in geheimnisvollem Schweigen zu uns Lebenden aufblickte. Da hing mitten in die Kirche hinab ein schrecklich uebermenschlicher Crucifixus, dessen hagere Glieder und verzerrtes Antlitz mit Blute ueberrieselt waren; dem zur Seite an einem Mauerpfeiler haftete gleich einem Nest die braungeschnitzte Kanzel, an der aus Frucht- und Blattgewinden allerlei Tier- und Teufelsfratzen sich hervorzudraengen schienen. Besondere Anziehung aber uebte der grosse geschnitzte Altarschrank im Chor der Kirche, auf dem in bemalten Figuren die Leidensgeschichte Christi dargestellt war; so seltsam wilde Gesichter, wie das des Kaiphas oder die der Kriegsknechte, welche in ihren goldenen Harnischen um des Gekreuzigten Mantel wuerfelten, bekam man draussen im Alltagsleben nicht zu sehen; troestlich damit kontrastierte nur das holde Antlitz der am Kreuze hingesunkenen Maria; ja, sie haette leicht mein Knabenherz mit einer phantastischen Neigung bestricken koennen, wenn nicht ein anderes mit noch staerkerem Reize des Geheimnisvollen mich immer wieder von ihr abgezogen haette. Unter all diesen seltsamen oder wohl gar unheimlichen Dingen hing im Schiff der Kirche das unschuldige Bildnis eines toten Kindes, eines schoenen, etwa fuenfjaehrigen Knaben, der, auf einem mit Spitzen besetzten Kissen ruhend, eine weisse Wasserlilie in seiner kleinen bleichen Hand hielt. Aus dem zarten Antlitz sprach neben dem Grauen des Todes, wie huelfeflehend, noch eine letzte holde Spur des Lebens; ein unwiderstehliches Mitleid befiel mich, wenn ich vor diesem Bilde stand. Aber es hing nicht allein hier; dicht daneben schaute aus dunklem Holzrahmen ein finsterer, schwarzbaertiger Mann in Priesterkragen und Sammar. Mein Freund sagte mir, es sei der Vater jenes schoenen Knaben; dieser selbst, so gehe noch heute die Sage, solle einst in der Wassergrube unserer Priesterkoppel seinen Tod gefunden haben. Auf dem Rahmen lasen wir die Jahreszahl 1666; das war lange her. Immer wieder zog es mich zu diesen beiden Bildern; ein phantastisches Verlangen ergriff mich, von dem Leben und Sterben des Kindes eine naehere, wenn auch noch so karge Kunde zu erhalten; selbst aus dem duesteren Antlitz des Vaters, das trotz des Priesterkragens mich fast an die Kriegsknechte des Altarschranks gemahnen wollte, suchte ich sie herauszulesen. --Nach solchen Studien in dem Daemmerlicht der alten Kirche erschien dann das Haus der guten Pastorsleute nur um so gastlicher. Freilich war es gleichfalls hoch zu Jahren, und der Vater meines Freundes hoffte, so lange ich denken konnte, auf einen Neubau; da aber die Kuesterei an derselben Altersschwaeche litt, so wurde weder hier noch dort gebaut.--Und doch, wie freundlich waren trotzdem die Raeume des alten Hauses; im Winter die kleine Stube rechts, im Sommer die groessere links vom Hausflur, wo die aus den Reformationsalmanachen herausgeschnittenen Bilder in Mahagoniraehmchen an der weissgetuenchten Wand hingen, wo man aus dem westlichen Fenster nur eine ferne Windmuehle, ausserdem aber den ganzen weiten Himmel vor sich hatte, der sich abends in rosenrotem Schein verklaerte und dann das ganze Zimmer ueberglaenzte! Die lieben Pastorsleute, die Lehnstuehle mit den roten Plueschkissen, das alte tiefe Sofa, auf dem Tisch beim Abendbrot der traulich sausende Teekessel--es war alles helle, freundliche Gegenwart. Nur eines Abends--wir waren derzeit schon Sekundaner--kam mir der Gedanke, welch eine Vergangenheit an diesen Raeumen hafte, ob nicht gar jener tote Knabe einst mit frischen Wangen hier leibhaftig umhergesprungen sei, dessen Bildnis jetzt wie mit einer wehmuetig holden Sage den duesteren Kirchenraum erfuellte. Veranlassung zu solcher Nachdenklichkeit mochte geben, dass ich am Nachmittage, wo wir auf meinen Antrieb wieder einmal die Kirche besucht hatten, unten in einer dunkeln Ecke des Bildes vier mit roter Farbe geschriebene Buchstaben entdeckt hatte, die mir bis jetzt entgangen waren. "Sie lauten C. P. A. S.", sagte ich zu dem Vater meines Freundes; "aber wir koennen sie nicht entraetseln." "Nun", erwiderte dieser, "die Inschrift ist mir wohl bekannt; und nimmt man das Geruecht zu Huelfe, so moechten die beiden letzten Buchstaben wohl mit Aquis submersus, also mit 'Ertrunken' oder woertlich 'Im Wasser versunken' zu deuten sein; nur mit dem vorangehenden C. P. waere man dann noch immer in Verlegenheit! Der junge Adjunktus unseres Kuesters, der einmal die Quarta passiert ist, meint zwar, es koenne Casu periculoso--'Durch gefaehrlichen Zufall'--heissen; aber die alten Herren jener Zeit dachten logischer; wenn der Knabe dabei ertrank, so war der Zufall nicht nur bloss gefaehrlich." Ich hatte begierig zugehoert. "Casu" sagte ich; "es koennte auch wohl 'Culpa' heissen?" "Culpa?" wiederholte der Pastor. "Durch Schuld?--aber durch wessen Schuld?" Da trat das finstere Bild des alten Predigers mir vor die Seele, und ohne viel Besinnen rief ich: "Warum nicht: Culpa patris?" Der gute Pastor war fast erschrocken. "Ei, ei, mein junger Freund", sagte er und erhob warnend den Finger gegen mich. "Durch Schuld des Vaters?--So wollen wir trotz seines duesteren Ansehens meinen seligen Amtsbruder doch nicht beschuldigen. Auch wuerde er dergleichen wohl schwerlich von sich haben schreiben lassen." Dies letztere wollte auch meinem jugendlichen Verstande einleuchten; und so blieb denn der eigentliche Sinn der Inschrift nach wie vor ein Geheimnis der Vergangenheit. Dass uebrigens jene beiden Bilder sich auch in der Malerei wesentlich vor einigen alten Predigerbildnissen auszeichneten, welche gleich daneben hingen, war mir selbst schon klargeworden; dass aber Sachverstaendige in dem Maler einen tuechtigen Schueler althollaendischer Meister erkennen wollten, erfuhr ich freilich jetzt erst durch den Vater meines Freundes. Wie jedoch ein solcher in dieses arme Dorf verschlagen worden oder woher er gekommen und wie er geheissen habe, darueber wusste auch er mir nichts zu sagen. Die Bilder selbst enthielten weder einen Namen noch ein Malerzeichen. Die Jahre gingen hin. Waehrend wir die Universitaet besuchten, starb der gute Pastor, und die Mutter meines Schulgenossen folgte spaeter ihrem Sohne auf dessen inzwischen anderswo erreichte Pfarrstelle; ich hatte keine Veranlassung mehr, nach jenem Dorfe zu wandern.--Da, als ich selbst schon in meiner Vaterstadt wohnhaft war, geschah es, dass ich fuer den Sohn eines Verwandten ein Schuelerquartier bei guten Buergersleuten zu besorgen hatte. Der eigenen Jugendzeit gedenkend, schlenderte ich im Nachmittagssonnenscheine durch die Strassen, als mir an der Ecke des Marktes ueber der Tuer eines alten hochgegiebelten Hauses eine plattdeutsche Inschrift in die Augen fiel, die verhochdeutscht etwa lauten wuerde: Gleich so wie Rauch und Staub verschwindt, Also sind auch die Menschenkind. Die Worte mochten fuer jugendliche Augen wohl nicht sichtbar sein; denn ich hatte sie nie bemerkt, sooft ich auch in meiner Schulzeit mir einen Heissewecken bei dem dort wohnenden Baecker geholt hatte. Fast unwillkuerlich trat ich in das Haus; und in der Tat, es fand sich hier ein Unterkommen fuer den jungen Vetter. Die Stube ihrer alten "Moeddersch" (Mutterschwester)--so sagte mir der freundliche Meister--, von der sie Haus und Betrieb geerbt haetten, habe seit Jahren leer gestanden; schon lange haetten sie sich einen jungen Gast dafuer gewuenscht. Ich wurde eine Treppe hinaufgefuehrt, und wir betraten dann ein ziemlich niedriges, altertuemlich ausgestattetes Zimmer, dessen beide Fenster mit ihren kleinen Scheiben auf den geraeumigen Marktplatz hinausgingen. Frueher, erzaehlte der Meister, seien zwei uralte Linden vor der Tuer gewesen; aber er habe sie schlagen lassen, da sie allzusehr ins Haus gedunkelt und auch hier die schoene Aussicht ganz verdeckt haetten. Ueber die Bedingungen wurden wir bald in allen Teilen einig; waehrend wir dann aber noch ueber die jetzt zu treffende Einrichtung des Zimmers sprachen, war mein Blick auf ein im Schatten eines Schrankes haengendes Oelgemaelde gefallen, das ploetzlich meine ganze Aufmerksamkeit hinwegnahm. Es war noch wohlerhalten und stellte einen aelteren, ernst und milde blickenden Mann dar, in einer dunklen Tracht, wie in der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts sie diejenigen aus den vornehmeren Staenden zu tragen pflegten, welche sich mehr mit Staatssachen oder gelehrten Dingen als mit dem Kriegshandwerke beschaeftigten. Der Kopf des alten Herrn, so schoen und anziehend und so trefflich gemalt er immer sein mochte, hatte indessen nicht diese Erregung in mir hervorgebracht; aber der Maler hatte ihm einen blassen Knaben in den Arm gelegt, der in seiner kleinen, schlaff herabhaengenden Hand eine weisse Wasserlilie hielt; und diesen Knaben kannte ich ja laengst. Auch hier war es wohl der Tod, der ihm die Augen zugedrueckt hatte. "Woher ist dieses Bild?" frug ich endlich, da mir ploetzlich bewusst wurde, dass der vor mir stehende Meister mit seiner Auseinandersetzung innegehalten hatte. Er sah mich verwundert an. "Das alte Bild? Das ist von unserer Moeddersch", erwiderte er; "es stammt von ihrem Urgrossonkel, der ein Maler gewesen und vor mehr als hundert Jahren hier gewohnt hat. Es sind noch andre Siebensachen von ihm da." Bei diesen Worten zeigte er nach einer kleinen Lade von Eichenholz, auf welcher allerlei geometrische Figuren recht zierlich eingeschnitten waren. Als ich sie von dem Schranke, auf dem sie stand, herunternahm, fiel der Deckel zurueck, und es zeigten sich mir als Inhalt einige stark vergilbte Papierblaetter mit sehr alten Schriftzuegen. "Darf ich die Blaetter lesen?" frug ich. "Wenn's Ihnen Plaesier macht", erwiderte der Meister, "so moegen Sie die ganze Sache mit nach Hause nehmen; es sind so alte Schriften; Wert steckt nicht darin." Ich aber erbat mir und erhielt auch die Erlaubnis, diese wertlosen Schriften hier an Ort und Stelle lesen zu duerfen; und waehrend ich mich dem alten Bilde gegenueber in einen maechtigen Ohrenlehnstuhl setzte, verliess der Meister das Zimmer, zwar immer noch erstaunt, doch gleichwohl die freundliche Verheissung zuruecklassend, dass seine Frau mich bald mit einer guten Tasse Kaffee regulieren werde. Ich aber las und hatte im Lesen bald alles um mich her vergessen. So war ich denn wieder daheim in unserm Holstenlande; am Sonntage Cantate war es Anno 1661!--Mein Malgeraeth und sonstiges Gepaecke hatte ich in der Stadt zurueckgelassen und wanderte nun froehlich fuerbass, die Strasse durch den maiengruenen Buchenwald, der von der See ins Land hinaufsteigt. Vor mir her flogen ab und zu ein paar Waldvoeglein und letzeten ihren Durst an dem Wasser, so in den tiefen Radgeleisen stund; denn ein linder Regen war gefallen ueber Nacht und noch gar frueh am Vormittage, so dass die Sonne den Waldesschatten noch nicht ueberstiegen hatte. Der helle Drosselschlag, der von den Lichtungen zu mir scholl, fand seinen Widerhall in meinem Herzen. Durch die Bestellungen, so mein theurer Meister van der Helst im letzten Jahre meines Amsterdamer Aufenthalts mir zugewendet, war ich aller Sorge quitt geworden; einen guten Zehrpfennig und einen Wechsel auf Hamburg trug ich noch itzt in meiner Taschen; dazu war ich stattlich angethan: mein Haar fiel auf mein Maentelchen mit feinem Grauwerk, und der Luetticher Degen fehlte nicht an meiner Huefte. Meine Gedanken aber eilten mir voraus; immer sah ich Herrn Gerhardus, meinen edlen grossguenstigen Protector, wie er von der Schwelle seines Zimmers mir die Haende wuerd' entgegenstrecken, mit seinem milden Grusse: "So segne Gott deinen Eingang, mein Johannes!" Er hatte einst mit meinem lieben, ach, gar zu frueh in die ewige Herrlichkeit genommenen Vater zu Jena die Rechte studiret und war auch nachmals den Kuensten und Wissenschaften mit Fleisse obgelegen, so dass er dem Hochseligen Herzog Friederich bei seinem edlen, wiewohl wegen der Kriegslaeufte vergeblichen Bestreben um Errichtung einer Landesuniversitaet ein einsichtiger und eifriger Berather gewesen. Obschon ein adeliger Mann, war er meinem lieben Vater doch stets in Treuen zugethan blieben, hatte auch nach dessen seligem Hintritt sich meiner verwaiseten Jugend mehr, als zu verhoffen, angenommen und nicht allein meine sparsamen Mittel aufgebessert, sondern auch durch seine fuernehme Bekanntschaft unter dem Hollaendischen Adel es dahin gebracht, dass mein theuerer Meister van der Helst mich zu seinem Schueler angenommen. Meinte ich doch zu wissen, dass der verehrte Mann unversehrt auf seinem Herrenhofe sitze, wofuer dem Allmaechtigen nicht genug zu danken; denn, derweilen ich in der Fremde mich der Kunst beflissen, war daheim die Kriegsgreuel ueber das Land gekommen; so zwar, dass die Truppen, die gegen den kriegswuethigen Schweden dem Koenige zum Beistand hergezogen, fast aerger als die Feinde selbst gehauset, ja selbst der Diener Gottes mehrere in jaemmerlichen Tod gebracht. Durch den ploetzlichen Hintritt des Schwedischen Carolus war nun zwar Friede; aber die grausamen Stapfen des Krieges lagen ueberall; manch Bauern- oder Kaethnerhaus, wo man mich als Knaben mit einem Trunke suesser Milch bewirthet, hatte ich auf meiner Morgenwanderung niedergesenget am Wege liegen sehen und manches Feld in oedem Unkraut, darauf sonst um diese Zeit der Roggen seine gruenen Spitzen trieb. Aber solches beschwerete mich heut nicht allzu sehr; ich hatte nur Verlangen, wie ich dem edlen Herrn durch meine Kunst beweisen moechte, dass er Gab und Gunst an keinen Unwuerdigen verschwendet habe; dachte auch nicht an Strolche und verlaufen Gesindel, das vom Kriege her noch in den Waeldern Umtrieb halten sollte. Wohl aber tueckete mich ein anderes, und das war der Gedanke an den Junker Wulf. Er war mir nimmer hold gewesen, hatte wohl gar, was sein edler Vater an mir gethan, als einen Diebstahl an ihm selber angesehen; und manches Mal, wenn ich, wie oefters nach meines lieben Vaters Tode, im Sommer die Vacanz auf dem Gute zubrachte, hatte er mir die schoenen Tage vergaellet und versalzen. Ob er anitzt in seines Vaters Hause sei, war mir nicht kund geworden, hatte nur vernommen, dass er noch vor dem Friedensschlusse bei Spiel und Becher mit den Schwedischen Offiziers Verkehr gehalten, was mit rechter Holstentreue nicht zu reimen ist. Indem ich diess bei mir erwog, war ich aus dem Buchenwalde in den Richtsteig durch das Tannenhoelzchen geschritten, das schon dem Hofe nahe liegt. Wie liebliche Erinnerung umhauchte mich der Wuerzeduft des Harzes; aber bald trat ich aus dem Schatten in den vollen Sonnenschein hinaus; da lagen zu beiden Seiten die mit Haselbueschen eingehegten Wiesen, und nicht lange, so wanderte ich zwischen den zwo Reihen gewaltiger Eichbaeume, die zum Herrensitz hinauffuehren. Ich weiss nicht, was fuer ein bang Gefuehl mich ploetzlich ueberkam, ohn alle Ursach, wie ich derzeit dachte; denn es war eitel Sonnenschein umher, und vom Himmel herab klang ein gar herzlich und ermunternd Lerchensingen. Und siehe, dort auf der Koppel, wo der Hofmann seinen Immenhof hat, stand ja auch noch der alte Holzbirnenbaum und fluesterte mit seinen jungen Blaettern in der blauen Luft. "Gruess dich Gott!" sagte ich leis, gedachte dabei aber weniger des Baumes, als vielmehr des holden Gottesgeschoepfes, in dem, wie es sich nachmals fuegen musste, all Glueck und Leid und auch all nagende Busse meines Lebens beschlossen sein sollte, fuer jetzt und alle Zeit. Das war des edlen Herrn Gerhardus Toechterlein, des Junkers Wulfen einzig Geschwister. Item, es war bald nach meines lieben Vaters Tode, als ich zum ersten Mal die ganze Vacanz hier verbrachte; sie war derzeit ein neunjaehrig Dirnlein, die ihre braunen Zoepfe lustig fliegen liess; ich zaehlte um ein paar Jahre weiter. So trat ich eines Morgens aus dem Thorhaus; der alte Hofmann Dieterich, der ober der Einfahrt wohnt und neben dem als einem getreuen Mann mir mein Schlafkaemmerlein eingeraeumt war, hatte mir einen Eschenbogen zugerichtet, mir auch die Bolzen von tuechtigem Blei dazu gegossen, und ich wollte nun auf die Raubvoegel, deren genug bei dem Herrenhaus umherschrien; da kam sie vom Hofe auf mich zugesprungen. "Weisst du, Johannes", sagte sie; "ich zeig dir ein Vogelnest; dort in dem hohlen Birnbaum; aber das sind Rotschwaenzchen, die darfst du ja nicht schiessen!" Damit war sie schon wieder vorausgesprungen; doch eh sie noch dem Baum auf zwanzig Schritte nah gekommen, sah ich sie jaehlings stille stehn. "Der Buhz, der Buhz!" schrie sie und schuettelte wie entsetzt ihre beiden Haendlein in der Luft. Es war aber ein grosser Waldkauz, der ober dem Loche des hohlen Baumes sass und hinabschauete, ob er ein ausfliegend Voegelein erhaschen moege. "Der Buhz, der Buhz!" schrie die Kleine wieder. "Schiess, Johannes, schiess!"--Der Kauz aber, den die Fressgier taub gemacht, sass noch immer und stierete in die Hoehlung. Da spannte ich meinen Eschenbogen und schoss, dass das Raubthier zappelnd auf dem Boden lag; aus dem Baume aber schwang sich ein zwitschernd Voeglein in die Luft. Seit der Zeit waren Katharina und ich zwei gute Gesellen mit einander; in Wald und Garten, wo das Maegdlein war, da war auch ich. Darob aber musste mir gar bald ein Feind erstehen; das war der Kurt von der Risch, dessen Vater eine Stunde davon auf seinem reichen Hofe sass. In Begleitung seines gelahrten Hofmeisters, mit dem Herr Gerhardus gern der Unterhaltung pflag, kam er oftmals auf Besuch; und da er juenger war als Junker Wulf, so war er wohl auf mich und Katharinen angewiesen; insonders aber schien das braune Herrentoechterlein ihm zu gefallen. Doch war das schier umsonst; sie lachte nur ueber seine krumme Vogelnase, die ihm, wie bei fast allen des Geschlechtes, unter buschigem Haupthaar zwischen zwei merklich runden Augen sass. Ja, wenn sie seiner nur von fern gewahrte, so reckte sie wohl ihr Koepfchen vor und rief. "Johannes, der Buhz, der Buhz!" Dann versteckten wir uns hinter den Scheunen oder rannten wohl auch spornstreichs in den Wald hinein, der sich in einem Bogen um die Felder und danach wieder dicht an die Mauern des Gartens hinanzieht. Darob, als der von der Risch dess inne wurde, kam es oftmals zwischen uns zum Haarraufen, wobei jedoch, da er mehr hitzig denn stark war, der Vortheil meist in meinen Haenden blieb. Als ich, um von Herrn Gerhardus Urlaub zu nehmen, vor meiner Ausfahrt in die Fremde zum letzten Mal, jedoch nur kurze Tage, hier verweilte, war Katharina schon fast wie eine Jungfrau; ihr braunes Haar lag itzt in einem goldnen Netz gefangen; in ihren Augen, wenn sie die Wimpern hob, war oft ein spielend Leuchten, das mich schier beklommen machte. Auch war ein alt gebrechlich Fraeulein ihr zur Obhut beigegeben, so man im Hause nur "Bas' Ursel" nannte; sie liess das Kind nicht aus den Augen und ging ueberall mit einer langen Tricotage neben ihr. Als ich so eines Octobernachmittags im Schatten der Gartenhecken mit beiden auf und ab wandelte, kam ein lang aufgeschossener Gesell, mit spitzenbesetztem Lederwams und Federhut ganz alamode gekleidet, den Gang zu uns herauf; und siehe da, es war der Junker Kurt, mein alter Widersacher. Ich merkte allsogleich, dass er noch immer bei seiner schoenen Nachbarin zu Hofe ging; auch dass insonders dem alten Fraeulein solches zu gefallen schien. Das war ein "Herr Baron" auf alle Frag' und Antwort; dabei lachte sie hoechst obligeant mit einer widrig feinen Stimme und hob die Nase unmaessig in die Luft; mich aber, wenn ich ja ein Wort dazwischen gab, nannte sie stetig "Er" oder kurzweg auch "Johannes", worauf der Junker dann seine runden Augen einkniff und im Gegentheile that, als saehe er auf mich herab, obschon ich ihn um halben Kopfes Laenge ueberragte. Ich blickte auf Katharinen; die aber kuemmerte sich nicht um mich, sondern ging sittig neben dem Junker, ihm manierlich Red und Antwort gebend; den kleinen rothen Mund aber verzog mitunter ein spoettisch stolzes Laecheln, so dass ich dachte: 'Getroeste dich, Johannes; der Herrensohn schnellt itzo deine Waage in die Luft!' Trotzig blieb ich zurueck und liess die andern dreie vor mir gehen. Als aber diese in das Haus getreten waren und ich davor noch an Herrn Gerhardus' Blumenbeeten stand, darueber bruetend, wie ich, gleich wie vormals, mit dem von der Risch ein tuechtig Haarraufen beginnen moechte, kam ploetzlich Katharina wieder zurueckgelaufen, riss neben mir eine Aster von den Beeten und fluesterte mir zu: "Johannes, weisst du was? Der Buhz sieht einem jungen Adler gleich; Bas' Ursel hat's gesagt!" Und fort war sie wieder, eh ich mich's versah. Mir aber war auf einmal all Trotz und Zorn wie weggeblasen. Was kuemmerte mich itzund der Herr Baron! Ich lachte hell und froehlich in den gueldnen Tag hinaus; denn bei den uebermuethigen Worten war wieder jenes suesse Augenspiel gewesen. Aber diesmal hatte es mir gerad ins Herz geleuchtet. Bald danach liess mich Herr Gerhardus auf sein Zimmer rufen; er zeigte mir auf einer Karte noch einmal, wie ich die weite Reise nach Amsterdam zu machen habe, uebergab mir Briefe an seine Freunde dort und sprach dann lange mit mir, als meines lieben seligen Vaters Freund. Denn noch selbigen Abends hatte ich zur Stadt zu gehen, von wo ein Buerger mich auf seinem Wagen mit nach Hamburg nehmen wollte. Als nun der Tag hinabging, nahm ich Abschied. Unten im Zimmer sass Katharina an einem Stickrahmen; ich musste der Griechischen Helena gedenken, wie ich sie juengst in einem Kupferwerk gesehen; so schoen erschien mir der junge Nacken, den das Maedchen eben ueber ihre Arbeit neigte. Aber sie war nicht allein; ihr gegenueber sass Bas' Ursel und las laut aus einem franzoesischen Geschichtenbuche. Da ich naeher trat, hob sie die Nase nach mir zu. "Nun, Johannes", sagte sie, "Er will mir wohl Ade sagen? So kann Er auch dem Fraeulein gleich Seine Reverenze machen!"--Da war schon Katharina von ihrer Arbeit aufgestanden; aber indem sie mir die Hand reichte, traten die Junker Wulf und Kurt mit grossem Geraeusch ins Zimmer; und sie sagte nur: "Leb wohl, Johannes!" Und so ging ich fort. Im Thorhaus drueckte ich dem alten Dieterich die Hand, der Stab und Ranzen schon fuer mich bereit hielt; dann wanderte ich zwischen den Eichbaeumen auf die Waldstrasse zu. Aber mir war dabei, als koenne ich nicht recht fort, als haett ich einen Abschied noch zu Gute, und stand oft still und schaute hinter mich. Ich war auch nicht den Richtweg durch die Tannen, sondern, wie von selber, den viel weiteren auf der grossen Fahrstrasse hingewandert. Aber schon kam vor mir das Abendroth ueberm Wald herauf, und ich musste eilen, wenn mich die Nacht nicht ueberfallen sollte. "Ade, Katharina, ade!" sagte ich leise und setzte ruestig meinen Wanderstab in Gang. Da, an der Stelle, wo der Fusssteig in die Strasse muendet--in stuermender Freude stund das Herz mir still--, ploetzlich aus dem Tannendunkel war sie selber da; mit gluehenden Wangen kam sie hergelaufen, sie sprang ueber den trocknen Weggraben, dass die Fluth des seidenbraunen Haars dem gueldnen Netz entstuerzete; und so fing ich sie in meinen Armen auf. Mit glaenzenden Augen, noch mit dem Odem ringend, schaute sie mich an. "Ich--ich bin ihnen fortgelaufen!" stammelte sie endlich; und dann, ein Paeckchen in meine Hand drueckend, fuegte sie leis hinzu: "Von mir, Johannes! Und du sollst es nicht verachten!" Auf einmal aber wurde ihr Gesichtchen truebe; der kleine schwellende Mund wollte noch was reden, aber da brach ein Thraenenquell aus ihren Augen, und wehmuethig ihr Koepfchen schuettelnd, riss sie sich hastig los. Ich sah ihr Kleid im finstern Tannensteig verschwinden; dann in der Ferne hoerte ich noch die Zweige rauschen, und dann stand ich allein. Es war so still, die Blaetter konnte man fallen hoeren. Als ich das Paeckchen aus einander faltete, da war's ihr gueldner Pathenpfennig, so sie mir oft gezeigt hatte; ein Zettlein lag dabei, das las ich nun beim Schein des Abendrothes. "Damit du nicht in Noth gerathest", stund darauf geschrieben.--Da streckt ich meine Arme in die leere Luft: "Ade, Katharina ade, ade!"--wohl hundertmal rief ich es in den stillen Wald hinein;--und erst mit sinkender Nacht erreichte ich die Stadt. --Seitdem waren fast fuenf Jahre dahingegangen.--Wie wuerd ich heute alles wiederfinden? Und schon war ich am Thorhaus und sah drunten im Hof die alten Linden, hinter deren lichtgruenem Laub die beiden Zackengiebel des Herrenhauses itzt verborgen lagen. Als ich aber durch den Thorweg gehen wollte, jagten vom Hofe her zwei fahlgraue Bullenbeisser mit Stachelhalsbaendern gar wild gegen mich heran; sie erhuben ein erschreckliches Geheul, der eine sprang auf mich und fletschete seine weissen Zaehne dicht vor meinem Antlitz. Solch einen Willkommen hatte ich noch niemalen hier empfangen. Da, zu meinem Glueck, rief aus den Kammern ober dem Thore eine rauhe, aber mir gar traute Stimme. "Hallo!" rief sie; "Tartar, Tuerk!" Die Hunde liessen von mir ab, ich hoerte es die Stiege herabkommen, und aus der Thuer, so unter dem Thorgang war, trat der alte Dieterich. Als ich ihn anschaute, sahe ich wohl, dass ich lang in der Fremde gewesen sei; denn sein Haar war schlohweiss geworden, und seine sonst so lustigen Augen blickten gar matt und betruebsam auf mich hin. "Herr Johannes!" sagte er endlich und reichte mir seine beiden Haende. "Gruess Ihn Gott, Dieterich!" entgegnete ich. "Aber seit wann haltet Ihr solche Bluthunde auf dem Hof, die die Gaeste anfallen gleich den Woelfen?" "Ja, Herr Johannes", sagte der Alte, "die hat der Junker hergebracht." "Ist denn der daheim?" Der Alte nickte. "Nun", sagte ich, "die Hunde moegen schon vonnoethen sein; vom Krieg her ist noch viel verlaufen Volk zurueckgeblieben." "Ach, Herr Johannes!" Und der alte Mann stund immer noch, als wolle er mich nicht zum Hof hinauf lassen. "Ihr seid in schlimmer Zeit gekommen!" Ich sah ihn an, sagte aber nur: "Freilich, Dieterich; aus mancher Fensterhoehlung schaut statt des Bauern itzt der Wolf heraus; hab dergleichen auch gesehen; aber es ist ja Frieden worden, und der gute Herr im Schloss wird helfen, seine Hand ist offen." Mit diesen Worten wollte ich, obschon die Hunde mich wieder anknurreten, auf den Hof hinausgehen; aber der Greis trat mir in den Weg. "Herr Johannes", rief er, "ehe Ihr weiter gehet, hoeret mich an! Euer Brieflein ist zwar richtig mit der Koeniglichen Post von Hamburg kommen; aber den rechten Leser hat es nicht mehr finden koennen." "Dieterich!" schrie ich. "Dieterich!" "--Ja, ja, Herr Johannes! Hier ist die gute Zeit vorbei; denn unser theurer Herr Gerhardus liegt aufgebahret dort in der Kapellen, und die Gueridons brennen an seinem Sarge. Es wird nun anders werden auf dem Hofe; aber--ich bin ein hoeriger Mann, mir ziemet Schweigen." Ich wollte fragen: "Ist das Fraeulein, ist Katharina noch im Hause!" Aber das Wort wollte nicht ueber meine Zunge. Drueben, in einem hinteren Seitenbau des Herrenhauses, war eine kleine Kapelle, die aber, wie ich wusste, seit lange nicht benutzt war. Dort also sollte ich Herrn Gerhardus suchen. Ich fragte den alten Hofmann: "Ist die Kapelle offen?", und als er es bejahete, bat ich ihn, die Hunde anzuhalten; dann ging ich ueber den Hof, wo niemand mir begegnete; nur einer Grasmuecke Singen kam oben aus den Lindenwipfeln. Die Thuer zur Kapellen war nur angelehnt, und leis und gar beklommen trat ich ein. Da stand der offene Sarg, und die rothe Flamme der Kerzen warf ihr flackernd Licht auf das edle Antlitz des geliebten Herrn; die Fremdheit des Todes, so darauf lag, sagte mir, dass er itzt eines andern Lands Genosse sei. Indem ich aber neben dem Leichnam zum Gebete hinknien wollte, erhub sich ueber den Rand des Sarges mir gegenueber ein junges blasses Antlitz, das aus schwarzen Schleiern fast erschrocken auf mich schaute. Aber nur, wie ein Hauch verweht, so blickten die braunen Augen herzlich zu mir auf, und es war fast wie ein Freudenruf. "O Johannes, seid Ihr's denn? Ach, Ihr seid zu spaet gekommen!" Und ueber dem Sarge hatten unsere Haende sich zum Gruss gefasst; denn es war Katharina, und sie war so schoen geworden, dass hier im Angesicht des Todes ein heisser Puls des Lebens mich durchfuhr. Zwar, das spielende Licht der Augen lag itzt zurueckgeschrecket in der Tiefe; aber aus dem schwarzen Haeubchen draengten sich die braunen Loecklein, und der schwellende Mund war um so roether in dem blassen Antlitz. Und fast verwirret auf den Todten schauend, sprach ich: "Wohl kam ich in der Hoffnung, an seinem lebenden Bilde ihm mit meiner Kunst zu danken, ihm manche Stunde genueber zu sitzen und sein mild und lehrreich Wort zu hoeren. Lasst mich denn nun die bald vergehenden Zuege festzuhalten suchen." Und als sie unter Thraenen, die ueber ihre Wangen stroemten, stumm zu mir hinuebernickte, setzte ich mich in ein Gestuehlte und begann auf einem von den Blaettchen, die ich bei mir fuehrte, des Todten Antlitz nachzubilden. Aber meine Hand zitterte; ich weiss nicht, ob alleine vor der Majestaet des Todes. Waehrend dem vernahm ich draussen vom Hofe her eine Stimme, die ich fuer die des Junker Wulf erkannte; gleich danach schrie ein Hund wie nach einem Fusstritt oder Peitschenhiebe; und dann ein Lachen und einen Fluch von einer andern Stimme, die mir gleicherweise bekannt deuchte. Als ich auf Katharinen blickte, sah ich sie mit schier entsetzten Augen nach dem Fenster starren; aber die Stimmen und die Schritte gingen vorueber. Da erhub sie sich, kam an meine Seite und sahe zu, wie des Vaters Antlitz unter meinem Stift entstund. Nicht lange, so kam draussen ein einzelner Schritt zurueck; in demselben Augenblick legte Katharina die Hand auf meine Schulter, und ich fuehlte, wie ihr junger Koerper bebte. Sogleich auch wurde die Kapellenthuer aufgerissen; und ich erkannte den Junker Wulf, obschon sein sonsten bleiches Angesicht itzt roth und aufgedunsen schien. "Was huckst du allfort an dem Sarge!" rief er zu der Schwester. "Der Junker von der Risch ist da gewesen, uns seine Condolenze zu bezeigen; du haettest ihm wohl den Trunk kredenzen moegen!" Zugleich hatte er meiner wahrgenommen und bohrete mich mit seinen kleinen Augen an. "Wulf", sagte Katharina, indem sie mit mir zu ihm trat; "es ist Johannes, Wulf" Der Junker fand nicht vonnoethen, mir die Hand zu reichen; er musterte nur mein violenfarben Wams und meinte: "Du traegst da einen bunten Federbalg; man wird dich 'Sieur' nun tituliren muessen!" "Nennt mich, wie's Euch gefaellt!" sagte ich, indem wir auf den Hof hinaustreten. "Obschon mir dorten, von wo ich komme, das 'Herr' vor meinem Namen nicht gefehlet--Ihr wisst wohl, Eueres Vaters Sohn hat grosses Recht an mir." Er sah mich was verwundert an, sagte dann aber nur: "Nun wohl, so magst du zeigen, was du fuer meines Vaters Gold erlernet hast; und soll dazu der Lohn fuer deine Arbeit dir nicht verhalten sein." Ich meinete, was den Lohn anginge, den haette ich laengst vorausbekommen; da aber der Junker entgegnete, er werd es halten, wie sich's fuer einen Edelmann gezieme, so fragte ich, was fuer Arbeit er mir aufzutragen haette. "Du weisst doch", sagte er und hielt dann inne, indem er scharf auf seine Schwester blickte--"wenn eine adelige Tochter das Haus verlaesst, so muss ihr Bild darin zurueckbleiben." Ich fuehlte, dass bei diesen Worten Katharina, die an meiner Seite ging, gleich einer Taumelnden nach meinem Mantel haschte; aber ich entgegnete ruhig: "Der Brauch ist mir bekannt; doch, wie meinet Ihr denn, Junker Wulf?" "Ich meine", sagte er hart, als ob er einen Gegenspruch erwarte, "dass du das Bildniss der Tochter dieses Hauses malen sollst!" Mich durchfuhr's fast wie ein Schrecken; weiss nicht, ob mehr ueber den Ton oder die Deutung dieser Worte; dachte auch, zu solchem Beginnen sei itzt kaum die rechte Zeit. Da Katharina schwieg, aus ihren Augen aber ein flehentlicher Blick mir zuflog, so antwortete ich: "Wenn Eure edle Schwester es mir vergoennen will, so hoffe ich Eueres Vaters Protection und meines Meisters Lehre keine Schande anzuthun. Raeumet mir nur wieder mein Kaemmerlein ober dem Thorweg bei dem alten Dieterich, so soll geschehen, was Ihr wuenschet." Der Junker war das zufrieden und sagte auch seiner Schwester, sie moege einen Imbiss fuer mich richten lassen. Ich wollte ueber den Beginn meiner Arbeit noch eine Frage thun; aber ich verstummte wieder, denn ueber den empfangenen Auftrag war ploetzlich eine Entzueckung in mir aufgestiegen, dass ich fuerchtete, sie koenne mit jedem Wort hervorbrechen. So war ich auch der zwo grimmen Koeter nicht gewahr worden, die dort am Brunnen sich auf den heissen Steinen sonnten. Da wir aber naeher kamen, sprangen sie auf und fuhren mit offenem Rachen gegen mich, dass Katharina einen Schrei that, der Junker aber einen schrillen Pfiff, worauf sie heulend ihm zu Fuessen krochen. "Beim Hoellenelemente", rief er lachend, "zwo tolle Kerle; gilt ihnen gleich, ein Sauschwanz oder Flandrisch Tuch!" "Nun, Junker Wulf"--ich konnte der Rede mich nicht wohl enthalten--, "soll ich noch einmal Gast in Eueres Vaters Hause sein, so moeget Ihr Euere Thiere bessere Sitte lehren!" Er blitzte mich mit seinen kleinen Augen an und riss sich ein paar Mal in seinen Zwickelbart. "Das ist nur so ihr Willkommensgruss, Sieur Johannes!" sagte er dann, indem er sich bueckte, um die Bestien zu streicheln. "Damit jedweder wisse, dass ein ander Regiment allhier begonnen; denn--wer mir in die Quere kommt, den hetz ich in des Teufels Rachen!" Bei den letzten Worten, die er heftig ausgestossen, hatte er sich hoch aufgerichtet; dann pfiff er seinen Hunden und schritt ueber den Hof dem Thore zu. Ein Weilchen schaute ich hintendrein; dann folgte ich Katharinen, die unter dem Lindenschatten stumm und gesenkten Hauptes die Freitreppe zu dem Herrenhaus emporstieg; ebenso schweigend gingen wir mitsammen die breiten Stufen in das Oberhaus hinauf, allwo wir in des seligen Herrn Gerhardus Zimmer traten.--Hier war noch alles, wie ich es vordem gesehen; die goldgebluemten Ledertapeten, die Karten an der Wand, die saubern Pergamentbaende auf den Regalen, ueber dem Arbeitstische der schoene Waldgrund von dem aelteren Ruisdael--und dann davor der leere Sessel. Meine Blicke blieben daran haften; gleichwie drunten in der Kapellen der Leib des Entschlafenen, so schien auch dies Gemach mir itzt entseelet und, obschon vom Walde draussen der junge Lenz durchs Fenster leuchtete, doch gleichsam von der Stille des Todes wie erfuellet. Ich hatte auf Katharinen in diesem Augenblicke fast vergessen. Da ich mich umwandte, stand sie schier reglos mitten in dem Zimmer, und ich sah, wie unter den kleinen Haenden, die sie daraufgepresst hielt, ihre Brust in ungestuemer Arbeit ging. "Nicht wahr", sagte sie leise, "hier ist itzt niemand mehr; niemand als mein Bruder und seine grimmen Hunde?" "Katharina!" rief ich; "was ist Euch? Was ist das hier in Eueres Vaters Haus?" "Was es ist, Johannes?" Und fast wild ergriff sie meine beiden Haende, und ihre jungen Augen spruehten wie in Zorn und Schmerz. "Nein, nein; lass erst den Vater in seiner Gruft zur Ruhe kommen! Aber dann--du sollst mein Bild ja malen, du wirst eine Zeitlang hier verweilen--dann, Johannes, hilf mir; um des Todten willen, hilf mir!" Auf solche Worte, von Mitleid und von Liebe ganz bezwungen, fiel ich vor der Schoenen, Suessen nieder und schwur ihr mich und alle meine Kraefte zu. Da loesete sich ein sanfter Thraenenquell aus ihren Augen, und wir sassen neben einander und sprachen lange zu des Entschlafenen Gedaechtniss. Als wir sodann wieder in das Unterhaus hinabgingen, fragte ich auch dem alten Fraeulein nach. "Oh", sagte Katharina, "Bas' Ursel! Wollt Ihr sie begruessen? Ja, die ist auch noch da; sie hat hier unten ihr Gemach, denn die Treppen sind ihr schon laengsthin zu beschwerlich." Wir traten also in ein Stuebchen, das gegen den Garten lag, wo auf den Beeten vor den gruenen Heckenwaenden soeben die Tulpen aus der Erde brachen. Bas' Ursel sass, in der schwarzen Tracht und Krepphaube nur wie ein schwindend Haeufchen anzuschauen, in einem hohen Sessel und hatte ein Nonnenspielchen vor sich, das, wie sie nachmals mir erzaehlte, der Herr Baron--nach seines Vaters Ableben war er solches itzund wirklich--ihr aus Luebeck zur Verehrung mitgebracht. "So", sagte sie, da Katharina mich genannt hatte, indess sie behutsam die helfenbeinern Pfloecklein um einander steckte, "ist Er wieder da, Johannes? Nein, es geht nicht aus! O, c'est un jeu tres-complique!" Dann warf sie die Pfloecklein ueber einander und schauete mich an. "Ei", meinte sie, "Er ist gar stattlich angethan; aber weiss Er denn nicht, dass Er in ein Trauerhaus getreten ist?" "Ich weiss es, Fraeulein", entgegnete ich; "aber da ich in das Thor trat, wusste ich es nicht." "Nun", sagte sie und nickte gar beguetigend; "so eigentlich gehoeret Er ja auch nicht zur Dienerschaft." Ueber Katharinens blasses Antlitz flog ein Laecheln, wodurch ich mich jeder Antwort wohl enthoben halten mochte. Vielmehr ruehmte ich der alten Dame die Anmuth ihres Wohngemaches; denn auch der Epheu von dem Thuermchen, das draussen an der Mauer aufstieg, hatte sich nach dem Fenster hingesponnen und wiegete seine gruenen Ranken vor den Scheiben. Aber Bas' Ursel meinete, ja, wenn nur nicht die Nachtigallen waeren, die itzt schon wieder anhueben mit ihrer Nachtunruhe; sie koenne ohnedem den Schlaf nicht finden; und dann auch sei es schier zu abgelegen; das Gesinde sei von hier aus nicht im Aug zu halten; im Garten draussen aber passire eben nichts, als etwan, wann der Gaertnerbursche an den Hecken oder Buchsrabatten putze. --Und damit hatte der Besuch seine Endschaft; denn Katharina mahnte, es sei nachgerade an der Zeit, meinen wegemueden Leib zu staerken. Ich war nun in meinem Kaemmerchen ober dem Hofthor einlogiret, dem alten Dieterich zur sondern Freude; denn am Feierabend sassen wir auf seiner Tragkist, und liess ich mir, gleich wie in der Knabenzeit, von ihm erzaehlen. Er rauchte dann wohl eine Pfeife Tabak, welche Sitte durch das Kriegsvolk auch hier in Gang gekommen war, und holete allerlei Geschichten aus den Drangsalen, so sie durch die fremden Truppen auf dem Hof und unten in dem Dorf hatten erleiden muessen; einmal aber, da ich seine Rede auf das gute Froelen Katharina gebracht und er erst nicht hatt ein Ende finden koennen, brach er gleichwohl ploetzlich ab und schauete mich an. "Wisset Ihr, Herr Johannes", sagte er, "'s ist grausam schad, dass Ihr nicht auch ein Wappen habet gleich dem von der Risch da drueben!" Und da solche Rede mir das Blut ins Gesicht jagete, klopfte er mit seiner harten Hand mir auf die Schulter, meinend: "Nun, nun, Herr Johannes; 's war ein dummes Wort von mir; wir muessen freilich bleiben, wo uns der Herrgott hingesetzet." Weiss nicht, ob ich derzeit mit solchem einverstanden gewesen, fragete aber nur, was der von der Risch denn itzund fuer ein Mann geworden. Der Alte sah mich gar pfiffig an und paffte aus seinem kurzen Pfeiflein, als ob das theure Kraut am Feldrain wuechse. "Wollet Ihr's wissen, Herr Johannes?" begann er dann. "Er gehoeret zu denen muntern Junkern, die im Kieler Umschlag den Buergersleuten die Knoepfe von den Haeusern schiessen; Ihr moeget glauben, er hat treffliche Pistolen! Auf der Geigen weiss er nicht so gut zu spielen; da er aber ein lustig Stuecklein liebt, so hat er letzthin den Rathsmusikanten, der ueberm Holstenthore wohnt, um Mitternacht mit seinem Degen aufgeklopfet, ihm auch nicht Zeit gelassen, sich Wams und Hosen anzuthun. Statt der Sonnen stand aber der Mond am Himmel, es war octavis trium regum und fror Pickelsteine; und hat also der Musikante, den Junker mit dem Degen hinter sich, im blanken Hemde vor ihm durch die Gassen geigen muessen!--Wollet Ihr mehr noch wissen, Herr Johannes?--Zu Haus bei ihm freuen sich die Bauern, wenn der Herrgott sie nicht mit Toechtern gesegnet; und dennoch--aber nach seines Vaters Tode hat er Geld, und unser Junker, Ihr wisset's wohl, hat schon vorher von seinem Erbe aufgezehrt." Ich wusste freilich nun genug; auch hatte der alte Dieterich schon mit seinem Spruche: "Aber ich bin nur ein hoeriger Mann", seiner Rede Schluss gemacht. --Mit meinem Malgeraeth war auch meine Kleidung aus der Stadt gekommen, wo ich im Goldenen Loewen alles abgeleget, so dass ich anitzt, wie es sich ziemete, in dunkler Tracht einherging. Die Tagesstunden aber wandte ich zunaechst in meinen Nutzen. Naemlich, es befand sich oben im Herrenhause neben des seligen Herrn Gemach ein Saal, raeumlich und hoch, dessen Waende fast voellig von lebensgrossen Bildern verhaenget waren, so dass nur noch neben dem Kamin ein Platz zu zweien offen stund. Es waren das die Voreltern des Herrn Gerhardus, meist ernst und sicher blickende Maenner und Frauen, mit einem Antlitz, dem man wohl vertrauen konnte; er selbsten in kraeftigem Mannesalter und Katharinens frueh verstorbene Mutter machten dann den Schluss. Die, beiden letzten Bilder waren gar trefflich von unserem Landsmanne, dem Eiderstedter Georg Ovens, in seiner kraeftigen Art gemalet; und ich suchte nun mit meinem Pinsel die Zuege meines edlen Beschuetzers nachzuschaffen; zwar in verengtem Massstabe und nur mir selber zum Genuegen; doch hat es spaeter zu einem groesseren Bildniss mir gedienet, das noch itzt hier in meiner einsamen Kammer die theuerste Gesellschaft meines Alters ist. Das Bildniss seiner Tochter aber lebt mit mir in meinem Innern. Oft, wenn ich die Palette hingelegt, stand ich noch lange vor den schoenen Bildern. Katharinens Antlitz fand ich in dem der beiden Eltern wieder: des Vaters Stirn, der Mutter Liebreiz um die Lippen; wo aber war hier der harte Mundwinkel, das kleine Auge des Junker Wulf?--Das musste tiefer aus der Vergangenheit heraufgekommen sein! Langsam ging ich die Reih der aelteren Bildnisse entlang, bis ueber hundert Jahre weit hinab. Und siehe, da hing im schwarzen, von den Wuermern schon zerfressenen Holzrahmen ein Bild, vor dem ich schon als Knabe, als ob's mich hielte, still gestanden war. Es stellete eine Edelfrau von etwa vierzig Jahren vor; die kleinen grauen Augen sahen kalt und stechend aus dem harten Antlitz, das nur zur Haelfte zwischen dem Weissen Kinntuch und der Schleierhaube sichtbar wurde. Ein leiser Schauer ueberfuhr mich vor der so lang schon heimgegangenen Seele; und ich sprach zu mir: 'Hier, diese ist's! Wie raethselhafte Wege gehet die Natur! Ein saeculum und drueber rinnt es heimlich wie unter einer Decke im Blute der Geschlechter fort; dann, laengst vergessen, taucht es ploetzlich wieder auf, den Lebenden zum Unheil. Nicht vor dem Sohn des edlen Gerhardus; vor dieser hier und ihres Blutes nachgeborenem Sproessling soll ich Katharinen schuetzen.' Und wieder trat ich vor die beiden juengsten Bilder, an denen mein Gemuethe sich erquickte. So weilte ich derzeit in dem stillen Saale, wo um mich nur die Sonnenstaeublein spielten, unter den Schatten der Gewesenen. Katharinen sah ich nur beim Mittagstische, das alte Fraeulein und den Junker Wulf zur Seiten; aber wofern Bas' Ursel nicht in ihren hohen Toenen redete, so war es stets ein stumm und betruebsam Mahl, so dass mir oft der Bissen im Munde quoll. Nicht die Trauer um den Abgeschiedenen war dess Ursach, sondern es lag zwischen Bruder und Schwester, als sei das Tischtuch durchgeschnitten zwischen ihnen. Katharina, nachdem sie fast die Speisen nicht beruehrt, entfernte sich allzeit bald, mich kaum nur mit den Augen gruessend; der Junker aber, wenn ihm die Laune stund, suchte mich dann beim Trunke festzuhalten; hatte mich also hiegegen und, so ich nicht hinaus wollte ueber mein gestecktes Mass, ueberdem wider allerart Flosculn zu wehren, welche gegen mich gespitzet wurden. Inzwischen, nachdem der Sarg schon mehrere Tage geschlossen gewesen, geschahe die Beisetzung des Herrn Gerhardus drunten in der Kirche des Dorfes, allwo das Erbbegraebniss ist und wo itzt seine Gebeine bei denen seiner Voreltern ruhen, mit denen der Hoechste ihnen dereinst eine froehliche Urstaend wolle bescheren! Es waren aber zu solcher Trauerfestlichkeit zwar mancherlei Leute aus der Stadt und den umliegenden Guetern gekommen, von Angehoerigen aber fast wenige und auch diese nur entfernte, massen der Junker Wulf der Letzte seines Stammes war und des Herrn Gerhardus Ehgemahl nicht hiesigen Geschlechts gewesen; darum es auch geschahe, dass in der Kuerze alle wieder abgezogen sind. Der Junker draengte nun selbst, dass ich mein aufgetragen Werk begoenne, wozu ich droben in dem Bildersaale an einem nach Norden zu belegenen Fenster mir schon den Platz erwaehlet hatte. Zwar kam Bas' Ursel, die wegen ihrer Gicht die Treppen nicht hinauf konnte, und meinete, es moege am besten in ihrer Stuben oder im Gemach daran geschehen, so sei es uns beiderseits zur Unterhaltung; ich aber, solcher Gevatterschaft gar gern entrathend, hatte an der dortigen Westsonne einen rechten Malergrund dagegen, und konnte alles Reden ihr nicht nuetzen. Vielmehr war ich am andern Morgen schon dabei, die Nebenfenster des Saales zu verhaengen und die hohe Staffelei zu stellen, so ich mit Huelfe Dieterichs mir selber in den letzten Tagen angefertigt. Als ich eben den Blendrahmen mit der Leinewand darauf gelegt, oeffnete sich die Thuer aus Herrn Gerhardus' Zimmer, und Katharina trat herein. Aus was fuer Ursach, waere schwer zu sagen; aber ich empfand, dass wir uns diessmal fast erschrocken gegenueber standen; aus der schwarzen Kleidung, die sie nicht abgeleget, schaute das junge Antlitz in gar suesser Verwirrung zu mir auf. "Katharina", sagte ich, "Ihr wisset, ich soll Euer Bildniss malen; duldet Ihr's auch gern?" Da zog ein Schleier ueber ihre braunen Augensterne, und sie sagte leise: "Warum doch fragt Ihr so, Johannes?" Wie ein Thau des Glueckes sank es in mein Herz. "Nein, nein, Katharina! Aber sagt, was ist, worin kann ich Euch dienen?--Setzet Euch, damit wir nicht so muessig ueberrascht werden, und dann sprecht! Oder vielmehr, ich weiss es schon. Ihr braucht mir's nicht zu sagen!" Aber sie setzte sich nicht, sie trat zu mir heran. "Denket Ihr noch, Johannes, wie Ihr einst den Buhz mit Euerem Bogen niederschosset? Das thut diessmal nicht noth, obschon er wieder ob dem Neste lauert; denn ich bin kein Voeglein, das sich von ihm zerreissen laesst. Aber, Johannes--ich habe einen Blutsfreund--, hilf mir wider den!" "Ihr meinet Eueren Bruder, Katharina!" --"Ich habe keinen andern.--Dem Manne, den ich hasse, will er mich zum Weibe geben! Waehrend unseres Vaters langem Siechbett habe ich den schaendlichen Kampf mit ihm gestritten, und erst an seinem Sarg hab ich's ihm abgetrotzt, dass ich in Ruhe um den Vater trauern mag; aber ich weiss, auch das wird er nicht halten." Ich gedachte eines Stiftsfraeuleins zu Preetz, Herrn Gerhardus' einzigen Geschwisters, und meinete, ob die nicht um Schutz und Zuflucht anzugehen sei. Katharina nickte. "Wollt Ihr mein Bote sein, Johannes?-- Geschrieben habe ich ihr schon, aber in Wulfs Haende kam die Antwort, und auch erfahren habe ich sie nicht, nur die ausbrechende Wuth meines Bruders, die selbst das Ohr des Sterbenden erfuellet haette, wenn es noch offen gewesen waere fuer den Schall der Welt; aber der gnaedige Gott hatte das geliebte Haupt schon mit dem letzten Erdenschlummer zugedecket." Katharina hatte sich nun doch auf meine Bitte mir genueber gesetzet, und ich begann die Umrisse auf die Leinewand zu zeichnen. So kamen wir zu ruhiger Berathung; und da ich, wenn die Arbeit weiter vorgeschritten, nach Hamburg musste, um bei dem Holzschnitzer einen Rahmen zu bestellen, so stelleten wir fest, dass ich alsdann den Umweg ueber Preetz naehme und also meine Botschaft ausrichtete. Zunaechst jedoch sei emsig an dem Werk zu foerdern. Es ist gar oft ein seltsam Widerspiel im Menschenherzen. Der Junker musste es schon wissen, dass ich zu seiner Schwester stand; gleichwohl--hiess nun sein Stolz ihn, mich gering zu schaetzen, oder glaubte er mit seiner ersten Drohung mich genug geschrecket--, was ich besorget, traf nicht ein; Katharina und ich waren am ersten wie an den andern Tagen von ihm ungestoeret. Einmal zwar trat er ein und schalt mit Katharinen wegen ihrer Trauerkleidung, warf aber dann die Thuer hinter sich, und wir hoerten ihn bald auf dem Hofe ein Reiterstuecklein pfeifen. Ein ander Mal noch hatte er den von der Risch an seiner Seite. Da Katharina eine heftige Bewegung machte, bat ich sie, auf ihrem Platz zu bleiben, und malete ruhig weiter. Seit dem Begraebnisstage, wo ich einen fremden Gruss mit ihm getauschet, hatte der Junker Kurt sich auf dem Hofe nicht gezeigt; nun trat er naeher und beschauete das Bild und redete gar schoene Worte, meinete aber auch, weshalb das Fraeulein sich so sehr vermummt und nicht vielmehr ihr seidig Haar in freien Locken auf den Nacken habe wallen lassen; wie es ein Engellaendischer Poet so trefflich ausgedruecket, "rueckwaerts den Winden leichte Kuesse werfend." Katharina aber, die bisher geschwiegen, wies auf Herrn Gerhardus' Bild und sagte: "Ihr wisset wohl nicht mehr, dass das mein Vater war!" Was Junker Kurt hierauf entgegnete, ist mir nicht mehr erinnerlich; meine Person aber schien ihm ganz nicht gegenwaertig oder doch nur gleich einer Maschine, wodurch ein Bild sich auf die Leinewand malete. Von letzterem begann er ueber meinen Kopf hin diess und jenes noch zu reden; da aber Katharina nicht mehr Antwort gab, so nahm er alsbald seinen Urlaub, der Dame angenehme Kurzweil wuenschend. Bei diesem Wort jedennoch sah ich aus seinen Augen einen raschen Blick gleich einer Messerspitze nach mir zuecken. --Wir hatten nun weitere Stoerniss nicht zu leiden, und mit der Jahreszeit rueckte auch die Arbeit vor. Schon stand auf den Waldkoppeln draussen der Roggen in silbergrauem Blust, und unten im Garten brachen schon die Rosen auf; wir beide aber--ich mag es heut wohl niederschreiben--, wir haetten itzund die Zeit gern stille stehen lassen; an meine Botenreise wagten, auch nur mit einem Woertlein, weder sie noch ich zu ruehren. Was wir gesprochen, wuesste ich kaum zu sagen; nur dass ich von meinem Leben in der Fremde ihr erzaehlte und wie ich immer heim gedacht; auch dass ihr gueldner Pfennig mich in Krankheit einst vor Noth bewahrt, wie sie in ihrem Kinderherzen es damals fuergesorget, und wie ich spaeter dann gestrebt und mich geaengstet, bis ich das Kleinod aus dem Leihhaus mir zurueckgewonnen hatte. Dann laechelte sie gluecklich; und dabei bluehete aus dem dunkeln Grund des Bildes immer suesser das holde Antlitz auf, mir schien's, als sei es kaum mein eigenes Werk.-- Mitunter war's, als schaue mich etwas heiss aus ihren Augen an; doch wollte ich es dann fassen, so floh es scheu zurueck; und dennoch floss es durch den Pinsel heimlich auf die Leinewand, so dass mir selber kaum bewusst ein sinnberueckend Bild entstand, wie nie zuvor und nie nachher ein solches aus meiner Hand gegangen ist.--Und endlich war's doch an der Zeit und festgesetzet, am andern Morgen sollte ich meine Reise antreten. Als Katharina mir den Brief an ihre Base eingehaendigt, sass sie noch einmal mir gegenueber. Es wurde heute mit Worten nicht gespielet; wir sprachen ernst und sorgenvoll mitsammen; indessen setzete ich noch hie und da den Pinsel an, mitunter meine Blicke auf die schweigende Gesellschaft an den Waenden werfend, deren ich in Katharinens Gegenwart sonst kaum gedacht hatte. Da, unter dem Malen, fiel mein Auge auch auf jenes alte Frauenbildniss, das mir zur Seite hing und aus den weissen Schleiertuechern die stechend grauen Augen auf mich gerichtet hielt. Mich froestelte, ich haette nahezu den Stuhl verruecket. Aber Katharinens suesse Stimme drang mir in das Ohr: "Ihr seid ja fast erbleichet; was flog Euch uebers Herz, Johannes?" Ich zeigte mit dem Pinsel auf das Bild. "Kennet Ihr die, Katharina? Diese Augen haben hier all die Tage auf uns hingesehen." "Die da?--Vor der hab ich schon als Kind eine Furcht gehabt, und gar bei Tage bin ich oft wie blind hier durchgelaufen. Es ist die Gemahlin eines frueheren Gerhardus; vor weit ueber hundert Jahren hat sie hier gehauset." "Sie gleicht nicht Euerer schoenen Mutter", entgegnete ich; "dies Antlitz hat wohl vermocht, einer jeden Bitte nein zu sagen." Katharina sah gar ernst zu mir herueber. "So heisst's auch", sagte sie, "sie soll ihr einzig Kind verfluchet haben; am andern Morgen aber hat man das blasse Fraeulein aus einem Gartenteich gezogen, der nachmals zugedaemmet ist. Hinter den Hecken, dem Walde zu, soll es gewesen sein." "Ich weiss, Katharina; es wachsen heut noch Schachtelhalm und Binsen aus dem Boden." "Wisset Ihr denn auch, Johannes, dass eine unseres Geschlechtes sich noch immer zeigen soll, sobald dem Hause Unheil droht? Man sieht sie erst hier an den Fenstern gleiten, dann draussen in dem Gartensumpf verschwinden." Ohnwillens wandten meine Augen sich wieder auf die unbeweglichen des Bildes. "Und weshalb", fragte ich, "verfluchete sie ihr Kind?" "Weshalb?"--Katharina zoegerte ein Weilchen und blickte mich fast verwirret an mit allem ihrem Liebreiz. "Ich glaub, sie wollte den Vetter ihrer Mutter nicht zum Ehgemahl." --"War es denn ein gar so uebler Mann?" Ein Blick fast wie ein Flehen flog zu mir herueber, und tiefes Rosenroth bedeckte ihr Antlitz. "Ich weiss nicht", sagte sie beklommen; und leiser, dass ich's kaum vernehmen mochte, setzte sie hinzu: "Es heisst, sie hab einen andern lieb gehabt; der war nicht ihres Standes." Ich hatte den Pinsel sinken lassen; denn sie sass vor mir mit gesenkten Blicken; wenn nicht die kleine Hand sich leis aus ihrem Schosse auf ihr Herz geleget, so waere sie selber wie ein leblos Bild gewesen. So hold es war, ich sprach doch endlich: "So kann ich ja nicht malen; wollet Ihr mich nicht ansehen, Katharina?" Und als sie nun die Wimpern von den braunen Augensternen hob, da war kein Hehlens mehr; heiss und offen ging der Strahl zu meinem Herzen. "Katharina!" Ich war aufgesprungen. "Haette jene Frau auch dich verflucht?" Sie athmete tief auf "Auch mich, Johannes!"--Da lag ihr Haupt an meiner Brust, und fest umschlossen standen wir vor dem Bild der Ahnfrau, die kalt und feindlich auf uns niederschauete. Aber Katharina zog mich leise fort. "Lass uns nicht trotzen, mein Johannes!" sagte sie.--Mit Selbigem hoerte ich im Treppenhause ein Geraeusch, und war es, als wenn etwas mit dreien Beinen sich muehselig die Stiegen heraufarbeitete. Als Katharina und ich uns deshalb wieder an unsern Platz gesetzet und ich Pinsel und Palette zur Hand genommen hatte, oeffnete sich die Thuer, und Bas' Ursel, die wir wohl zuletzt erwartet haetten, kam an ihrem Stock hereingehustet. "Ich hoere", sagte sie, "Er will nach Hamburg, um den Rahmen zu besorgen; da muss ich mir nachgerade doch Sein Werk besehen!" Es ist wohl maenniglich bekannt, dass alte Jungfrauen in Liebessachen die allerfeinsten Sinne haben und so der jungen Welt gar oft Bedrang und Truebsal bringen. Als Bas' Ursel auf Katharinens Bild, das sie bislang noch nicht gesehen, kaum einen Blick geworfen hatte, zuckte sie gar stolz empor mit ihrem runzeligen Angesicht und frug mich allsogleich: "Hat denn das Fraeulein Ihn so angesehen, als wie sie da im Bilde sitzet?" Ich entgegnete, es sei ja eben die Kunst der edlen Malerei, nicht bloss die Abschrift des Gesichts zu geben. Aber schon musste an unsern Augen oder Wangen ihr Sonderliches aufgefallen sein, denn ihre Blicke gingen spaehend hin und wider. "Die Arbeit ist wohl bald am Ende?" sagte sie dann mit ihrer hoechsten Stimme. "Deine Augen haben kranken Glanz, Katharina; das lange Sitzen hat dir nicht wohl gedienet." Ich entgegnete, das Bild sei bald vollendet, nur an dem Gewande sei noch hie und da zu schaffen. "Nun, da braucht Er wohl des Fraeuleins Gegenwart nicht mehr dazu!-- Komm, Katharina, dein Arm ist besser als der dumme Stecken hier!" Und so musst ich von der duerren Alten meines Herzens holdselig Kleinod mir entfuehren sehen, da ich es eben mir gewonnen glaubte; kaum dass die braunen Augen mir noch einen stummen Abschied senden konnten. Am andern Morgen, am Montage vor Johannis, trat ich meine Reise an. Auf einem Gaule, den Dieterich mir besorget, trabte ich in der Fruehe aus dem Thorweg; als ich durch die Tannen ritt, brach einer von des Junkers Hunden herfuer und fuhr meinem Thiere nach den Flechsen, wannschon selbiges aus ihrem eigenen Stalle war; aber der oben im Sattel sass, schien ihnen allzeit noch verdaechtig. Kamen gleichwohl ohne Blessur davon, ich und der Gaul, und langeten abends bei guter Zeit in Hamburg an. Am andern Vormittage machte ich mich auf und befand auch bald einen Schnitzer, so der Bilderleisten viele fertig hatte, dass man sie nur zusammenzustellen und in den Ecken die Zierathen daraufzuthun brauchte. Wurden also handelseinig, und versprach der Meister, mir das alles wohl verpacket nachzusenden. Nun war zwar in der beruehmten Stadt vor einen Neubegierigen gar vieles zu beschauen, so in der Schiffergesellschaft des Seeraeubers Stoertebeker silberner Becher, welcher das zweite Wahrzeichen der Stadt genennet wird, und ohne den gesehen zu haben, wie es in einem Buche heisser, niemand sagen duerfe, dass er in Hamburg sei gewesen; sodann auch der Wunderfisch mit eines Adlers richtigen Krallen und Fluchten, so eben um diese Zeit in der Elbe war gefangen worden und den die Hamburger, wie ich nachmalen hoerete, auf einen Seesieg wider die tuerkischen Piraten deuteten; allein, obschon ein rechter Reisender solcherlei Seltsamkeiten nicht vorbeigehen soll, so war doch mein Gemuethe, beides, von Sorge und von Herzenssehnen, allzu sehr beschweret. Derohalben, nachdem ich bei einem Kaufherrn noch meinen Wechsel umgesetzet und in meiner Nachtherbergen Richtigkeit getroffen hatte, bestieg ich um Mittage wieder meinen Gaul und hatte allsobald allen Laermen des grossen Hamburg hinter mir. Am Nachmittage danach langete ich in Preetz an, meldete mich im Stifte bei der hochwuerdigen Dame und wurde auch alsbald vorgelassen. Ich erkannte in ihrer stattlichen Person allsogleich die Schwester meines theueren seligen Herrn Gerhardus; nur, wie es sich an unverehelichten Frauen oftmals zeiget, waren die Zuege des Antlitzes gleichwohl strenger als die des Bruders. Ich hatte, selbst nachdem ich Katharinens Schreiben ueberreichet, ein lang und hart Examen zu bestehen; dann aber verhiess sie ihren Beistand und setzete sich zu ihrem Schreibgeraethe, indess die Magd mich in ein ander Zimmer fuehren musste, allwo man mich gar wohl bewirthete. Es war schon spaet am Nachmittage, da ich wieder fortritt; doch rechnete ich, obschon mein Gaul die vielen Meilen hinter uns bereits verspuerete, noch gegen Mitternacht beim alten Dieterich anzuklopfen.--Das Schreiben, das die alte Dame mir fuer Katharinen mitgegeben, trug ich wohl verwahret in einem Ledertaeschlein unterm Wamse auf der Brust. So ritt ich fuerbass in die aufsteigende Daemmerung hinein; gar bald an sie, die eine, nur gedenkend und immer wieder mein Herz mit neuen lieblichen Gedanken schreckend. Es war aber eine lauwarme Juninacht; von den dunkelen Feldern erhub sich der Ruch der Wiesenblumen, aus den Knicken duftete das Geissblatt; in Luft und Laub schwebete ungesehen das kleine Nachtgeziefer oder flog auch wohl surrend meinem schnaubenden Gaule an die Nuestern; droben aber an der blauschwarzen ungeheueren Himmelsglocke ueber mir strahlte im Suedost das Sternenbild des Schwanes in seiner unberuehrten Herrlichkeit. Da ich endlich wieder auf Herrn Gerhardus' Grund und Boden war, resolvirte ich mich sofort, noch nach dem Dorfe hinueberzureiten, welches seitwaerts von der Fahrstrassen hinterm Wald belegen ist. Denn ich gedachte, dass der Krueger Hans Ottsen einen passlichen Handwagen habe; mit dem solle er morgen einen Boten in die Stadt schicken, um die Hamburger Kiste fuer mich abzuholen; ich aber wollte nur an sein Kammerfenster klopfen, um ihm solches zu bestellen. Also ritte ich am Waldesrande hin, die Augen fast verwirret von den gruenlichen Johannisfuenkchen, die mit ihren spielerischen Lichtern mich hier umflogen. Und schon ragete gross und finster die Kirche vor mir auf, in deren Mauern Herr Gerhardus bei den Seinen ruhte; ich hoerte, wie im Thurm soeben der Hammer ausholete, und von der Glocken scholl die Mitternacht ins Dorf hinunter. 'Aber sie schlafen alle', sprach ich bei mir selber, 'die Todten in der Kirchen oder unter dem hohen Sternenhimmel hieneben auf dem Kirchhof, die Lebenden noch unter den niedern Daechern, die dort stumm und dunkel vor dir liegen.' So ritt ich weiter. Als ich jedoch an den Teich kam, von wo aus man Hans Ottsens Krug gewahren kann, sahe ich von dorten einen dunstigen Lichtschein auf den Weg hinausbrechen, und Fiedeln und Klarinetten schalleten mir entgegen. Da ich gleichwohl mit dem Wirthe reden wollte, so ritt ich herzu und brachte meinen Gaul im Stalle unter. Als ich danach auf die Tenne trat, war es gedrang voll von Menschen, Maennern und Weibern, und ein Geschrei und wuest Getreibe, wie ich solches, auch beim Tanz, in frueheren Jahren nicht vermerket. Der Schein der Unschlittkerzen, so unter einem Balken auf einem Kreuzholz schwebten, hob manch baertig und verhauen Antlitz aus dem Dunkel, dem man lieber nicht allein im Wald begegnet waere.--Aber nicht nur Strolche und Bauerbursche schienen hier sich zu vergnuegen; bei den Musikanten, die drueben vor der Doens auf ihren Tonnen sassen, stund der Junker von der Risch; er hatte seinen Mantel ueber dem einen Arm, an dem andern hing ihm eine derbe Dirne. Aber das Stuecklein schien ihm nicht zu gefallen; denn er riss dem Fiedler seine Geigen aus den Haenden, warf eine Handvoll Muenzen auf seine Tonne und verlangte, dass sie ihm den neumodischen Zweitritt aufspielen sollten. Als dann die Musikanten ihm gar rasch gehorchten und wie toll die neue Weise klingen liessen, schrie er nach Platz und schwang sich in den dichten Haufen; und die Bauerburschen glotzten drauf hin, wie ihm die Dirne im Arme lag, gleich einer Tauben vor dem Geier. Ich aber wandte mich ab und trat hinten in die Stube, um mit dem Wirth zu reden. Da sass der Junker Wulf beim Kruge Wein und hatte den alten Ottsen neben sich, welchen er mit allerhand Spaessen in Bedraengniss brachte; so drohete er, ihm seinen Zins zu steigern, und schuettelte sich vor Lachen, wenn der geaengstete Mann gar jaemmerlich um Gnad und Nachsicht supplicirte.--Da er mich gewahr worden, liess er nicht ab, bis ich selbdritt mich an den Tisch gesetzet; frug nach meiner Reise, und ob ich in Hamburg mich auch wohl vergnueget; ich aber antwortete nur, ich kaeme eben von dort zurueck, und werde der Rahmen in Kuerze in der Stadt eintreffen, von wo Hans Ottsen ihn mit seinem Handwaeglein leichtlich moege holen lassen. Indess ich mit letzterem solches nun verhandelte, kam auch der von der Risch hereingestuermet und schrie dem Wirthe zu, ihm einen kuehlen Trunk zu schaffen. Der Junker Wulf aber, dem bereits die Zunge schwer im Munde wuehlete, fasste ihn am Arm und riss ihn auf den leeren Stuhl hernieder. "Nun, Kurt!" rief er. "Bist du noch nicht satt von deinen Dirnen! Was soll die Katharina dazu sagen? Komm, machen wir alamode ein ehrbar hazard mitsammen!" Dabei hatte er ein Kartenspiel unterm Wams hervorgezogen. "Allons donc!--Dix et dame!--Dame et valet!" Ich stand noch und sah dem Spiele zu, so dermalen eben Mode worden; nur wuenschend, dass die Nacht vergehen und der Morgen kommen moechte.-- Der Trunkene schien aber dieses Mal des Nuechternen Uebermann; dem von der Risch schlug nach einander jede Karte fehl. "Troeste dich, Kurt!" sagte der Junker Wulf, indess er schmunzelnd die Speciesthaler auf einen Haufen scharrte: "Glueck in der Lieb Und Glueck im Spiel, Bedenk, fuer einen Ist's zu viel! "Lass den Maler dir hier von deiner schoenen Braut erzaehlen! Der weiss sie auswendig; da kriegst du's nach der Kunst zu wissen." Dem andern, wie mir am besten kund war, mochte aber noch nicht viel von Liebesglueck bewusst sein; denn er schlug fluchend auf den Tisch und sah gar grimmig auf mich her. "Ei, du bist eifersuechtig, Kurt!" sagte der Junker Wulf vergnueglich, als ob er jedes Wort auf seiner schweren Zunge schmeckete; "aber getroeste dich, der Rahmen ist schon fertig zu dem Bilde; dein Freund, der Maler, kommt eben erst von Hamburg." Bei diesem Worte sah ich den von der Risch aufzucken gleich einem Spuerhund bei der Witterung. "Von Hamburg heut?--So muss er Fausti Mantel sich bedienet haben; denn mein Reitknecht sah ihn heut zu Mittag noch in Preetz! Im Stift, bei deiner Base ist er auf Besuch gewesen." Meine Hand fuhr unversehens nach der Brust, wo ich das Taeschlein mit dem Brief verwahret hatte; denn die trunkenen Augen des Junkers Wulf lagen auf mir; und war mir's nicht anders, als saehe er damit mein ganz Geheimniss offen vor sich liegen. Es waehrete auch nicht lange, so flogen die Karten klatschend auf den Tisch. "Oho!" schrie er. "Im Stift, bei meiner Base! Du treibst wohl gar doppelt Handwerk, Bursch! Wer hat dich auf den Botengang geschickt?" "Ihr nicht, Junker Wulf!" entgegnet ich; "und das muss Euch genug sein!"--Ich wollt nach meinem Degen greifen, aber er war nicht da; fiel mir auch bei nun, dass ich ihn an den Sattelknopf gehaenget, da ich vorhin den Gaul zu Stalle brachte. Und schon schrie der Junker wieder zu seinem juengeren Kumpan: "Reiss ihm das Wams auf, Kurt! Es gilt den blanken Haufen hier; du findest eine saubere Briefschaft, die du ungern moechtst bestellet sehen!" Im selbigen Augenblick fuehlte ich auch schon die Haende des von der Risch an meinem Leibe, und ein wuethend Ringen zwischen uns begann. Ich fuehlte wohl, dass ich so leicht, wie in der Bubenzeit, ihm nicht mehr ueber wuerde; da aber fuegete es sich zu meinem Gluecke, dass ich ihm beide Handgelenke packte und er also wie gefesselt vor mir stund. Es hatte keiner von uns ein Wort dabei verlauten lassen; als wir uns aber itzund in die Augen sahen, da wusste jeder wohl, dass er's mit seinem Todfeind vor sich habe. Solches schien auch der Junker Wulf zu meinen; er strebte von seinem Stuhl empor, als wolle er dem von der Risch zu Huelfe kommen; mochte aber zu viel des Weins genossen haben, denn er taumelte auf seinen Platz zurueck. Da schrie er, so laut seine lallende Zunge es noch vermochte: "He, Tartar! Tuerk! Wo steckt ihr! Tartar, Tuerk!" Und ich wusste nun, dass die zwo grimmen Koeter, so ich vorhin auf der Tenne an dem Ausschank hatte lungern sehen, mir an die nackte Kehle springen sollten. Schon hoerete ich sie durch das Getuemmel der Tanzenden daherschnaufen, da riss ich mit einem Rucke jaehlings meinen Feind zu Boden, sprang dann durch eine Seitenthuer aus dem Zimmer, die ich schmetternd hinter mir zuwarf, und gewann also das Freie. Und um mich her war ploetzlich wieder die stille Nacht und Mond- und Sternenschimmer. In den Stall zu meinem Gaul wagt ich nicht erst zu gehen, sondern sprang flugs ueber einen Wall und lief ueber das Feld dem Walde zu. Da ich ihn bald erreichet, suchte ich die Richtung nach dem Herrenhofe einzuhalten; denn es zieht sich die Holzung bis hart zur Gartenmauer. Zwar war die Helle der Himmelslichter hier durch das Laub der Baeume ausgeschlossen, aber meine Augen wurden der Dunkelheit gar bald gewohnt, und da ich das Taeschlein sicher unter meinem Wamse fuehlte, so tappte ich ruestig vorwaerts; denn ich gedachte den Rest der Nacht noch einmal in meiner Kammer auszuruhen, dann aber mit dem alten Dieterich zu berathen, was allfort geschehen solle; massen ich wohl sahe, dass meines Bleibens hier nicht fuerder sei. Bisweilen stund ich auch und horchte; aber ich mochte bei meinem Abgang wohl die Thuer ins Schloss geworfen und so einen guten Vorsprung mir gewonnen haben: von den Hunden war kein Laut vernehmbar. Wohl aber, da ich eben aus dem Schatten auf eine vom Mond erhellete Lichtung trat, hoerete ich nicht gar fern die Nachtigallen schlagen; und von wo ich ihren Schall hoerte, dahin richtete ich meine Schritte, denn mir war wohl bewusst, sie hatten hier herum nur in den Hecken des Herrengartens ihre Nester; erkannte nun auch, wo ich mich befand, und dass ich bis zum Hofe nicht gar weit mehr hatte. Ging also dem lieblichen Schallen nach, das immer heller vor mir aus dem Dunkel drang. Da ploetzlich schlug was anderes an mein Ohr, das jaehlings naeher kam und mir das Blut erstarren machte. Nicht zweifeln konnt ich mehr, die Hunde brachen durch das Unterholz; sie hielten fest auf meiner Spur, und schon hoerete ich deutlich hinter mir ihr Schnaufen und ihre gewaltigen Saetze in dem duerren Laub des Waldbodens. Aber Gott gab mir seinen gnaedigen Schutz; aus dem Schatten der Baeume stuerzte ich gegen die Gartenmauer, und an eines Fliederbaums Geaeste schwang ich mich hinueber. Da sangen hier im Garten immer noch die Nachtigallen; die Buchenhecken warfen tiefe Schatten. In solcher Mondnacht war ich einst vor meiner Ausfahrt in die Welt mit Herrn Gerhardus hier gewandelt. "Sieh dir's noch einmal an, Johannes!" hatte dermalen er gesprochen; "es koennt geschehen, dass du bei deiner Heimkehr mich nicht daheim mehr faendest, und dass alsdann ein Willkomm nicht fuer dich am Thor geschrieben stuende;--ich aber moecht nicht, dass du diese Staette hier vergaessest." Das flog mir itzund durch den Sinn, und ich musste bitter lachen; denn nun war ich hier als ein gehetzet Wild; und schon hoerete ich die Hunde des Junker Wulf gar grimmig draussen an der Gartenmauer rennen. Selbige aber war, wie ich noch tags zuvor gesehen, nicht ueberall so hoch, dass nicht das wuethige Gethier hinueber konnte; und rings im Garten war kein Baum, nichts als die dichten Hecken und drueben gegen das Haus die Blumenbeete des seligen Herrn. Da, als eben das Bellen der Hunde wie ein Triumphgeheule innerhalb der Gartenmauer scholl, ersahe ich in meiner Noth den alten Epheubaum, der sich mit starkem Stamme an dem Thurm hinaufreckt; und da dann die Hunde aus den Hecken auf den mondhellen Platz hinaus raseten, war ich schon hoch genug, dass sie mit ihrem Anspringen mich nicht mehr erreichen konnten; nur meinen Mantel, so von der Schulter geglitten, hatten sie mit ihren Zaehnen mir herabgerissen. Ich aber, also angeklammert und fuerchtend, es werde das nach oben schwaechere Geaeste mich auf die Dauer nicht ertragen, blickte suchend um mich, ob ich nicht irgend besseren Halt gewinnen moechte; aber es war nichts zu sehen als die dunklen Epheublaetter um mich her.--Da, in solcher Noth, hoerete ich ober mir ein Fenster oeffnen, und eine Stimme scholl zu mir herab--moechte ich sie wieder hoeren, wenn du, mein Gott, mich bald nun rufen laesst aus diesem Erdenthal!-- "Johannes!" rief sie; leis, doch deutlich hoerete ich meinen Namen, und ich kletterte hoeher an dem immer schwaecheren Gezweige, indess die schlafenden Voegel um mich auffuhren und die Hunde von unten ein Geheul heraufstiessen.--"Katharina! Bist du es wirklich, Katharina?" Aber schon kam ein zitternd Haendlein zu mir herab und zog mich gegen das offene Fenster; und ich sah in ihre Augen, die voll Entsetzen in die Tiefe starrten. "Komm!" sagte sie. "Sie werden dich zerreissen." Da schwang ich mich in ihre Kammer.--Doch als ich drinnen war, liess mich das Haendlein los, und Katharina sank auf einen Sessel, so am Fenster stund, und hatte ihre Augen dicht geschlossen. Die dicken Flechten ihres Haares lagen ueber dem weissen Nachtgewand bis in den Schoss hinab; der Mond, der draussen die Gartenhecken ueberstiegen hatte, schien voll herein und zeigete mir alles. Ich stund wie fest gezaubert vor ihr; so lieblich fremde und doch so ganz mein eigen schien sie mir; nur meine Augen tranken sich satt an all der Schoenheit. Erst als ein Seufzen ihre Brust erhob, sprach ich zu ihr: "Katharina, liebe Katharina, traeumet Ihr denn?" Da flog ein schmerzlich Laecheln ueber ihr Gesicht: "Ich glaub wohl fast, Johannes!--Das Leben ist so hart; der Traum ist suess!" Als aber von unten aus dem Garten das Geheul aufs Neu heraufkam, fuhr sie erschreckt empor. "Die Hunde, Johannes!" rief sie. "Was ist das mit den Hunden?" "Katharina", sagte ich, "wenn ich Euch dienen soll, so glaub ich, es muss bald geschehen; denn es fehlt viel, dass ich noch einmal durch die Thuer in dieses Haus gelangen sollte." Dabei hatte ich den Brief aus meinem Taeschlein hervorgezogen und erzaehlete auch, wie ich im Kruge drunten mit den Junkern sei in Streit gerathen. Sie hielt das Schreiben in den hellen Mondenschein und las; dann schaute sie mich voll und herzlich an, und wir beredeten, wie wir uns morgen in dem Tannenwalde treffen wollten; denn Katharina sollte noch zuvor erkunden, auf welchen Tag des Junker Wulfen Abreise zum Kieler Johannismarkte festgesetzet sei. "Und nun, Katharina", sprach ich, "habt Ihr nicht etwas, das einer Waffe gleich sieht, ein eisern Ellenmass oder so dergleichen, damit ich der beiden Thiere drunten mich erwehren koenne?" Sie aber schrak jaeh wie aus einem Traum empor. "Was sprichst du, Johannes!" rief sie; und ihre Haende, so bislang in ihrem Schoss geruhet, griffen nach den meinen. "Nein, nicht fort, nicht fort! Da drunten ist der Tod; und gehst du, so ist auch hier der Tod!" Da war ich vor ihr hingeknieet und lag an ihrer jungen Brust, und wir umfingen uns in grosser Herzensnoth. "Ach, Kaethe", sprach ich, "was vermag die arme Liebe denn! Wenn auch dein Bruder Wulf nicht waere; ich bin kein Edelmann und darf nicht um dich werben." Sehr suess und sorglich schauete sie mich an; dann aber kam es wie Schelmerei aus ihrem Munde: "Kein Edelmann, Johannes?--Ich daechte, du seiest auch das! Aber--ach nein! Dein Vater war nur der Freund des meinen--das gilt der Welt wohl nicht!" "Nein, Kaethe; nicht das, und sicherlich nicht hier", entgegnete ich und umfasste fester ihren jungfraeulichen Leib; "aber drueben in Holland, dort gilt ein tuechtiger Maler wohl einen deutschen Edelmann; die Schwelle von Mynherr van Dycks Palaste zu Amsterdam ist wohl dem Hoechsten ehrenvoll zu ueberschreiten. Man hat mich drueben halten wollen, mein Meister van der Helst und andre! Wenn ich dorthin zurueckginge, ein Jahr noch oder zwei; dann--wir kommen dann schon von hier fort; bleib mir nur feste gegen euere wuesten Junker!" Katharinens weisse Haende strichen ueber meine Locken; sie herzete mich und sagte leise: "Da ich in meine Kammer dich gelassen, so werd ich doch dein Weib auch werden muessen." --Ihr ahnete wohl nicht, welch einen Feuerstrom dies Wort in meine Adern goss, darin ohnedies das Blut in heissen Pulsen ging.--Von dreien furchtbaren Daemonen, von Zorn und Todesangst und Liebe ein verfolgter Mann, lag nun mein Haupt in des viel geliebten Weibes Schoss. Da schrillte ein geller Pfiff, die Hunde drunten wurden jaehlings stille, und da es noch einmal gellte, hoerete ich sie wie toll und wild davon rennen. Vom Hofe her wurden Schritte laut; wir horchten auf, dass uns der Athem stille stund. Bald aber wurde dorten eine Thuer erst auf-, dann zugeschlagen und dann ein Riegel vorgeschoben. "Das ist Wulf", sagte Katharina leise; "er hat die beiden Hunde in den Stall gesperrt."--Bald hoerten wir auch unter uns die Thuer des Hausflurs gehen, den Schluessel drehen und danach Schritte in dem untern Corridor, die sich verloren, wo der Junker seine Kammer hatte. Dann wurde alles still. Es war nun endlich sicher, ganz sicher; aber mit unserem Plaudern war es mit einem Male schier zu Ende. Katharina hatte den Kopf zurueckgelehnt; nur unser beider Herzen hoerete ich klopfen.--"Soll ich nun gehen, Katharina?" sprach ich endlich. Aber die jungen Arme zogen mich stumm zu ihrem Mund empor; und ich ging nicht. Kein Laut war mehr, als aus des Gartens Tiefe das Schlagen der Nachtigallen und von fern das Rauschen des Waesserleins, das hinten um die Hecken fliesst.-- Wenn, wie es in den Liedern heisst, mitunter noch in Naechten die schoene heidnische Frau Venus aufersteht und umgeht, um die armen Menschenherzen zu verwirren, so war es dazumalen eine solche Nacht. Der Mondschein war am Himmel ausgethan, ein schwueler Ruch von Blumen hauchte durch das Fenster, und dorten ueberm Walde spielete die Nacht in stummen Blitzen.--O Hueter, Hueter, war dein Ruf so fern? --Wohl weiss ich noch, dass vom Hofe her ploetzlich scharf die Haehne kraehten, und dass ich ein blass und weinend Weib in meinen Armen hielt, die mich nicht lassen wollte, unachtend, dass ueberm Garten der Morgen daemmerte und rothen Schein in unsre Kammer warf. Dann aber, da sie dess inne wurde, trieb sie, wie von Todesangst geschreckt, mich fort. Noch einen Kuss, noch hundert; ein fluechtig Wort noch: wann fuer das Gesind zu Mittage gelaeutet wuerde, dann wollten wir im Tannenwald uns treffen; und dann--ich wusste selber kaum, wie mir's geschehen-- stund ich im Garten, unten in der kuehlen Morgenluft. Noch einmal, indem ich meinen von den Hunden zerfetzten Mantel aufhob, schaute ich empor und sah ein blasses Haendlein mir zum Abschied winken. Nahezu erschrocken aber wurd ich, da meine Augen bei einem Rueckblick aus dem Gartensteig von ungefaehr die unteren Fenster neben dem Thurme streiften; denn mir war, als saehe hinter einem derselbigen ich gleichfalls eine Hand; aber sie drohete nach mir mit aufgehobenem Finger und schien mir farblos und knoechern gleich der Hand des Todes. Doch war's nur wie im Husch, dass solches ueber meine Augen ging; dachte zwar erstlich des Maerleins von der wieder gehenden Urahne; redete mir dann aber ein, es seien nur meine eigenen aufgestoerten Sinne, die solch Spiel mir vorgegaukelt haetten. So, dess nicht weiter achtend, schritt ich eilends durch den Garten, merkete aber bald, dass in der Hast ich auf den Binsensumpf gerathen; sank auch der eine Fuss bis uebers Aenkel ein, gleichsam, als ob ihn was hinunterziehen wollte. 'Ei', dachte ich, 'fasst das Hausgespenste doch nach dir!' Machte mich aber auf und sprang ueber die Mauer in den Wald hinab. Die Finsterniss der dichten Baeume sagte meinem traeumenden Gemuethe zu; hier um mich her war noch die selige Nacht, von welcher meine Sinne sich nicht loesen mochten.--Erst da ich nach geraumer Zeit vom Waldesrande in das offene Feld hinaustrat, wurd ich voellig wach. Ein Haeuflein Rehe stund nicht fern im silbergrauen Thau, und ueber mir vom Himmel scholl das Tageslied der Lerche. Da schuettelte ich all muessig Traeumen von mir ab; im selbigen Augenblick stieg aber auch wie heisse Noth die Frage mir ins Hirn: 'Was weiter nun, Johannes? Du hast ein theures Leben an dich rissen; nun wisse, dass dein Leben nichts gilt als nur das ihre!' Doch was ich sinnen mochte, es deuchte mir allfort das beste, wenn Katharina im Stifte sichern Unterschlupf gefunden, dass ich dann zurueck nach Holland ginge, mich dort der Freundeshuelf versicherte und allsobald zurueckkaem, um sie nachzuholen. Vielleicht, dass sie gar der alten Base Herz erweichet'; und schlimmsten Falles--es musste auch gehen ohne das! Schon sahe ich uns auf einem froehlichen Barkschiff die Wellen des gruenen Zuidersees befahren, schon hoerete ich das Glockenspiel vom Rathhausthurme Amsterdams und sah am Hafen meine Freunde aus dem Gewuehl hervorbrechen und mich und meine schoene Frau mit hellem Zuruf gruessen und im Triumph nach unserem kleinen, aber trauten Heim geleiten. Mein Herz war voll von Muth und Hoffnung; und kraeftiger und rascher schritt ich aus, als koennte ich baelder so das Glueck erreichen. --Es ist doch anders kommen. In meinen Gedanken war ich allmaehlich in das Dorf hinabgelanget und trat hier in Hans Ottsens Krug, von wo ich in der Nacht so jaehlings hatte fluechten muessen.--"Ei, Meister Johannes", rief der Alte auf der Tenne mir entgegen, "was hattet Ihr doch gestern mit unseren gestrengen Junkern? Ich war just draussen bei dem Ausschank; aber da ich wieder eintrat, flucheten sie schier grausam gegen Euch; und auch die Hunde raseten an der Thuer, die Ihr hinter Euch ins Schloss geworfen hattet." Da ich aus solchen Worten abnahm, dass der Alte den Handel nicht wohl begriffen habe, so entgegnete ich nur: "Ihr wisset, der von der Risch und ich, wir haben uns schon als Jungen oft einmal gezauset; da musst's denn gestern noch so einen Nachschmack geben." "Ich weiss, ich weiss!" meinte der Alte; "aber der Junker sitzt heut auf seines Vaters Hof; Ihr solltet Euch hueten, Herr Johannes; mit solchen Herren ist nicht sauber Kirschen essen." Dem zu widersprechen, hatte ich nicht Ursach, sondern liess mir Brot und Fruehtrunk geben und ging dann in den Stall, wo ich mir meinen Degen holete, auch Stift und Skizzenbuechlein aus dem Ranzen nahm. Aber es war noch lange bis zum Mittaglaeuten. Also bat ich Hans Ottsen, dass er den Gaul mit seinem Jungen moeg zum Hofe bringen lassen; und als er mir solches zugesaget, schritt ich wieder hinaus zum Wald. Ich ging aber bis zu der Stelle auf dem Heidenhuegel, von wo man die beiden Giebel des Herrenhauses ueber die Gartenhecken ragen sieht, wie ich solches schon fuer den Hintergrund zu Katharinens Bildniss ausgewaehlet hatte. Nun gedachte ich, dass, wann in zu verhoffender Zeit sie selber in der Fremde leben und wohl das Vaterhaus nicht mehr betreten wuerde, sie seines Anblicks doch nicht ganz entrathen solle; zog also meinen Stift herfuer und begann zu zeichnen, gar sorgsam jedes Winkelchen, woran ihr Auge einmal mocht gehaftet haben. Als farbig Schilderei sollt es dann in Amsterdam gefertigt werden, damit es ihr sofort entgegen gruesse, wann ich sie dort in unsre Kammer fuehren wuerde. Nach ein paar Stunden war die Zeichnung fertig. Ich liess noch wie zum Gruss ein zwitschernd Voegelein darueber fliegen; dann suchte ich die Lichtung auf, wo wir uns finden wollten, und streckte mich nebenan im Schatten einer dichten Buche, sehnlich verlangend, dass die Zeit vergehe. Ich musste gleichwohl darob eingeschlummert sein; denn ich erwachte von einem fernen Schall und wurd dess inne, dass es das Mittaglaeuten von dem Hofe sei. Die Sonne gluehte schon heiss hernieder und verbreitete den Ruch der Himbeeren, womit die Lichtung ueberdeckt war. Es fiel mir bei, wie einst Katharina und ich uns hier bei unseren Waldgaengen suesse Wegzehrung geholet hatten; und nun begann ein seltsam Spiel der Phantasie; bald sahe ich drueben zwischen den Straeuchern ihre zarte Kindsgestalt, bald stund sie vor mir, mich anschauend mit den seligen Frauenaugen, wie ich sie letzlich erst gesehen, wie ich sie nun gleich, im naechsten Augenblicke, schon leibhaftig an mein klopfend Herze schliessen wuerde. Da ploetzlich ueberfiel mich's wie ein Schrecken. Wo blieb sie denn? Es war schon lang, dass es gelaeutet hatte. Ich war aufgesprungen, ich ging umher, ich stund und spaehete scharf nach aller Richtung durch die Baeume; die Angst kroch mir zum Herzen; aber Katharina kam nicht; kein Schritt im Laube raschelte; nur oben in den Buchenwipfeln rauschte ab und zu der Sommerwind. Boeser Ahnung voll ging ich endlich fort und nahm einen Umweg nach dem Hofe zu. Da ich unweit dem Thore zwischen die Eichen kam, begegnete mir Dieterich. "Herr Johannes", sagte er und trat hastig auf mich zu, "Ihr seid die Nacht schon in Hans Ottsens Krug gewesen; sein Junge brachte mir Euren Gaul zurueck;--was habet Ihr mit unsern Junkern vorgehabt?" "Warum fragst du, Dieterich?" --"Warum, Herr Johannes?--Weil ich Unheil zwischen euch verhueten moecht." "Was soll das heissen, Dieterich?" frug ich wieder; aber mir war beklommen, als sollte das Wort mir in der Kehle sticken. "Ihr werdet's schon selber wissen, Herr Johannes!" entgegnete der Alte. "Mir hat der Wind nur so einen Schall davon gebracht, vor einer Stund mag's gewesen sein; ich wollte den Burschen rufen, der im Garten an den Hecken putzte. Da ich an den Thurm kam, wo droben unser Fraeulein ihre Kammer hat, sah ich dorten die alte Bas' Ursel mit unserem Junker dicht beisammen stehen. Er hatte die Arme unterschlagen und sprach kein einzig Woertlein; die Alte aber redete einen um so groesseren Haufen und jammerte ordentlich mit ihrer feinen Stimme. Dabei wies sie bald nieder auf den Boden, bald hinauf in den Epheu, der am Turm hinaufwaechst.--Verstanden, Herr Johannes, hab ich von dem allem nichts; dann aber, und nun merket wohl auf, hielt sie mit ihrer knoechern Hand, als ob sie damit drohete, dem Junker was vor Augen; und da ich naeher hinsah, war's ein Fetzen Grauwerk, just wie Ihr's da an Euerem Mantel traget." "Weiter, Dieterich!" sagte ich; denn der Alte hatte die Augen auf meinen zerrissenen Mantel, den ich auf dem Arme trug. "Es ist nicht viel mehr uebrig", erwiderte er; "denn der Junker wandte sich jaehlings nach mir zu und frug mich, wo Ihr anzutreffen waeret. Ihr moeget mir es glauben, waere er in Wirklichkeit ein Wolf gewesen, die Augen haetten blutiger nicht funkeln koennen." Da frug ich: "Ist der Junker im Hause, Dieterich?" --"Im Haus? Ich denke wohl; doch was sinnet ihr, Herr Johannes?" "Ich sinne, Dieterich, dass ich allsogleich mit ihm zu reden habe." Aber Dieterich hatte bei beiden Haenden mich ergriffen. "Gehet nicht, Johannes", sagte er dringend; "erzaehlet mir zum wenigsten, was geschehen ist; der Alte hat Euch ja sonst wohl guten Rath gewusst!" "Hernach, Dieterich, hernach!" entgegnete ich. Und also mit diesen Worten riss ich meine Haende aus den seinen. Der Alte schuettelte den Kopf. "Hernach, Johannes", sagte er, "das weiss nur unser Herrgott!" Ich aber schritt nun ueber den Hof dem Hause zu. Der Junker sei eben in seinem Zimmer, sagte eine Magd, so ich im Hausflur drum befragte. Ich hatte dieses Zimmer, das im Unterhause lag, nur einmal erst betreten. Statt wie bei seinem Vater sel. Buecher und Karten, war hier vielerlei Gewaffen, Handroehre und Arkebusen, auch allerart Jagdgeraethe an den Waenden angebracht; sonst war es ohne Zier und zeigete an ihm selber, dass niemand auf die Dauer und mit seinen ganzen Sinnen hier verweile. Fast waer ich an der Schwelle noch zurueckgewichen, da ich auf des Junkers "Herein" die Thuer geoeffnet; denn als er sich vom Fenster zu mir wandte, sah ich eine Reiterpistole in seiner Hand, an deren Radschloss er hantirete. Er schauete mich an, als ob ich von den Tollen kaeme. "So?" sagte er gedehnet; "wahrhaftig, Sieur Johannes, wenn's nicht schon sein Gespenste ist!" "Ihr dachtet, Junker Wulf", entgegnet ich, indem ich naeher zu ihm trat, "es moecht der Strassen noch andre fuer mich geben, als die in Euere Kammer fahren!" --"So dachte ich, Sieur Johannes! Wie Ihr gut rathen koennt! Doch immerhin, Ihr kommt mir eben recht; ich hab Euch suchen lassen!" In seiner Stimme bebte was, das wie ein lauernd Raubthier auf dem Sprunge lag, so dass die Hand mir unversehens nach dem Degen fuhr. Jedennoch sprach ich: "Hoerer mich und goennet mir ein ruhig Wort, Herr Junker!" Er aber unterbrach meine Rede: "Du wirst gewogen sein, mich erstlich auszuhoeren! Sieur Johannes"--und seine Worte, die erst langsam waren, wurden allmaehlich gleichwie ein Gebruell--, "vor ein paar Stunden, da ich mit schwerem Kopf erwachte, da fiel's mir bei und reuete mich gleich einem Narren, dass ich im Rausch die wilden Hunde dir auf die Fersen gesetzet hatte;--seit aber Bas' Ursel mir den Fetzen vorgehalten, den sie dir aus deinem Federbalg gerissen,-- beim Hoellenelement! mich reut's nur noch, dass mir die Bestien solch Stueck Arbeit nachgelassen!" Noch einmal suchte ich zu Worte zu kommen; und da der Junker schwieg, so dachte ich, dass er auch hoeren wuerde. "Junker Wulf", sagte ich, "es ist schon wahr, ich bin kein Edelmann; aber ich bin kein geringer Mann in meiner Kunst und hoffe, es auch wohl noch einmal den Groesseren gleichzuthun; so bitte ich Euch geziementlich, gehet Euere Schwester Katharina mir zum Ehgemahl--" Da stockte mir das Wort im Munde. Aus seinem bleichen Antlitz starrten mich die Augen des alten Bildes an; ein gellend Lachen schlug mir in das Ohr, ein Schuss--dann brach ich zusammen und hoerete nur noch, wie mir der Degen, den ich ohn Gedanken fast gezogen hatte, klirrend aus der Hand zu Boden fiel. Es war manche Woche danach, dass ich in dem schon bleicheren Sonnenschein auf einem Baenkchen vor dem letzten Haus des Dorfes sass, mit matten Blicken nach dem Wald hinueberschauend, an dessen jenseitigem Rande das Herrenhaus belegen war. Meine thoerichten Augen suchten stets aufs Neue den Punkt, wo, wie ich mir vorstellete, Katharinens Kaemmerlein von drueben auf die schon herbstlich gelben Wipfel schaue; denn von ihr selber hatte ich keine Kunde. Man hatte mich mit meiner Wunde in dies Haus gebracht, das von des Junkers Waldhueter bewohnt wurde; und ausser diesem Mann und seinem Weibe und einem mir unbekannten Chirurgus war waehrend meines langen Lagers niemand zu mir gekommen.--Von wannen ich den Schuss in meine Brust erhalten, darueber hat mich niemand befragt, und ich habe niemandem Kunde gegeben; des Herzogs Gerichte gegen Herrn Gerhardus' Sohn und Katharinens Bruder anzurufen, konnte nimmer mir zu Sinnen kommen. Er mochte sich dessen auch wohl getroesten; noch glaubhafter jedoch, dass er allen diesen Dingen trotzete. Nur einmal war mein guter Dieterich da gewesen; er hatte mir in des Junkers Auftrage zwei Rollen Ungarischer Dukaten ueberbracht als Lohn fuer Katharinens Bild, und ich hatte das Gold genommen, in Gedanken, es sei ein Theil von deren Erbe, von dem sie als mein Weib wohl spaeter nicht zu viel empfahen wuerde. Zu einem traulichen Gespraech mit Dieterich, nach dem mich sehr verlangete, hatte es mir nicht gerathen wollen, massen das gelbe Fuchsgesicht meines Wirthes allaugenblicks in meine Kammer schaute; doch wurde so viel mir kund, dass der Junker nicht nach Kiel gereiset und Katharina seither von niemandem weder in Hof noch Garten war gesehen worden; kaum konnte ich noch den Alten bitten, dass er dem Fraeulein, wenn sich's treffen moechte, meine Gruesse sage, und dass ich bald nach Holland zu reisen, aber baelder noch zurueckzukommen daechte, was alles in Treuen auszurichten er mir dann gelobete. Ueberfiel mich aber danach die allergroesseste Ungeduld, so dass ich, gegen den Willen des Chirurgus und bevor im Walde drueben noch die letzten Blaetter von den Baeumen fielen, meine Reise ins Werk setzete; langete auch schon nach kurzer Frist wohlbehalten in der hollaendischen Hauptstadt an, allwo ich von meinen Freunden gar liebreich empfangen wurde, und mochte es auch ferner vor ein gluecklich Zeichen wohl erkennen, dass zwo Bilder, so ich dort zurueckgelassen, durch die hilfsbereite Vermittelung meines theueren Meisters van der Helst beide zu ansehnlichen Preisen verkaufet waren. Ja, es war dessen noch nicht genug: ein mir schon frueher wohl gewogener Kaufherr liess mir sagen, er habe nur auf mich gewartet, dass ich fuer sein nach dem Haag verheirathetes Toechterlein sein Bildniss malen moege; und wurde mir auch sofort ein reicher Lohn dafuer versprochen. Da dachte ich, wenn ich solches noch vollendete, dass dann genug des helfenden Metalles in meinen Haenden waere, um auch ohne andere Mittel Katharinen in ein wohl bestellet Heimwesen einzufahren. Machte mich also, da mein freundlicher Goenner desselbigen Sinnes war, mit allem Eifer an die Arbeit, so dass ich bald den Tag meiner Abreise gar froehlich nah und naeher ruecken sahe, unachtend, mit was vor ueblen Anstaenden ich drueben noch zu kaempfen haette. Aber des Menschen Augen sehen das Dunkel nicht, das vor ihm ist.-- Als nun das Bild vollendet war und reichlich Lob und Gold um dessen willen mir zu Theil geworden, da konnte ich nicht fort. Ich hatte in der Arbeit meiner Schwaeche nicht geachtet, die schlecht geheilte Wunde warf mich wiederum danieder. Eben wurden zum Weihnachtsfeste auf allen Strassenplaetzen die Waffelbuden aufgeschlagen, da begann mein Siechthum und hielt mich laenger als das erste Mal gefesselt. Zwar der besten Arzteskunst und liebreicher Freundespflege war kein Mangel, aber in Aengsten sahe ich Tag um Tag vergehen, und keine Kunde konnte von ihr, keine zu ihr kommen. Endlich nach harter Winterzeit, da der Zuidersee wieder seine gruenen Wellen schlug, geleiteten die Freunde mich zum Hafen; aber statt des frohen Muthes nahm ich itzt schwere Herzensorge mit an Bord. Doch ging die Reise rasch und gut von Statten. Von Hamburg aus fuhr ich mit der koeniglichen Post; dann, wie vor nun fast einem Jahre hiebevor, wanderte ich zu Fusse durch den Wald, an dem noch kaum die ersten Spitzen grueneten. Zwar probten schon die Finken und die Ammern ihren Lenzgesang; doch was kuemmerten sie mich heute!--Ich ging aber nicht nach Herrn Gerhardus' Herrengut; sondern, so stark mein Herz auch klopfete, ich bog seitwaerts ab und schritt am Waldesrand entlang dem Dorfe zu. Da stund ich bald in Hans Ottsens Krug und ihm gar selber gegenueber. Der Alte sah mich seltsam an, meinete aber dann, ich lasse ja recht munter. "Nur", fuegte er bei, "mit den Schiessbuechsen muesset Ihr nicht wieder spielen; die machen aergere Flecken als so ein Malerpinsel." Ich liess ihn gern bei solcher Meinung, so, wie ich wohl merkete, hier allgemein verbreitet war, und that vors erste eine Frage nach dem alten Dieterich. Da musste ich vernehmen, dass er noch vor dem ersten Winterschnee, wie es so starken Leuten wohl passiret, eines ploetzlichen, wenn auch gelinden Todes verfahren sei. "Der freuet sich", sagte Hans Ottsen, "dass er zu seinem alten Herrn da droben kommen; und ist fuer ihn auch besser so." "Amen!" sagte ich; "mein herzlieber alter Dieterich!" Indess aber mein Herz nur, und immer banger, nach einer Kundschaft von Katharinen seufzete, nahm meine furchtsam Zunge einen Umweg, und ich sprach beklommen: "Was machet denn Euer Nachbar, der von der Risch?" "Oho", lachte der Alte; "der hat ein Weib genommen, und eine, die ihn schon zu Richte setzen wird." Nur im ersten Augenblick erschrak ich, denn ich sagte mir sogleich, dass er nicht so von Katharinen reden wuerde; und da er dann den Namen nannte, so war's ein aeltlich, aber reiches Fraeulein aus der Nachbarschaft; forschete also muthig weiter, wie's drueben in Herrn Gerhardus' Haus bestellet sei, und wie das Fraeulein und der Junker mit einander hauseten. Da warf der Alte mir wieder seine seltsamen Blicke zu. "Ihr meinet wohl", sagte er, "dass alte Thuerm' und Mauern nicht auch plaudern koennten!" "Was soll's der Rede?" rief ich; aber sie fiel mir centnerschwer aufs Herz. "Nun, Herr Johannes", und der Alte sahe mir gar zuversichtlich in die Augen, "wo das Fraeulein hinkommen, das werdet doch Ihr am besten wissen! Ihr seid derzeit im Herbst ja nicht zum letzten hier gewesen; nur wundert's mich, dass Ihr noch einmal wiederkommen; denn Junker Wulf wird, denk ich, nicht eben gute Mien zum boesen Spiel gemachet haben." Ich sah den alten Menschen an, als sei ich selber hintersinnig worden; dann aber kam mir ploetzlich ein Gedanke. "Ungluecksmann!" schrie ich, "Ihr glaubet doch nicht etwan, das Fraeulein Katharina sei mein Eheweib geworden?" "Nun, lasset mich nur los!" entgegnete der Alte--denn ich schuettelte ihn an beiden Schultern.--"Was geht's mich an! Es geht die Rede so! Auf alle Faell'; seit Neujahr ist das Fraeulein im Schloss nicht mehr gesehen worden." Ich schwur ihm zu, derzeit sei ich in Holland krank gelegen; ich wisse nichts von alledem. Ob er's geglaubet, weiss ich nicht zu sagen; allein er gab mir kund, es sollte dermalen ein unbekannter Geistlicher zur Nachtzeit und in grosser Heimlichkeit auf den Herrenhof gekommen sein; zwar habe Bas' Ursel das Gesinde schon zeitig in ihre Kammern getrieben; aber der Maegde eine, so durch die Thuerspalt gelauschet, wolle auch mich ueber den Flur nach der Treppe haben gehen sehen; dann spaeter haetten sie deutlich einen Wagen aus dem Thorhaus fahren hoeren, und seien seit jener Nacht nur noch Bas' Ursel und der Junker in dem Schloss gewesen. --Was ich von nun an alles und immer doch vergebens unternommen, um Katharinen oder auch nur eine Spur von ihr zu finden, das soll nicht hier verzeichnet werden. Im Dorf war nur das thoerichte Geschwaetz, davon Hans Ottsen mich die Probe schmecken lassen; darum machete ich mich auf nach dem Stifte zu Herrn Gerhardus' Schwester; aber die Dame wollte mich nicht vor sich lassen; wurde im uebrigen mir auch berichtet, dass keinerlei junges Frauenzimmer bei ihr gesehen worden. Da reisete ich wieder zurueck und demuethigte mich also, dass ich nach dem Hause des von der Risch ging und als ein Bittender vor meinen alten Widersacher hintrat. Der sagte hoehnisch, es moege wohl der Buhz das Voeglein sich geholet haben; er habe dem nicht nachgeschaut; auch halte er keinen Aufschlag mehr mit denen von Herrn Gerhardus' Hofe. Der Junker Wulf gar, der davon vernommen haben mochte, liess nach Hans Ottsens Kruge sagen, so ich mich unterstuende, auch zu ihm zu dringen, er wuerde mich noch einmal mit den Hunden hetzen lassen.-- Da bin ich in den Wald gegangen und hab gleich einem Strauchdieb am Weg auf ihn gelauert; die Eisen sind von der Scheide bloss geworden; wir haben gefochten, bis ich die Hand ihm wund gehauen und sein Degen in die Buesche flog. Aber er sahe mich nur mit seinen boesen Augen an; gesprochen hat er nicht.--Zuletzt bin ich zu laengerem Verbleiben nach Hamburg kommen, von wo aus ich ohne Anstand und mit groesserer Umsicht meine Nachforschungen zu betreiben dachte. Es ist alles doch umsonst gewesen. Aber ich will vors erste nun die Feder ruhen lassen. Denn vor mir liegt dein Brief, mein lieber Josias; ich soll dein Toechterlein, meiner Schwester sel. Enkelin, aus der Taufe heben.--Ich werde auf meiner Reise dem Walde vorbeifahren, so hinter Herrn Gerhardus' Hof belegen ist. Aber das alles gehoert ja der Vergangenheit. Hier schliesst das erste Heft der Handschrift. Hoffen wir, dass der Schreiber ein froehliches Tauffest gefeiert und inmitten seiner Freundschaft an frischer Gegenwart sein Herz erquickt habe. Meine Augen ruhten auf dem alten Bild mir gegenueber; ich konnte nicht zweifeln, der schoene ernste Mann war Herr Gerhardus. Wer aber war jener tote Knabe, den ihm Meister Johannes hier so sanft in seinen Arm gebettet hatte?--Sinnend nahm ich das zweite und zugleich letzte Heft, dessen Schriftzuege um ein weniges unsicherer erschienen. Es lautete wie folgt: Geliek as Rook un Stoof verswindt, Also sind ock de Minschenkind. Der Stein, darauf diese Worte eingehauen stehen, sass ob dem Thuersims eines alten Hauses. Wenn ich daran vorbeiging, musste ich allzeit meine Augen dahin wenden, und auf meinen einsamen Wanderungen ist dann selbiger Spruch oft lange mein Begleiter blieben. Da sie im letzten Herbste das alte Haus abbrachen, habe ich aus den Truemmern diesen Stein erstanden, und ist er heute gleicherweise ob der Thuere meines Hauses eingemauert worden, wo er nach mir noch manchen, der voruebergeht, an die Nichtigkeit des Irdischen erinnern moege. Mir aber soll er eine Mahnung sein, ehbevor auch an meiner Uhr der Weiser stille steht, mit der Aufzeichnung meines Lebens fortzufahren. Denn du, meiner lieben Schwester Sohn, der du nun bald mein Erbe sein wirst, moegest mit meinem kleinen Erdengute dann auch mein Erdenleid dahinnehmen, so ich bei meiner Lebzeit niemandem, auch, aller Liebe ohnerachtet, dir nicht habe anvertrauen moegen. Item: anno 1666 kam ich zum ersten Mal in diese Stadt an der Nordsee; massen von einer reichen Branntweinbrenner-Witwen mir der Auftrag worden, die Auferweckung Lazari zu malen, welches Bild sie zum schuldigen und freundlichen Gedaechtniss ihres Seligen, der hiesigen Kirchen aber zum Zierath zu stiften gedachte, allwo es denn auch noch heute ueber dem Taufsteine mit den vier Aposteln zu schauen ist. Daneben wuenschte auch der Buergermeister, Herr Titus Axen, so frueher in Hamburg Thumherr und mir von dort bekannt war, sein Conterfey von mir gemalet, so dass ich fuer eine lange Zeit allhier zu schaffen hatte.--Mein Losament aber hatte ich bei meinem einzigen und aelteren Bruder, der seit lange schon das Secretariat der Stadt bekleidete; das Haus, darin er als unbeweibter Mann lebte, war hoch und raeumlich, und war es dasselbig Haus mit den zwo Linden an der Ecken von Markt und Kraemerstrasse, worin ich, nachdem es durch meines lieben Bruders Hintritt mir angestorben, anitzt als alter Mann noch lebe und der Wiedervereinigung mit den vorangegangenen Lieben in Demuth entgegenharre. Meine Werkstaette hatte ich mir in dem grossen Pesel der Witwe eingerichtet; es war dorten ein gutes Oberlicht zur Arbeit, und bekam alles gemacht und gestellet, wie ich es verlangen mochte. Nur dass die gute Frau selber gar zu gegenwaertig war; denn allaugenblicklich kam sie draussen von ihrem Schanktisch zu mir hergetrottet mit ihren Blechgemaessen in der Hand; draengte mit ihrer Wohlbeleibtheit mir auf den Malstock und roch an meinem Bild herum; gar eines Vormittages, da ich soeben den Kopf des Lazarus untermalet hatte, verlangte sie mit viel ueberfluessigen Worten, der auferweckte Mann solle das Antlitz ihres Seligen zur Schau stellen, obschon ich diesen Seligen doch niemalen zu Gesicht bekommen, von meinem Bruder auch vernommen hatte, dass selbiger, wie es die Brenner pflegen, das Zeichen seines Gewerbes als eine blaurothe Nasen im Gesicht herumgetragen; da habe ich denn, wie man glauben mag, dem unvernuenftigen Weibe gar hart den Daumen gegenhalten muessen. Als dann von der Aussendiele her wieder neue Kundschaft nach ihr gerufen und mit den Gemaessen auf den Schank geklopfet, und sie endlich von mir lassen muessen, da sank mir die Hand mit dem Pinsel in den Schoss, und ich musste ploetzlich des Tages gedenken, da ich eines gar andern Seligen Antlitz mit dem Stifte nachgebildet, und wer da in der kleinen Kapelle so still bei mir gestanden sei.-- Und also rueckwaerts sinnend, setzete ich meinen Pinsel wieder an; als aber selbiger eine gute Weile hin und wider gegangen, musste ich zu eigener Verwunderung gewahren, dass ich die Zuege des edlen Herrn Gerhardus in des Lazari Angesicht hineingetragen hatte. Aus seinem Leilach blickte des Todten Antlitz gleichwie in stummer Klage gegen mich, und ich gedachte: So wird er dir einstmals in der Ewigkeit entgegentreten! Ich konnte heut nicht weiter malen, sondern ging fort und schlich auf meine Kammer ober der Hausthuer, allwo ich mich ans Fenster setzte und durch den Ausschnitt der Lindenbaeume auf den Markt hinabsah. Es gab aber gross Gewuehl dort, und war bis drueben an die Rathswaage und weiter bis zur Kirchen alles voll von Wagen und Menschen; denn es war ein Donnerstag und noch zur Stunde, dass Gast mit Gaste handeln durfte, also dass der Stadtknecht mit dem Griper muessig auf unseres Nachbaren Beischlag sass, massen es vor der Hand keine Bruechen zu erhaschen gab. Die Ostenfelder Weiber mit ihren rothen Jacken, die Maedchen von den Inseln mit ihren Kopftuechern und feinem Silberschmuck, dazwischen die hochgethuermeten Getreidewagen und darauf die Bauern in ihren gelben Lederhosen--dies alles mochte wohl ein Bild fuer eines Malers Auge geben, zumal wenn selbiger, wie ich, bei den Hollaendern in die Schule gegangen war; aber die Schwere meines Gemuethes machte das bunte Bild mir truebe. Doch war es keine Reu, wie ich vorhin an mir erfahren hatte; ein sehnend Leid kam immer gewaltiger ueber mich; es zerfleischete mich mit wilden Krallen und sah mich gleichwohl mit holden Augen an. Drunten lag der helle Mittag auf dem wimmelnden Markte; vor meinen Augen aber daemmerte silberne Mondnacht, wie Schatten stiegen ein paar Zackengiebel auf, ein Fenster klirrte, und gleich wie aus Traeumen schlugen leis und fern die Nachtigallen. O du mein Gott und mein Erloeser, der du die Barmherzigkeit bist, wo war sie in dieser Stunde, wo hatte meine Seele sie zu suchen?-- Da hoerete ich draussen unter dem Fenster von einer harten Stimme meinen Namen nennen, und als ich hinausschaute, ersahe ich einen grossen hageren Mann in der ueblichen Tracht eines Predigers, obschon sein herrisch und finster Antlitz mit dem schwarzen Haupthaar und dem tiefen Einschnitt ob der Nase wohl eher einem Kriegsmann angestanden waere. Er wies soeben einem andern, untersetzten Manne von baeuerischem Aussehen, aber gleich ihm in schwarzwollenen Struempfen und Schnallenschuhen, mit seinem Handstocke nach unserer Hausthuer zu, indem er selbst zumal durch das Marktgewuehle von dannen schritt. Da ich dann gleich darauf die Thuerglocke schellen hoerte, ging ich hinab und lud den Fremden in das Wohngemach, wo er von dem Stuhle, darauf ich ihn genoethigt, mich gar genau und aufmerksam betrachtete. Also war selbiger der Kuester aus dem Dorfe norden der Stadt, und erfuhr ich bald, dass man dort einen Maler brauche, da man des Pastors Bildniss in die Kirche stiften wolle. Ich forschete ein wenig, was fuer Verdienst um die Gemeine dieser sich erworben haette, dass sie solche Ehr ihm anzuthun gedaechten, da er doch seines Alters halben noch nicht gar lang im Amte stehen koenne; der Kuester aber meinete, es habe der Pastor freilich wegen eines Stueck Ackergrundes einmal einen Process gegen die Gemeine angestrenget, sonst wisse er eben nicht, was Sondres koenne vorgefallen sein; allein es hingen allbereits die drei Amtsvorweser in der Kirchen, und da sie, wie er sagen muesse, vernommen haetten, ich verstuende das Ding gar wohl zu machen, so sollte der guten Gelegenheit wegen nun auch der vierte Pastor mit hinein; dieser selber freilich kuemmere sich nicht eben viel darum. Ich hoerete dem allen zu; und da ich mit meinem Lazarus am liebsten auf eine Zeit pausiren mochte, das Bildniss des Herrn Titus Axen aber wegen eingetretenen Siechthums desselbigen nicht beginnen konnte, so hub ich an, dem Auftrage naeher nachzufragen. Was mir an Preis fuer solche Arbeit nun geboten wurde, war zwar gering, so dass ich erstlich dachte: sie nehmen dich fuer einen Pfennigmaler, wie sie im Kriegstrosse mitziehen, um die Soldaten fuer ihre heimgebliebenen Dirnen abzumalen; aber es muthete mich ploetzlich an, auf eine Zeit allmorgendlich in der goldnen Herbstessonne ueber die Heide nach dem Dorf hinauszuwandern, das nur eine Wegstunde von unserer Stadt belegen ist. Sagete also zu, nur mit dem Beding, dass die Malerei draussen auf dem Dorfe vor sich ginge, da hier in meines Bruders Hause passliche Gelegenheit nicht befindlich sei. Dess schien der Kuester gar vergnuegt, meinend, das sei alles hiebevor schon fuergesorget; der Pastor habe sich solches gleichfalls ausbedungen; item, es sei dazu die Schulstube in seiner Kuesterei erwaehlet; selbige sei das zweite Haus im Dorfe und liege nahe am Pastorate, nur hintenaus durch die Priesterkoppel davon geschieden, so dass also auch der Pastor leicht hinuebertreten koenne. Die Kinder, die im Sommer doch nichts lernten, wuerden dann nach Haus geschicket. Also schuettelten wir uns die Haende, und da der Kuester auch die Masse des Bildes fuersorglich mitgebracht, so konnte alles Malgeraeth, dess ich bedurfte, schon Nachmittages mit der Priesterfuhr hinausbefoerdert werden. Als mein Bruder dann nach Hause kam--erst spaet am Nachmittage; denn ein Ehrsamer Rath hatte dermalen viel Bedraengniss von einer Schinderleichen, so die ehrlichen Leute nicht zu Grabe tragen wollten--, meinete er, ich bekaeme da einen Kopf zu malen, wie er nicht oft auf einem Priesterkragen sitze, und moechte mich mit Schwarz und Braunroth wohl versehen; erzaehlete mir auch, es sei der Pastor als Feldcapellan mit den Brandenburgern hier ins Land gekommen, als welcher er's fast wilder denn die Offiziers getrieben haben solle; sei uebrigens itzt ein scharfer Streiter vor dem Herrn, der seine Bauern gar meisterlich zu packen wisse.--Noch merkete mein Bruder an, dass bei desselbigen Amtseintritt in unserer Gegend adelige Fuersprach eingewirket haben solle, wie es heisse, von drueben aus dem Holsteinischen her; der Archidiaconus habe bei der Klosterrechnung ein Woertlein davon fallen lassen. War jedoch Weiteres meinem Bruder darob nicht kund geworden. So sahe mich denn die Morgensonne des naechsten Tages ruestig ueber die Heide schreiten, und war mir nur leid, dass letztere allbereits ihr rothes Kleid und ihren Wuerzeduft verbrauchet und also diese Landschaft ihren ganzen Sommerschmuck verloren hatte; denn von gruenen Baeumen war weithin nichts zu ersehen; nur der spitze Kirchthurm des Dorfes, dem ich zustrebte--wie ich bereits erkennen mochte, ganz von Granitquadern auferbauet--, stieg immer hoeher vor mir in den dunkelblauen Octoberhimmel. Zwischen den schwarzen Strohdaechern, die an seinem Fusse lagen, krueppelte nur niedrig Busch- und Baumwerk; denn der Nordwestwind, so hier frisch von der See heraufkommt, will freien Weg zu fahren haben. Als ich das Dorf erreichet und auch alsbald mich nach der Kuesterei gefunden hatte, stuerzete mir sofort mit lustigem Geschrei die ganze Schul entgegen; der Kuester aber hiess an seiner Hausthuer mich willkommen. "Merket Ihr wohl, wie gern sie von der Fibel laufen!" sagte er. "Der eine Bengel hatte Euch schon durchs Fenster kommen sehen." In dem Prediger, der gleich danach ins Haus trat, erkannte ich denselbigen Mann, den ich schon tags zuvor gesehen hatte. Aber auf seine finstere Erscheinung war heute gleichsam ein Licht gesetzet; das war ein schoener blasser Knabe, den er an der Hand mit sich fuehrete; das Kind mochte etwan vier Jahre zaehlen und sahe fast winzig aus gegen des Mannes hohe knochige Gestalt. Da ich die Bildnisse der frueheren Prediger zu sehen wuenschte, so gingen wir mitsammen in die Kirche, welche also hoch belegen ist, dass man nach den anderen Seiten ueber Marschen und Heide, nach Westen aber auf den nicht gar fernen Meeresstrand hinunterschauen kann. Es musste eben Fluth sein; denn die Watten waren ueberstroemet, und das Meer stund wie ein lichtes Silber. Da ich anmerkete, wie oberhalb desselben die Spitze des Festlandes und von der andern Seite diejenige der Insel sich gegen einander strecketen, wies der Kuester auf die Wasserflaeche, so dazwischen liegt. "Dort", sagte er, "hat einst meiner Eltern Haus gestanden; aber anno 34 bei der grossen Fluth trieb es gleich hundert anderen in den grimmen Wassern; auf der einen Haelfte des Daches ward ich an diesen Strand geworfen, auf der anderen fuhren Vater und Bruder in die Ewigkeit hinaus." Ich dachte: 'So stehet die Kirche wohl am rechten Ort; auch ohne den Pastor wird hier vernehmentlich Gottes Wort geprediget.' Der Knabe, welchen letzterer auf den Arm genommen hatte, hielt dessen Nacken mit beiden Aermchen fest umschlungen und drueckte die zarte Wange an das schwarze baertige Gesicht des Mannes, als finde er so den Schutz vor der ihn schreckenden Unendlichkeit, die dort vor unseren Augen ausgebreitet lag. Als wir in das Schiff der Kirche eingetreten waren, betrachtete ich mir die alten Bildnisse und sahe auch einen Kopf darunter, der wohl eines guten Pinsels werth gewesen waere; jedennoch war es alles eben Pfennigmalerei, und sollte demnach der Schueler van der Helsts hier in gar sondere Gesellschaft kommen. Da ich solches eben in meiner Eitelkeit bedachte, sprach die harte Stimme des Pastors neben mir: "Es ist nicht meines Sinnes, dass der Schein des Staubes dauere, wenn der Odem Gottes ihn verlassen; aber ich habe der Gemeine Wunsch nicht widerstreben moegen; nur, Meister, machet es kurz; ich habe besseren Gebrauch fuer meine Zeit." Nachdem ich dem finsteren Manne, an dessen Antlitz ich gleichwohl fuer meine Kunst Gefallen fand, meine beste Bemuehung zugesaget, fragete ich einem geschnitzten Bilde der Maria nach, so von meinem Bruder mir war geruehmet worden. Ein fast verachtend Laecheln ging ueber des Predigers Angesicht. "Da kommet ihr zu spaet", sagte er, "es ging in Truemmer, da ich's aus der Kirche schaffen liess." Ich sah ihn fast erschrocken an. "Und wolltet Ihr des Heilands Mutter nicht in Euerer Kirche dulden?" "Die Zuege von des Heilands Mutter", entgegnete er, "sind nicht ueberliefert worden." --"Aber wollet Ihr's der Kunst missgoennen, sie in frommem Sinn zu suchen?" Er blickte eine Welle finster auf mich herab; denn, obschon ich zu den Kleinen nicht zu zaehlen, so ueberragte er mich doch um eines halben Kopfes Hoehe;--dann sprach er heftig: "Hat nicht der Koenig die hollaendischen Papisten dort auf die zerrissene Insel herberufen; nur um durch das Menschenwerk der Deiche des Hoechsten Strafgericht zu trotzen? Haben nicht noch letzlich die Kirchenvorsteher drueben in der Stadt sich zwei der Heiligen in ihr Gestuehlte schnitzen lassen? Betet und wachet! Denn auch hier geht Satan noch von Haus zu Haus! Diese Marienbilder sind nichts als Saeugammen der Sinnenlust und des Papismus; die Kunst hat allzeit mit der Welt gebuhlt!" Ein dunkles Feuer gluehte in seinen Augen, aber seine Hand lag liebkosend auf dem Kopf des blassen Knaben, der sich an seine Knie schmiegte. Ich vergass darob, des Pastors Worte zu erwidern; mahnete aber danach, dass wir in die Kuesterei zurueckgingen, wo ich alsdann meine edle Kunst an ihrem Widersacher selber zu erproben anhub. Also wanderte ich fast einen Morgen um den andern ueber die Heide nach dem Dorfe, wo ich allzeit den Pastor schon meiner harrend antraf Geredet wurde wenig zwischen uns; aber das Bild nahm desto rascheren Fortgang. Gemeiniglich sass der Kuester neben uns und schnitzete allerlei Geraethe gar saeuberlich aus Eichenholz, dergleichen als eine Hauskunst hier ueberall betrieben wird; auch habe ich das Kaestlein, woran er derzeit arbeitete, von ihm erstanden und darin vor Jahren die ersten Blaetter dieser Niederschrift hinterleget, alswie denn auch mit Gottes Willen diese letzten darin sollen beschlossen sein.-- In des Predigers Wohnung wurde ich nicht geladen und betrat selbige auch nicht; der Knabe aber war allzeit mit ihm in der Kuesterei; er stand an seinen Knien, oder er spielte mit Kieselsteinchen in der Ecke des Zimmers. Da ich selbigen einmal fragte, wie er heisse, antwortete er: "Johannes!"--"Johannes?" entgegnete ich, "so heisse ich ja auch!"--Er sah mich gross an, sagte aber weiter nichts. Weshalb ruehreten diese Augen so an meine Seele?--Einmal gar ueberraschete mich ein finsterer Blick des Pastors, da ich den Pinsel muessig auf der Leinewand ruhen liess. Es war etwas in dieses Kindes Antlitz, das nicht aus seinem kurzen Leben kommen konnte; aber es war kein froher Zug. So, dachte ich, sieht ein Kind, das unter einem kummerschweren Herzen ausgewachsen. Ich haette oft die Arme nach ihm breiten moegen; aber ich scheuete mich vor dem harten Manne, der es gleich einem Kleinod zu behueten schien. Wohl dachte ich oft: 'Welch eine Frau mag dieses Knaben Mutter sein?'-- Des Kuesters alte Magd hatte ich einmal nach des Predigers Frau befraget; aber sie hatte mir kurzen Bescheid gegeben: "Die kennt man nicht; in die Bauernhaeuser kommt sie kaum, wenn Kindelbier und Hochzeit ist."--Der Pastor selbst sprach nicht von ihr. Aus dem Garten der Kuesterei, welcher in eine dichte Gruppe von Fliederbueschen auslaeuft, sahe ich sie einmal langsam ueber die Priesterkoppel nach ihrem Hause gehen; aber sie hatte mir den Ruecken zugewendet, so dass ich nur ihre schlanke, jugendliche Gestalt gewahren konnte, und ausserdem ein paar gekraeuselte Loeckchen, in der Art, wie sie sonst nur von den Vornehmeren getragen werden und die der Wind von ihren Schlaefen wehte. Das Bild ihres finsteren Ehgesponsen trat mir vor die Seele, und mir schien, es passe dieses Paar nicht wohl zusammen. --An den Tagen, wo ich nicht da draussen war, hatte ich auch die Arbeit an meinem Lazarus wieder aufgenommen, so dass nach einiger Zeit diese Bilder mit einander nahezu vollendet waren. So sass ich eines Abends nach vollbrachtem Tagewerke mit meinem Bruder unten in unserem Wohngemache. Auf dem Tisch am Ofen war die Kerze fast herabgebrannt, und die hollaendische Schlaguhr hatte schon auf Eilf gewarnt; wir aber sassen am Fenster und hatten der Gegenwart vergessen; denn wir gedachten der kurzen Zeit, die wir mitsammen in unserer Eltern Haus verlebet hatten; auch unseres einzigen lieben Schwesterleins gedachten wir, das im ersten Kindbette verstorben und nun seit lange schon mit Vater und Mutter einer froehlichen Auferstehung entgegenharrete.--Wir hatten die Laeden nicht vorgeschlagen; denn es that uns wohl, durch das Dunkel, so draussen auf den Erdenwohnungen der Stadt lag, in das Sternenlicht des ewigen Himmels hinauszublicken. Am Ende verstummten wir beide in uns selber, und wie auf einem dunkeln Strome trieben meine Gedanken zu ihr, bei der sie allzeit Rast und Unrast fanden.--Da, gleich einem Stern aus unsichtbaren Hoehen, fiel es mir jaehlings in die Brust: Die Augen des schoenen blassen Knaben, es waren ja ihre Augen! Wo hatte ich meine Sinne denn gehabt!--Aber dann, wenn sie es war, wenn ich sie selber schon gesehen?--Welch schreckbare Gedanken stuermten auf mich ein! Indem legte sich die eine Hand meines Bruders mir auf die Schulter, mit der andern wies er auf den dunkeln Markt hinaus, von wannen aber itzt ein heller Schein zu uns herueberschwankte. "Sieh nur!" sagte er. "Wie gut, dass wir das Pflaster mit Sand und Heide ausgestopfet haben! Die kommen von des Glockengiessers Hochzeit; aber an ihren Stockleuchten sieht man, dass sie gleichwohl hin und wider stolpern." Mein Bruder hatte recht. Die tanzenden Leuchten zeugeten deutlich von der Trefflichkeit des Hochzeitschmauses; sie kamen uns so nahe, dass die zwei gemalten Scheiben, so letzlich von meinem Bruder als eines Glasers Meisterstueck erstanden waren, in ihren satten Farben wie in Feuer gluehten. Als aber dann die Gesellschaft an unserem Hause laut redend in die Kraemerstrasse einbog, hoerete ich einen unter ihnen sagen: "Ei freilich; das hat der Teufel uns verpurret! Hatte mich leblang darauf gespitzet, einmal eine richtige Hex so in der Flammen singen zu hoeren!" Die Leuchten und die lustigen Leute gingen weiter, und draussen die Stadt lag wieder still und dunkel. "O weh!" sprach mein Bruder; "den truebet, was mich troestet." Da fiel es mir erst wieder bei, dass am naechsten Morgen die Stadt ein grausam Spectacul vor sich habe. Zwar war die junge Person, so wegen einbekannten Buendnisses mit dem Satan zu Aschen sollte verbrannt werden, am heutigen Morgen vom Frone todt in ihrem Kerker aufgefunden worden; aber dem todten Leibe musste gleichwohl sein peinlich Recht geschehen. Das war nun vielen Leuten gleich einer kalt gestellten Suppen. Hatte doch auch die Buchfuehrer-Witwe Liebernickel, so unter dem Thurm der Kirche den gruenen Buecherschranken hat, mir am Mittage, da ich wegen der Zeitung bei ihr eingetreten, aufs heftigste geklaget, dass nun das Lied, so sie im voraus darueber habe anfertigen und drucken lassen, nur kaum noch passen werde wie die Faust aufs Auge. Ich aber, und mit mir mein viellieber Bruder, hatte so meine eigenen Gedanken von dem Hexenwesen und freuete mich, dass unser Herrgott--denn der war es doch wohl gewesen--das arme junge Mensch so gnaediglich in seinen Schoss genommen hatte. Mein Bruder, welcher weichen Herzens war, begann gleichwohl der Pflichten seines Amts sich zu beklagen; denn er hatte drueben von der Rathhaustreppe das Urthel zu verlesen, sobald der Racker den todten Leichnam davor aufgefahren, und hernach auch der Justification selber zu assistiren. "Es schneidet mir schon itzund in das Herz", sagte er, "das greuelhafte Gejohle, wenn sie mit dem Karren die Strasse herabkommen; denn die Schulen werden ihre Buben und die Zunftmeister ihre Lehrburschen loslassen.--An deiner Statt", fuegete er bei, "der du ein freier Vogel bist, wuerde ich aufs Dorf hinausmachen und an dem Conterfey des schwarzen Pastors weiter malen!" Nun war zwar festgesetzet worden, dass ich am naechstfolgenden Tage erst wieder hinauskaeme; aber mein Bruder redete mir zu, unwissend, wie er die Ungeduld in meinem Herzen schuerete; und so geschah es, dass alles sich erfuellen musste, was ich getreulich in diesen Blaettern niederschreiben werde. Am andern Morgen, als drueben vor meinem Kammerfenster nur kaum der Kirchthurmhahn in rothem Fruehlicht blinkte, war ich schon von meinem Lager aufgesprungen; und bald schritt ich ueber den Markt, allwo die Baecker, vieler Kaeufer harrend, ihre Brotschragen schon geoeffnet hatten; auch sahe ich, wie an dem Rathhause der Wachtmeister und die Fussknechte in Bewegung waren, und hatte Einer bereits einen schwarzen Teppich ueber das Gelaender der grossen Treppe aufgehangen; ich aber ging durch den Schwibbogen, so unter dem Rathause ist, eilends zur Stadt hinaus. Als ich hinter dem Schlossgarten auf dem Steige war, sahe ich drueben bei der Lehmkuhle, wo sie den neuen Galgen hingesetzet, einen maechtigen Holzstoss aufgeschichtet. Ein paar Leute hantirten noch daran herum, und mochten das der Fron und seine Knechte sein, die leichten Brennstoff zwischen die Hoelzer thaten; von der Stadt her aber kamen schon die ersten Buben ueber die Felder ihnen zugelaufen. Ich achtete dess nicht weiter, sondern wanderte ruestig fuerbass, und da ich hinter den Baeumen hervortrat, sahe ich mir zur Linken das Meer im ersten Sonnenstrahl entbrennen, der im Osten ueber die Heide emporstieg. Da musste ich meine Haende falten: O Herr, mein Gott und Christ, Sei gnaedig mit uns allen, Die wir in Suend gefallen, Der du die Liebe bist!-- Als ich draussen war, wo die breite Landstrasse durch die Heide fuehrte, begegneten mir viele Zuege von Bauern; sie hatten ihre kleinen Jungen und Dirnen an den Haenden und zogen sie mit sich fort. "Wohin strebet ihr denn so eifrig?" fragte ich den einen Haufen; "es ist ja doch kein Markttag heute in der Stadt." Nun, wie ich's wohl zum voraus wusste, sie wollten die Hexe, das junge Satansmensch, verbrennen sehen. --"Aber die Hexe ist ja todt!" "Freilich, das ist ein Verdruss", meineten sie; "aber es ist unserer Hebamme, der alten Mutter Siebenzig, ihre Schwestertochter; da koennen wir nicht aussen bleiben und muessen mit dem Reste schon fuerlieb nehmen."-- --Und immer neue Scharen kamen daher; und itzund taucheten auch schon Wagen aus dem Morgennebel, die statt mit Kornfrucht heut mit Menschen voll geladen waren.--Da ging ich abseits ueber die Heide, obwohl noch der Nachtthau von dem Kraute rann; denn mein Gemueth verlangte nach der Einsamkeit; und ich sahe von fern, wie es den Anschein hatte, das ganze Dorf des Weges nach der Stadt ziehen. Als ich auf dem Huenenhuegel stund, der hier inmitten der Heide liegt, ueberfiel es mich, als muesse auch ich zur Stadt zurueckkehren oder etwan nach links hinab an die See gehen, oder nach dem kleinen Dorfe, das dort unten hart am Strande liegt; aber vor mir in der Luft schwebete etwas wie ein Glueck, wie eine rasende Hoffnung, und es schuettelte mein Gebein, und meine Zaehne schlugen an einander. 'Wenn sie es wirklich war, so letzlich mit meinen eigenen Augen ich erblicket, und wenn dann heute--' Ich fuehlte mein Herz gleich einem Hammer an den Rippen; ich ging weit um durch die Heide; ich wollte nicht sehen, ob auf der Wagen einem auch der Prediger nach der Stadt fahre.--Aber ich ging dennoch endlich seinem Dorfe zu. Als ich es erreichet hatte, schritt ich eilends nach der Thuer des Kuesterhauses. Sie war verschlossen. Eine Weile stund ich unschluessig; dann hub ich mit der Faust zu klopfen an. Drinnen blieb alles ruhig; als ich aber staerker klopfte, kam des Kuesters alte halb blinde Trienke aus einem Nachbarhause. "Wo ist der Kuester?" fragte ich. --"Der Kuester? Mit dem Priester in die Stadt gefahren." Ich starrete die Alte an; mir war, als sei ein Blitz durch mich dahin geschlagen. "Fehler Euch etwas, Herr Maler?" frug sie. Ich schuettelte den Kopf und sagte nur: "So ist wohl heute keine Schule, Trienke?" --"Bewahre! Die Hexe wird ja verbrannt!" Ich liess mir von der Alten das Haus aufschliessen, holte mein Malergeraethe und das fast vollendete Bildniss aus des Kuesters Schlafkammer und richtete, wie gewoehnlich, meine Staffelei in dem leeren Schulzimmer. Ich pinselte etwas an der Gewandung; aber ich suchte damit nur mich selber zu beluegen; ich hatte keinen Sinn zum Malen; war ja um dessen willen auch nicht hieher gekommen. Die Alte kam hereingelaufen, stoehnte ueber die arge Zeit und redete ueber Bauern- und Dorfsachen, die ich nicht verstund; mich selber draengete es, sie wieder einmal nach des Predigers Frau zu fragen, ob selbige alt oder jung, und auch, woher sie gekommen sei; allein ich brachte das Wort nicht ueber meine Zungen. Dagegen begann die Alte ein lang Gespinste von der Hex und ihrer Sippschaft hier im Dorfe und von der Mutter Siebenzig, so mit Vorspuksehen behaftet sei; erzaehlete auch, wie selbige zur Nacht, da die Gicht dem alten Weibe keine Ruh gelassen, drei Leichlaken ueber des Pastors Hausdach habe fliegen sehen: es gehe aber solch Gesichte allzeit richtig aus, und Hoffart komme vor dem Falle; denn sei die Frau Pastorin bei aller ihrer Vornehmheit doch nur eine blasse und schwaechliche Kreatur. Ich mochte solch Geschwaetz nicht fuerder hoeren; ging daher aus dem Hause und auf dem Wege herum, da wo das Pastorat mit seiner Fronte gegen die Dorfstrasse liegt; wandte auch unter bangem Sehnen meine Augen nach den weissen Fenstern, konnte aber hinter den blinden Scheiben nichts gewahren als ein paar Blumenscherben, wie sie ueberall zu sehen sind.--Ich haette nun wohl umkehren moegen; aber ich ging dennoch weiter. Als ich auf den Kirchhof kam, trug von der Stadtseite der Wind ein wimmernd Glockenlaeuten an mein Ohr; ich aber wandte mich und blickte hinab nach Westen, wo wiederum das Meer wie lichtes Silber am Himmelssaume hinfloss, und war doch ein tobend Unheil dort gewesen, worin in einer Nacht des Hoechsten Hand viel tausend Menschenleben hingeworfen hatte. Was kruemmete denn ich mich so gleich einem Wurme?--Wir sehen nicht, wie seine Wege fuehren! Ich weiss nicht mehr, wohin mich damals meine Fuesse noch getragen haben; ich weiss nur, dass ich in einem Kreis gegangen bin; denn da die Sonne fast zur Mittagshoehe war, langete ich wieder bei der Kuesterei an. Ich ging aber nicht in das Schulzimmer an meine Staffelei, sondern durch das Hinterpfoertlein wieder zum Hause hinaus.-- Das aermliche Gaertlein ist mir unvergessen, obschon seit jenem Tage meine Augen es nicht mehr gesehen.--Gleich dem des Predigerhauses von der anderen Seite, trat es als ein breiter Streifen in die Priesterkoppel; inmitten zwischen beiden aber war eine Gruppe dichter Weidenbuesche, welche zur Einfassung einer Wassergrube dienen mochten; denn ich hatte einmal eine Magd mit vollem Eimer wie aus einer Tiefe daraus hervorsteigen sehen. Als ich ohne viel Gedanken, nur mein Gemuethe erfuellet von nicht zu zwingender Unrast, an des Kuesters abgeheimseten Bohnenbeeten hinging, hoerete ich von der Koppel draussen eine Frauenstimme von gar holdem Klang, und wie sie liebreich einem Kinde zusprach. Unwillens schritt ich solchem Schalle nach; so mochte einst der griechische Heidengott mit seinem Stabe die Todten nach sich gezogen haben. Schon war ich am jenseitigen Rande des Holundergebuesches, das hier ohne Verzaeunung in die Koppel auslaeuft, da sahe ich den kleinen Johannes mit einem Aermchen voll Moos, wie es hier in dem kuemmerlichen Grase waechst, gegenueber hinter die Weiden gehen; er mochte sich dort damit nach Kinderart ein Gaertchen angeleget haben. Und wieder kam die holde Stimme an mein Ohr: "Nun heb nur an; nun hast du einen ganzen Haufen! Ja, ja; ich such derweil noch mehr; dort am Holunder waechst genug!" Und dann trat sie selber hinter den Weiden hervor; ich hatte ja laengst schon nicht gezweifelt.--Mit den Augen auf dem Boden suchend, schritt sie zu mir her, so dass ich ungestoeret sie betrachten durfte; und mir war, als gliche sie nun gar seltsam dem Kinde wieder, das sie einst gewesen war, fuer das ich den "Buhz" einst von dem Baum herabgeschossen hatte; aber dieses Kinderantlitz von heute war bleich und weder Glueck noch Muth darin zu lesen. So war sie maehlich naeher kommen, ohne meiner zu gewahren; dann kniete sie nieder an einem Streifen Moos, der unter den Bueschen hinlief; doch ihre Haende pflueckten nicht davon; sie liess das Haupt auf ihre Brust sinken, und es war, als wolle sie nur ungesehen vor dem Kinde in ihrem Leide ausruhen. Da rief ich leise: "Katharina!" Sie blickte auf, ich aber ergriff ihre Hand und zog sie gleich einer Willenlosen zu mir unter den Schatten der Buesche. Doch als ich sie endlich also nun gefunden hatte und keines Wortes maechtig vor ihr stund, da sahen ihre Augen weg von mir, und mit fast einer fremden Stimme sagte sie: "Es ist nun einmal so, Johannes! Ich wusste wohl, du seiest der fremde Maler; ich dachte nur nicht, dass du heute kommen wuerdest." Ich hoerete das, und dann sprach ich es aus: "Katharina,--so bist du des Predigers Eheweib?" Sie nickte nicht; sie sah mich starr und schmerzlich an. "Er hat das Amt dafuer bekommen", sagte sie, "und dein Kind den ehrlichen Namen." --"Mein Kind, Katharina?" "Und fuehltest du das nicht? Er hat ja doch auf deinem Schoss gesessen; einmal doch, er selbst hat es mir erzaehlet." --Moege keines Menschen Brust ein solches Weh zerfleischen!--"Und du, du und mein Kind, ihr solltet mir verloren sein!" Sie sah mich an, sie weinte nicht, sie war nur gaenzlich todtenbleich. "Ich will das nicht!" schrie ich; "ich will ..." Und eine wilde Gedankenjagd rasete mir durchs Hirn. Aber ihre kleine Hand hatte gleich einem kuehlen Blatte sich auf meine Stirn gelegt, und ihre braunen Augensterne auf dem blassen Antlitz sahen mich flehend an. "Du, Johannes", sagte sie, "du wirst es nicht sein, der mich noch elender machen will." --"Und kannst denn du so leben, Katharina?" "Leben?--Es ist ja doch ein Glueck dabei; er liebt das Kind;--was ist denn mehr noch zu verlangen?" --"Und von uns, von dem, was einst gewesen ist, weiss er davon?" "Nein, nein!" rief sie heftig. "Er nahm die Suenderin zum Weibe: mehr nicht. O Gott, ist's denn nicht genug, dass jeder neue Tag ihm angehoert!" In diesem Augenblicke toenete ein zarter Gesang zu uns herueber.-- "Das Kind", sagte sie. "Ich muss zu dem Kinde; es koennte ihm ein Leids geschehen!" Aber meine Sinne zieleten nur auf das Weib, das sie begehrten. "Bleib doch", sagte ich, "es spielet ja froehlich dort mit seinem Moose." Sie war an den Rand des Gebuesches getreten und horchete hinaus. Die goldene Herbstsonne schien so warm hernieder, nur leichter Hauch kam von der See herauf Da hoerten wir von jenseits durch die Weiden das Stimmlein unseres Kindes singen: Zwei Englein, die mich decken, Zwei Englein, die mich strecken, Und zweie, so mich weisen In das himmlische Paradeisen. Katharina war zurueckgetreten, und ihre Augen sahen gross und geisterhaft mich an. "Und nun leb wohl, Johannes", sprach sie leise; "auf Nimmerwiedersehen hier auf Erden!" Ich wollte sie an mich reissen; ich streckte beide Arme nach ihr aus; doch sie wehrete mich ab und sagte sanft: "Ich bin des anderen Mannes Weib; vergiss das nicht." Mich aber hatte auf diese Worte ein fast wilder Zorn ergriffen. "Und wessen, Katharina", sprach ich hart, "bist du gewesen, ehe bevor du sein geworden?" Ein weher Klaglaut brach aus ihrer Brust; sie schlug die Haende vor ihr Angesicht und rief. "Weh mir! O wehe, mein entweihter armer Leib!" Da wurd ich meiner schier unmaechtig; ich riss sie jaeh an meine Brust, ich hielt sie wie mit Eisenklammern und hatte sie endlich, endlich wieder! Und ihre Augen sanken in die meinen, und ihre rothen Lippen duldeten die meinen; wir umschlangen uns inbruenstiglich; ich haette sie toedten moegen, wenn wir also mit einander haetten sterben koennen. Und als dann meine Blicke voll Seligkeit auf ihrem Antlitz weideten, da sprach sie, fast erstickt von meinen Kuessen: "Es ist ein langes, banges Leben! O Jesu Christ, vergib mir diese Stunde!" --Es kam eine Antwort; aber es war die harte Stimme jenes Mannes, aus dessen Munde ich itzt zum ersten Male ihren Namen hoerte. Der Ruf kam von drueben aus dem Predigergarten, und noch einmal und haerter rief es: "Katharina!" Da war das Glueck vorbei; mit einem Blicke der Verzweiflung sahe sie mich an; dann stille wie ein Schatten war sie fort. --Als ich in die Kuesterei trat, war auch schon der Kuester wieder da. Er begann sofort von der Justification der armen Hexe auf mich einzureden. "Ihr haltet wohl nicht viel davon", sagte er; "sonst waeret Ihr heute nicht aufs Dorf gegangen, wo der Herr Pastor gar die Bauern und ihre Weiber in die Stadt getrieben." Ich hatte nicht die Zeit zur Antwort; ein gellender Schrei durchschnitt die Luft; ich werde ihn leblang in den Ohren haben. "Was war das, Kuester?" rief ich. Der Mann riss ein Fenster auf und horchete hinaus, aber es geschah nichts weiter. "So mir Gott", sagte er, "es war ein Weib, das so geschrien hat; und drueben von der Priesterkoppel kam's." Indem war auch die alte Trienke in die Thuer gekommen. "Nun, Herr?" rief sie mir zu. "Die Leichlaken sind auf des Pastors Dach gefallen!" --"Was soll das heissen, Trienke?" "Das soll heissen, dass sie des Pastors kleinen Johannes soeben aus dem Wasser ziehen." Ich stuerzete aus dem Zimmer und durch den Garten auf die Priesterkoppel; aber unter den Weiden fand ich nur das dunkle Wasser und Spuren feuchten Schlammes daneben auf dem Grase.--Ich bedachte mich nicht, es war ganz wie von selber, dass ich durch das weisse Pfoertchen in des Pastors Garten ging. Da ich eben ins Haus wollte, trat er selber mir entgegen. Der grosse knochige Mann sah gar wueste aus; seine Augen waren geroethet, und das schwarze Haar hing wirr ihm ins Gesicht. "Was wollt Ihr?" sagte er. Ich starrete ihn an; denn mir fehlete das Wort. Ja, was wollte ich denn eigentlich? "Ich kenne Euch!" fuhr er fort. "Das Weib hat endlich alles ausgeredet." Das machte mir die Zunge frei. "Wo ist mein Kind!" rief ich. Er sagte: "Die beiden Eltern haben es ertrinken lassen." --"So lasst mich zu meinem todten Kinde!" Allein, da ich an ihm vorbei in den Hausflur wollte, draengete er mich zurueck. "Das Weib", sprach er, "liegt bei dem Leichnam und schreit zu Gott aus ihren Suenden. Ihr sollt nicht hin, um ihrer armen Seelen Seligkeit!" Was dermalen selber ich gesprochen, ist mir schier vergessen; aber des Predigers Worte gruben sich in mein Gedaechtniss. "Hoeret mich!" sprach er. "So von Herzen ich Euch hasse, wofuer dereinst mich Gott in seiner Gnade wolle buessen lassen, und Ihr vermuthendlich auch mich--noch ist Eines uns gemeinsam.--Geht itzo heim und bereitet eine Tafel oder Leinewand! Mit solcher kommet morgen in der Fruehe wieder und malet darauf des todten Knaben Antlitz. Nicht mir oder meinem Hause; der Kirchen hier, wo er sein kurz unschuldig Leben ausgelebet, moeget Ihr das Bildniss stiften. Moeg es dort die Menschen mahnen, dass vor der knoechern Hand des Todes alles Staub ist!" Ich blickte auf den Mann, der kurz vordem die edle Malerkunst ein Buhlweib mit der Welt gescholten; aber ich sagte zu, dass alles so geschehen moege. --Daheim indessen wartete meiner eine Kunde, so meines Lebens Schuld und Busse gleich einem Blitze jaehlings aus dem Dunkel hob, so dass ich Glied um Glied die ganze Kette vor mir leuchten sahe. Mein Bruder, dessen schwache Constitution von dem abscheulichen Spectacul, dem er heute assistiren muessen, hart ergriffen war, hatte sein Bette aufgesucht. Da ich zu ihm eintrat, richtete er sich auf "Ich muss noch eine Weile ruhen", sagte er, indem er ein Blatt der Wochenzeitung in meine Hand gab; "aber lies doch dieses! Da wirst du sehen, dass Herrn Gerhardus' Hof in fremde Haende kommen, massen Junker Wulf ohn Weib und Kind durch eines tollen Hundes Biss gar jaemmerlichen Todes verfahren ist." Ich griff nach dem Blatte, das mein Bruder mir entgegenhielt; aber es fehlte nicht viel, dass ich getaumelt waere. Mir war's bei dieser Schreckenspost, als spraengen des Paradieses Pforten vor mir auf; aber schon sahe ich am Eingange den Engel mit dem Feuerschwerte stehen, und aus meinem Herzen schrie es wieder: O Hueter, Hueter, war dein Ruf so fern!--Dieser Tod haette uns das Leben werden koennen; nun war's nur ein Entsetzen zu den andern. Ich sass oben auf meiner Kammer. Es wurde Daemmerung, es wurde Nacht; ich schaute in die ewigen Gestirne, und endlich suchte auch ich mein Lager. Aber die Erquickung des Schlafes ward mir nicht zu Theil. In meinen erregten Sinnen war es mir gar seltsamlich, als sei der Kirchthurm drueben meinem Fenster nah gerueckt; ich fuehlte die Glockenschlaege durch das Holz der Bettstatt droehnen, und ich zaehlete sie alle die ganze Nacht entlang. Doch endlich daemmerte der Morgen. Die Balken an der Decke hingen noch wie Schatten ueber mir, da sprang ich auf, und ehbevor die erste Lerche aus den Stoppelfeldern stieg, hatte ich allbereits die Stadt im Ruecken. Aber so fruehe ich auch ausgegangen, ich traf den Prediger schon auf der Schwelle seines Hauses stehen. Er geleitete mich auf den Flur und sagte, dass die Holztafel richtig angelanget, auch meine Staffelei und sonstiges Malergeraeth aus dem Kuesterhause heruebergeschaffet sei. Dann legte er seine Hand auf die Klinke einer Stubenthuer. Ich jedoch hielt ihn zurueck und sagte: "Wenn es in diesem Zimmer ist, so wollet mir vergoennen, bei meinem schweren Werke allein zu sein!" "Es wird Euch niemand stoeren", entgegnete er und zog die Hand zurueck. "Was Ihr zur Staerkung Eueres Leibes beduerfet, werdet Ihr drueben in jenem Zimmer finden." Er wies auf eine Thuer an der anderen Seite des Flures; dann verliess er mich. Meine Hand lag itzund statt der des Predigers auf der Klinke. Es war todtenstill im Hause; eine Weile musste ich mich sammeln, bevor ich oeffnete. Es war ein grosses, fast leeres Gemach, wohl fuer den Confirmandenunterricht bestimmt, mit kahlen weissgetuenchten Waenden; die Fenster sahen ueber oede Felder nach dem fernen Strand hinaus. Inmitten des Zimmers aber stund ein weisses Lager aufgebahret. Auf dem Kissen lag ein bleiches Kinderangesicht; die Augen zu; die kleinen Zaehne schimmerten gleich Perlen aus den blassen Lippen. Ich fiel an meines Kindes Leiche nieder und sprach ein bruenstiglich Gebet. Dann ruestete ich alles, wie es zu der Arbeit noethig war; und dann malte ich--rasch, wie man die Todten malen muss, die nicht zum zweitenmal dasselbig Antlitz zeigen. Mitunter wurd ich wie von der andauernden grossen Stille aufgeschrecket; doch wenn ich inne hielt und horchte, so wusste ich bald, es sei nichts da gewesen. Einmal auch war es, als draengen leise Odemzuege an mein Ohr.--Ich trat an das Bette des Todten, aber da ich mich zu dem bleichen Muendlein niederbeugete, beruehrte nur die Todeskaelte meine Wangen. Ich sahe um mich; es war noch eine Thuer im Zimmer; sie mochte zu einer Schlafkammer fuehren, vielleicht dass es von dort gekommen war! Allein so scharf ich lauschte, ich vernahm nichts wieder; meine eigenen Sinne hatten wohl ein Spiel mit mir getrieben. So setzete ich mich denn wieder, sahe auf den kleinen Leichnam und malete weiter; und da ich die leeren Haendchen ansahe, wie sie auf dem Linnen lagen, so dachte ich: 'Ein klein Geschenk doch musst du deinem Kinde geben!' Und ich malete auf seinem Bildniss ihm eine weisse Wasserlilie in die Hand, als sei es spielend damit eingeschlafen. Solcher Art Blumen gab es selten in der Gegend hier, und mocht es also ein erwuenschet Angebinde sein. Endlich trieb mich der Hunger von der Arbeit auf, mein ermuedeter Leib verlangte Staerkung. Legete sonach den Pinsel und die Palette fort und ging ueber den Flur nach dem Zimmer, so der Prediger mir angewiesen hatte. Indem ich aber eintrat, waere ich vor Ueberraschung bald zurueckgewichen; denn Katharina stund mir gegenueber, zwar in schwarzen Trauerkleidern und doch in all dem Zauberschein, so Glueck und Liebe in eines Weibes Antlitz wirken moegen. Ach, ich wusste es nur zu bald; was ich hier sahe, war nur ihr Bildniss, das ich selber einst gemalet. Auch fuer dieses war also nicht mehr Raum in ihres Vaters Haus gewesen.--Aber wo war sie selber denn? Hatte man sie fortgebracht, oder hielt man sie auch hier gefangen?--Lang, gar lange sahe ich das Bildniss an; die alte Zeit stieg auf und quaelete mein Herz. Endlich, da ich musste, brach ich einen Bissen Brot und stuerzete ein paar Glaeser Wein hinab; dann ging ich zurueck zu unserem todten Kinde. Als ich drueben eingetreten und mich an die Arbeit setzen wollte, zeigete es sich, dass in dem kleinen Angesicht die Augenlider um ein weniges sich gehoben hatten. Da bueckete ich mich hinab, im Wahne, ich moechte noch einmal meines Kindes Blick gewinnen; als aber die kalten Augensterne vor mir lagen, ueberlief mich Grausen; mir war, als saehe ich die Augen jener Ahne des Geschlechtes, als wollten sie noch hier aus unseres Kindes Leichenantlitz kuenden: "Mein Fluch hat doch euch beide eingeholet!" Aber zugleich--ich haette es um alle Welt nicht lassen koennen--umfing ich mit beiden Armen den kleinen blassen Leichnam und hob ihn auf an meine Brust und herzete unter bitteren Thraenen zum ersten Male mein geliebtes Kind. "Nein, nein, mein armer Knabe, deine Seele, die gar den finstern Mann zur Liebe zwang, die blickte nicht aus solchen Augen; was hier herausschaut, ist alleine noch der Tod. Nicht aus der Tiefe schreckbarer Vergangenheit ist es heraufgekommen; nichts anderes ist da als deines Vaters Schuld; sie hat uns alle in die schwarze Fluth hinabgerissen." Sorgsam legte ich dann wieder mein Kind in seine Kissen und drueckte ihm sanft die beiden Augen zu. Dann tauchete ich meinen Pinsel in ein dunkles Roth und schrieb unten in den Schatten des Bildes die Buchstaben: C. P. A. S. Das sollte heissen: Culpa Patris Aquis Submersus, "Durch Vaters Schuld in der Fluth versunken".--Und mit dem Schalle dieser Worte in meinem Ohre, die wie ein schneidend Schwert durch meine Seele fuhren, malete ich das Bild zu Ende. Waehrend meiner Arbeit hatte wiederum die Stille im Hause fortgedauert, nur in der letzten Stunde war abermalen durch die Thuer, hinter welcher ich eine Schlafkammer vermuthet hatte, ein leises Geraeusch hereingedrungen.--War Katharina dort, um ungesehen bei meinem schweren Werk mir nah zu sein? Ich konnte es nicht entraethseln. Es war schon spaet. Mein Bild war fertig, und ich wollte mich zum Gehen wenden; aber mir war, als muesse ich noch einen Abschied nehmen, ohne den ich nicht von hinnen koenne. So stand ich zoegernd und schaute durch das Fenster auf die oeden Felder draussen, wo schon die Daemmerung begunnte sich zu breiten; da oeffnete sich vom Flure her die Thuer und der Prediger trat zu mir herein. Er gruesste schweigend; dann mit gefalteten Haenden blieb er stehen und betrachtete wechselnd das Antlitz auf dem Bilde und das des kleinen Leichnams vor ihm, als ob er sorgsame Vergleichung halte. Als aber seine Augen auf die Lilie in der gemalten Hand des Kindes fielen, hub er wie im Schmerze seine beiden Haende auf, und ich sahe, wie seinen Augen jaehlings ein reicher Thraenenquell entstuerzete. Da streckte auch ich meine Arme nach dem Todten und rief ueberlaut: "Leb wohl, mein Kind! O mein Johannes, lebe wohl!" Doch in demselben Augenblicke vernahm ich leise Schritte in der Nebenkammer; es tastete wie mit kleinen Haenden an der Thuer; ich hoerte deutlich meinen Namen rufen--oder war es der des todten Kindes?--Dann rauschte es wie von Frauenkleidern hinter der Thuere nieder, und das Geraeusch vom Falle eines Koerpers wurde hoerbar. "Katharina!" rief ich. Und schon war ich hinzugesprungen und ruettelte an der Klinke der fest verschlossenen Thuer; da legte die Hand des Pastors sich auf meinen Arm: "Das ist meines Amtes!" sagte er. "Gehet itzo! Aber gehet in Frieden; und moege Gott uns allen gnaedig sein!" --Ich bin dann wirklich fortgegangen; ehe ich es selbst begriff, wanderte ich schon draussen auf der Heide auf dem Weg zur Stadt. Noch einmal wandte ich mich um und schaute nach dem Dorf zurueck, das nur noch wie Schatten aus dem Abenddunkel ragte. Dort lag mein todtes Kind--Katharina--alles, alles!--Meine alte Wunde brannte mir in meiner Brust; und seltsam, was ich niemals hier vernommen, ich wurde ploetzlich mir bewusst, dass ich vom fernen Strand die Brandung toesen hoerete. Kein Mensch begegnete mir, keines Vogels Ruf vernahm ich; aber aus dem dumpfen Brausen des Meeres toenete es mir immerfort, gleich einem finsteren Wiegenliede: Aquis submersus aquis submersus! Hier endete die Handschrift. Dessen Herr Johannes sich einstens im Vollgefuehl seiner Kraft vermessen, dass er's wohl auch einmal in seiner Kunst den Groesseren gleichzutun verhoffe, das sollten Worte bleiben, in die leere Luft gesprochen. Sein Name gehoert nicht zu denen, die genannt werden; kaum duerfte er in einem Kuenstlerlexikon zu finden sein; ja selbst in seiner engeren Heimat weiss niemand von einem Maler seines Namens. Des grossen Lazarusbildes tut zwar noch die Chronik unserer Stadt Erwaehnung, das Bild selbst aber ist zu Anfang dieses Jahrhunderts nach dem Abbruch unserer alten Kirche gleich den anderen Kunstschaetzen derselben verschleudert und verschwunden. Aquis submersus Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes Aquis submersus, von Theodor Storm. *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK, AQUIS SUBMERSUS *** This file should be named 7aqsb10.txt or 7aqsb10.zip Corrected EDITIONS of our eBooks get a new NUMBER, 7aqsb11.txt VERSIONS based on separate sources get new LETTER, 7aqsb10a.txt Project Gutenberg eBooks are often created from several printed editions, all of which are confirmed as Public Domain in the US unless a copyright notice is included. Thus, we usually do not keep eBooks in compliance with any particular paper edition. We are now trying to release all our eBooks one year in advance of the official release dates, leaving time for better editing. 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This is also a good way to get them instantly upon announcement, as the indexes our cataloguers produce obviously take a while after an announcement goes out in the Project Gutenberg Newsletter. http://www.ibiblio.org/gutenberg/etext05 or ftp://ftp.ibiblio.org/pub/docs/books/gutenberg/etext05 Or /etext04, 03, 02, 01, 00, 99, 98, 97, 96, 95, 94, 93, 92, 92, 91 or 90 Just search by the first five letters of the filename you want, as it appears in our Newsletters. Information about Project Gutenberg (one page) We produce about two million dollars for each hour we work. The time it takes us, a rather conservative estimate, is fifty hours to get any eBook selected, entered, proofread, edited, copyright searched and analyzed, the copyright letters written, etc. Our projected audience is one hundred million readers. If the value per text is nominally estimated at one dollar then we produce $2 million dollars per hour in 2002 as we release over 100 new text files per month: 1240 more eBooks in 2001 for a total of 4000+ We are already on our way to trying for 2000 more eBooks in 2002 If they reach just 1-2% of the world's population then the total will reach over half a trillion eBooks given away by year's end. The Goal of Project Gutenberg is to Give Away 1 Trillion eBooks! This is ten thousand titles each to one hundred million readers, which is only about 4% of the present number of computer users. Here is the briefest record of our progress (* means estimated): eBooks Year Month 1 1971 July 10 1991 January 100 1994 January 1000 1997 August 1500 1998 October 2000 1999 December 2500 2000 December 3000 2001 November 4000 2001 October/November 6000 2002 December* 9000 2003 November* 10000 2004 January* The Project Gutenberg Literary Archive Foundation has been created to secure a future for Project Gutenberg into the next millennium. We need your donations more than ever! As of February, 2002, contributions are being solicited from people and organizations in: Alabama, Alaska, Arkansas, Connecticut, Delaware, District of Columbia, Florida, Georgia, Hawaii, Illinois, Indiana, Iowa, Kansas, Kentucky, Louisiana, Maine, Massachusetts, Michigan, Mississippi, Missouri, Montana, Nebraska, Nevada, New Hampshire, New Jersey, New Mexico, New York, North Carolina, Ohio, Oklahoma, Oregon, Pennsylvania, Rhode Island, South Carolina, South Dakota, Tennessee, Texas, Utah, Vermont, Virginia, Washington, West Virginia, Wisconsin, and Wyoming. We have filed in all 50 states now, but these are the only ones that have responded. As the requirements for other states are met, additions to this list will be made and fund raising will begin in the additional states. Please feel free to ask to check the status of your state. In answer to various questions we have received on this: We are constantly working on finishing the paperwork to legally request donations in all 50 states. If your state is not listed and you would like to know if we have added it since the list you have, just ask. While we cannot solicit donations from people in states where we are not yet registered, we know of no prohibition against accepting donations from donors in these states who approach us with an offer to donate. International donations are accepted, but we don't know ANYTHING about how to make them tax-deductible, or even if they CAN be made deductible, and don't have the staff to handle it even if there are ways. Donations by check or money order may be sent to: PROJECT GUTENBERG LITERARY ARCHIVE FOUNDATION 809 North 1500 West Salt Lake City, UT 84116 Contact us if you want to arrange for a wire transfer or payment method other than by check or money order. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation has been approved by the US Internal Revenue Service as a 501(c)(3) organization with EIN [Employee Identification Number] 64-622154. Donations are tax-deductible to the maximum extent permitted by law. As fund-raising requirements for other states are met, additions to this list will be made and fund-raising will begin in the additional states. We need your donations more than ever! You can get up to date donation information online at: http://www.gutenberg.net/donation.html *** If you can't reach Project Gutenberg, you can always email directly to: Michael S. Hart Prof. Hart will answer or forward your message. We would prefer to send you information by email. **The Legal Small Print** (Three Pages) ***START**THE SMALL PRINT!**FOR PUBLIC DOMAIN EBOOKS**START*** Why is this "Small Print!" statement here? You know: lawyers. They tell us you might sue us if there is something wrong with your copy of this eBook, even if you got it for free from someone other than us, and even if what's wrong is not our fault. So, among other things, this "Small Print!" statement disclaims most of our liability to you. It also tells you how you may distribute copies of this eBook if you want to. *BEFORE!* YOU USE OR READ THIS EBOOK By using or reading any part of this PROJECT GUTENBERG-tm eBook, you indicate that you understand, agree to and accept this "Small Print!" statement. If you do not, you can receive a refund of the money (if any) you paid for this eBook by sending a request within 30 days of receiving it to the person you got it from. If you received this eBook on a physical medium (such as a disk), you must return it with your request. ABOUT PROJECT GUTENBERG-TM EBOOKS This PROJECT GUTENBERG-tm eBook, like most PROJECT GUTENBERG-tm eBooks, is a "public domain" work distributed by Professor Michael S. Hart through the Project Gutenberg Association (the "Project"). Among other things, this means that no one owns a United States copyright on or for this work, so the Project (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. Special rules, set forth below, apply if you wish to copy and distribute this eBook under the "PROJECT GUTENBERG" trademark. Please do not use the "PROJECT GUTENBERG" trademark to market any commercial products without permission. To create these eBooks, the Project expends considerable efforts to identify, transcribe and proofread public domain works. Despite these efforts, the Project's eBooks and any medium they may be on may contain "Defects". 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